Belgien-Strategie gescheitert? Pirelli verteidigt härtere Reifenwahl
Pirellis Reifentaktik in Spa sorgt für Diskussionen: Statt mehr Strategie brachte die Auswahl C1, C3 und C4 kaum Spannung - Ist das Experiment gescheitert?
(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Belgien 2025 war wahrlich kein Rennen mit viel Unterhaltungswert. Bereits der Start verzögerte sich aufgrund von Regen erheblich - und auch im späteren Verlauf auf Trockenreifen blieb die Spannung überschaubar. Die Einstoppstrategie erwies sich als klar schnellste Variante, der Medium-Reifen hielt bemerkenswerte 33 Runden durch.

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Sportchef Mario Isola verteidigt Pirellis unübliche Reifenwahl für Belgien Zoom Download
Dabei hatte sich Reifenlieferant Pirelli für das Rennen in Spa etwas Besonderes einfallen lassen: Statt wie üblich drei aufeinanderfolgende Mischungen aus dem Spektrum C1 bis C6 zu nominieren, entschied man sich diesmal für eine Lücke im System. Der C2-Reifen blieb im Werk, während C1 sowie C3 und C4 zum Einsatz kamen.
Die Idee dahinter: Der harte C1 sollte zwar extrem langlebig, aber so langsam sein, dass er im Rennen keine Rolle spielt. Dadurch sollte sich auf natürliche Weise eine Zweistoppstrategie aus Soft und Medium ergeben.
Wie das Experiment bei durchgehend trockenen Bedingungen ausgegangen wäre, bleibt zwar ungewiss - doch die Tatsache, dass der Medium-Reifen 33 Runden durchhielt, lässt vermuten, dass selbst eine Einstoppstrategie mit Soft und Medium möglich gewesen wäre. Zudem war selbst der harte C1-Reifen gar nicht so langsam wie gedacht, was man anhand der Pace von Lando Norris sehen konnte-
Pirelli verteidigt Entscheidung: C2 hätte wenig verändert
Schon nach den Eindrücken vom Freitagstraining sowie dem Sprint am Samstag rechnete Pirelli im Rennen mit nur einem Boxenstopp - unabhängig vom Wetter. Sportchef Mario Isola erklärte am Samstagabend: "Das bedeutet nicht, dass die Entscheidung, einen sehr harten Reifen mitzubringen, ein Fehler war."
"Hätten wir das gleiche Trio wie im Vorjahr gewählt [C2 bis C4], wäre die Einstoppstrategie noch klarer die schnellste Option gewesen."
Die Logik: Eine Strategie mit C3 und C2 wäre auf dem Papier schneller gewesen als die Kombination C3-C1. Pirelli erhoffte sich also durch die neue Reifenwahl eine höhere Wahrscheinlichkeit für zwei Stopps. Dass der Verschleiß der Medium-Reifen am Sonntag dann so gering ausfiel, überraschte wohl auch die Verantwortlichen.
Warum hielt der Medium plötzlich so lange?
Laut Daten unseres Technologiepartners PACETEQ betrug der Verschleiß des C3-Reifens lediglich 0,082 Sekunden pro Runde - im Vorjahr lag dieser Wert noch bei 0,116 Sekunden. Isola dazu: "Die Fahrer an der Spitze versuchten, mit nur einem Stopp durchzukommen. Daher war es für sie entscheidend, den Reifenverschleiß - insbesondere auf dem Medium - so gering wie möglich zu halten. Das ist ihnen auch gelungen."
"Diejenigen, die gegen Ende des Rennens versuchten, Positionen gutzumachen, litten hingegen sofort unter Leistungseinbußen - ihre Ambitionen wurden dadurch zunichte gemacht. Wer später auf einen zweiten Stopp setzte, war zwar schneller unterwegs, konnte seine Position jedoch nicht entscheidend verbessern."
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Die Kombination Intermediate-Medium war somit nur durch die kühlen Temperaturen und ein ausgeklügeltes Reifenmanagement überhaupt möglich. Im Sprintrennen am Samstag zeigte der C3-Reifen noch einen Verschleiß von 0,128 Sekunden pro Runde. Unter vergleichbaren Bedingungen im Hauptrennen wäre es vermutlich schwierig geworden, mit nur einem Stopp auszukommen - und dabei auch konkurrenzfähig zu bleiben.
Muss Pirelli grundsätzlich weichere Reifen bringen?
Ob Pirelli dieses ungewöhnliche Reifentrio im kommenden Jahr erneut nach Spa bringen wird, ist fraglich - auch Mario Isola deutet dies an: "Wir haben hier bewusst eine ungewöhnliche Mischung gewählt, um den Teams mehr strategische Optionen zu bieten. Leider hat uns der Regen daran gehindert, das volle Potenzial dieser Auswahl zu analysieren. Dennoch haben wir wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die uns bei zukünftigen Entscheidungen helfen werden."
Die Daten des Rennsonntags sprechen jedoch dafür, dass Pirelli für die Saison 2026 eher zu einer weicheren Auswahl - etwa C3 bis C5 - tendieren sollte. Allerdings wäre selbst dann eine Einstoppstrategie wohl weiterhin realistisch.
Franco Colapinto fuhr im Sprint 15 Runden auf dem C4, die Medium-Reifen hielten im Rennen ganze 33 Umläufe. Bei einer Gesamtdistanz von 44 Runden wäre ein Einstopper also auch mit weicheren Mischungen noch im Bereich des Möglichen - wenngleich bei höheren Temperaturen deutlich schwieriger.
Weichere Reifen würden allerdings für mehr Abnutzung sorgen - und vor allem für größere Leistungsunterschiede zwischen den Mischungen. Genau diese Reifendeltas fehlten am Belgien-Wochenende schmerzlich. Denn diese sind essenziell, um Überholmanöver zu erleichtern. Geringer Verschleiß führt fast zwangsläufig zu statischen Rennen - wie man es unter anderem auch beim Grand Prix von Japan 2025 beobachten konnte.
Eine ausführliche Strategieanalyse nach dem Großen Preis von Belgien gibt es im Übrigen auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de, wo Datenexperte Kevin Hermann mit der OneTiming-Software von PACETEQ klärt, warum in Spa-Francorchamps kaum noch überholt werden kann und warum Nico Hülkenbergs zweiter Reifenwechsel zwar falsch, aber ausweglos war.