Formel-1-Strategien in der Krise: Wie Las Vegas den Missstand aufzeigte
Die Formel 1 steckt strategisch fest: Robuste Reifen, enges Feld und fehlende Reifendeltas ersticken Spannung: Warum das Problem nicht leicht zu lösen ist
(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Las Vegas war ein weiteres Rennen der Formel-1-Saison 2025, das strategisch kaum Tiefe bot und wenig Spannung erzeugte. Die Zahlen sprechen für sich: 15 von 22 Saisonrennen wurden bisher von der Poleposition gewonnen - knapp 70 Prozent und damit der höchste Wert der vergangenen Dekade.
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Lewis Hamilton konnte in Las Vegas nach einem starken Start strategisch nicht mehr viel ausrichten Zoom Download
Für Las Vegas gilt das zwar nicht, da Polesetter Norris den Start an Max Verstappen verlor, doch bereits nach dem Rennen in Austin sagte Mercedes-Pilot George Russell: "Im Moment ist es in der Formel 1 nur ein Rennen bis Kurve eins", der Rest sei praktisch entschieden - so wie in Las Vegas. Die Pace der Autos ist zu ähnlich, die Strategien gleichen sich und Überholen bleibt extrem schwierig.
Der Reifenverschleiß war im Grand Prix so gering, dass alles andere als eine Einstoppstrategie keinen Sinn ergab. Und er war so niedrig, dass es praktisch keine Reifendeltas gab. Weder Under- noch Overcut waren wirklich effektiv. Ein eindrucksvolles Beispiel: Andrea Kimi Antonelli fuhr 48 der 50 Rennrunden auf dem harten Reifen.
In Runde 48 erzielte er auf seinen uralten Reifen sogar seine persönliche Bestzeit - die am Ende drittschnellste des gesamten Rennens. Ein Blick in die Daten zeigt: Der Verschleiß auf dem harten Reifen lag bei unter einer Hundertstelsekunde pro Runde. Ob man also neue oder 50 Runden alte C3-Reifen fuhr, machte kaum einen Unterschied. Ein Reifendelta existierte praktisch nicht.
Warum ist Las Vegas plötzlich ein Einstopprennen?
Der Reifenverschleiß in Las Vegas war nicht immer so niedrig. 2023 und 2024 wurden die Rennen jeweils mit einer Zweistoppstrategie gewonnen - doch warum? Der Schlüssel liegt in den Reifen. Pirelli hat 2025 das Graining nahezu vollständig eliminiert. Während der gesamten Saison spielte das Thema praktisch keine Rolle mehr. Früher war das anders.
Gerade bei kalten Temperaturen war Graining eine häufige Folgeerscheinung - mit entsprechend höherem Verschleiß. Las Vegas galt lange als Graining-Hochburg, doch die robusteren Mischungen für 2025 haben selbst diesen Endgegner besiegt.
Pirelli-Sportchef Mario Isola erklärte nach dem Rennen: "Im vergangenen Jahr mussten die Fahrer bei ähnlichen Temperaturen zwei Stopps einlegen, gerade wegen des Grainings. Dieses Jahr konnten sie ihre Stints verlängern, ohne überhaupt auf die Reifen achten zu müssen. Das bestätigt erneut die verbesserten mechanischen Eigenschaften der aktuellen Mischungen, die wir bereits während der gesamten Saison beobachten konnten."
Schadet Pirellis Reifen-Durchbruch der Formel 1?
Wie Isola betont, zeigte sich über die gesamte Saison hinweg, dass die Reifen robuster wurden, kaum noch Graining entwickelten und weniger verschlissen. Was aus technologischer Sicht ein Erfolg ist, könnte strategisch jedoch zum Problem werden.
Klassische Zweistopprennen ohne spätes Safety-Car sind selten geworden. Der geringe Verschleiß reduziert die Überholchancen zusätzlich. Under- und Overcuts funktionieren immer schlechter, da selbst alte Reifen noch gut performen. Frühe Stopps oder lange Stints, um am Ende frische Reifen zu haben, bringen bei geringen Reifendeltas kaum einen Vorteil. Die Strategien werden dadurch immer gleicher.
Pirellis schwieriger Spagat
Pirelli die Schuld allein zuzuschieben, wäre jedoch zu einfach. Der Reifenhersteller steckt in einem grundsätzlichen Dilemma: Sind die Reifen zu hart und langlebig, werden die Rennen strategisch langweilig - wie aktuell. Sind sie zu weich und verschleißanfällig, heißt es, es gehe nur noch ums Reifenmanagement und die Fahrer könnten nicht richtig pushen.
Dass die strategischen Probleme der modernen Formel 1 immer stärker hervortreten, ist kein Zufall. Durch die Budgetobergrenze rücken die Teams enger zusammen. 2025 liegt das durchschnittlich langsamste Team im Qualifying (Sauber) nur 1,12 Sekunden hinter dem schnellsten (McLaren) - vor zehn Jahren waren es noch 5,7 Sekunden.
Gleichzeitig werden die Autos komplexer und schneller, was das Hinterherfahren erschwert. Zum Überholen sind größere Pace-Deltas nötig als früher, doch das Feld ist enger denn je. Und wenn die Reifen zusätzlich zu hart sind, fehlen die Reifendeltas komplett - Überholen wird nahezu unmöglich.
Pflichtboxenstopps: Warum künstliche Eingriffe das Problem sogar verstärken
Daher wird häufig über zwei verpflichtende Boxenstopps diskutiert. Zwei Stopps bedeuten mehr Spannung? Eher nicht. Werden Stintlängen künstlich begrenzt, reduziert das die Reifendeltas weiter. Unterschiede im Verschleiß machen sich erst in langen Stints bemerkbar. Je kürzer der Stint, desto geringer der Effekt.
Katar 2023 ist ein gutes Beispiel: Mit einer gedeckelten Stintlänge von 18 Runden konnten die Fahrer jede Runde maximal pushen, da die Reifen theoretisch viel mehr ausgehalten hätten. Viele Stopps erfolgten gleichzeitig, Reifendeltas entstanden kaum - trotz drei Stopps war die Strategie über weite Strecken unspektakulär.
Für das bevorstehende Rennen in Katar wird es wieder eine maximale Stintlänge geben, dieses Mal von 25 Runden, was somit zu einer verpflichtenden Zweistoppstrategie führt. "Ich finde nicht, dass wir so etwas in diesem Sport machen sollten", sagte Haas-Teamchef Ayao Komatsu darauf angesprochen. "Ich denke, es wird das Rennen zerstören."
Aus Reifensicht gäbe es nur eine logische Lösung für das Problem: weichere Mischungen mit deutlich höherem Verschleiß, die auf natürliche Weise unterschiedliche Strategien erzeugen. Doch Pirelli trifft aktuell meist eine sehr konservative Reifenwahl - und selbst mit den weichen Mischungen C6 und C5 wären auf einigen Stadtkursen vermutlich Einstopprennen möglich.
Ist die Strategiekrise überhaupt zu lösen?
Die größten Hoffnungen ruhen nun auf dem neuen Reglement für 2026, das - einmal mehr - leichteres Überholen ermöglichen soll. Ähnliche Versprechen gab es bereits bei den Regeländerungen 2009 und 2022, mit eher durchwachsenem Ergebnis.
Wahrscheinlich ist, dass sich das Feld zunächst wieder stärker auseinanderziehen wird - mindestens ein Team dürfte ins Schwarze treffen, während andere danebenliegen. Dadurch würden größere Pace-Deltas entstehen. Hinzu kommt der neue Override-Modus, der spürbarer wirken soll als das bisherige DRS.
Wie sich das insgesamt entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Eine mutigere Reifenwahl seitens Pirelli wäre im Sinne einer größeren strategischen Vielfalt zwar wünschenswert, doch stößt dieser Ansatz an Grenzen - schließlich möchte Pirelli weder häufiger auftretende Reifenplatzer riskieren noch mögliche Imageschäden in Kauf nehmen.
- Formel 1
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Eine ausführliche Analyse der Daten nach dem Wochenende in Las Vegas gibt es im Übrigen auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de. Dort analysiert Datenexperte Kevin Hermann die Zahlen im Detail und schätzt ein, wie gut Max Verstappens Chancen im Kampf um den WM-Titel wirklich stehen.

