Warum Oscar Piastri immer wieder die gleiche Frage beantworten muss
Sofaexperten erwarten, dass jedes Upgrade in der Formel 1 auch eine Verbesserung darstellt, doch die Wahrheit ist eine andere
(Motorsport-Total.com) - Oscar Piastri ist so ein cooler Kopf, dass er - wenn er feststellen würde, dass er versehentlich auf einer Handgranate sitzt - wohl zuerst ganz gelassen prüfen würde, ob der Splint noch drin ist, bevor er mit derselben Gleichgültigkeit die Nachlässigkeit von demjenigen kommentiert, der sie dort zurückgelassen hat. Dann würde er ohne weiteren Gedanken zur Tagesordnung übergehen.
Doch selbst Piastris beneidenswertes Gleichgewicht ist in letzter Zeit unter Druck geraten, vor allem wegen der Flut an Fragen zu McLarens "neuer" - aber eigentlich nicht neuer - Vorderradaufhängung und ob er plant, diese zu nutzen oder nicht.
Diese Art von Fragen zeigt ein grundlegendes Missverständnis darüber, wie F1-Engineering funktioniert: Neue oder andere Komponenten bedeuten nicht zwangsläufig einen linearen Performance-Schub, sondern stellen oft nur eine alternative Lösung für ein bestehendes Problem dar - mit eigenen Vor- und Nachteilen.
Das breite Publikum bevorzugt jedoch eine einfachere Erzählweise, die von vielen Medien bereitwillig geliefert wird: Ein neues Teil wird gezeigt und es wird darüber spekuliert, wie viele Sekunden Rundenzeit es bringt.
"Ich glaube, das ist jetzt das fünfte Mal, dass ich das erkläre, aber es ist kein Upgrade", sagte Piastri mit einem Augenrollen und einem hörbaren Seufzer, als er beim Belgien-Wochenende die Frage zum x-ten Mal beantworten musste. "Es ist einfach ein anderes Teil. Ich habe es im Simulator ausprobiert."
"Aber während wir noch andere echte Upgrades haben werden, möchte ich davon so klar wie möglich ein Bild bekommen. Es ist eine sehr kleine Änderung, wie ich schon gesagt habe. Es soll in mancher Hinsicht helfen, aber ... es gibt Dinge, die es ... in anderen Bereichen verschlechtert", so der Australier.
Piastris natürliche Zurückhaltung, technische Details zu beschreiben, hat die Neugier eher verstärkt als gedämpft. Die Botschaft ist jedoch klar: Es ist nicht wie im aktuellen F1-Film, in dem der Austausch der Bodenplattenkanten des APX-GP-Autos die gesamte Aerodynamik verändert und es vom "Schrotthaufen" zum Spitzenauto macht.
McLarens "Standard"-Vorderradaufhängung ist bereits hochkomplex. Sie kombiniert starke Anti-Dive-Geometrie - die es erlaubt, das Auto in extrem niedriger Bodenfreiheit zu fahren, was für den Ground Effect vorteilhaft ist - mit aerodynamischen Profilen, die die Vorderreifen im optimalen Temperaturfenster halten. Der abgekoppelte untere Querlenker am Radträger ist ein technisches Kunstwerk.
Unterschiedliche Fahrstile, unterschiedliche Bedürfnisse
Der "Preis" dafür ist zumindest für Piastris Teamkollegen Lando Norris ein Mangel an präzisem Gefühl dafür, was Vorder- und Hinterachse als Nächstes tun. Norris bremst in der Regel später als Piastri und nimmt die Bremse länger mit in die Kurve, während er gleichzeitig mehr Lenkwinkel aufbaut. Das fordert das Vorderrad stärker und erfordert, dass es sehr kommunikativ ist.
Deshalb sprach Norris zu Saisonbeginn, als er sich vor allem im Qualifying einige kleine, aber teure Fehler leistete, oft davon, dass er mit dem MCL39 nicht "klickte".
"Ich kann keine Runden fahren wie letzte Saison", sagte er in Bahrain. "Damals wusste ich in jeder Kurve genau, was passieren würde und wie es passieren würde. Ich hatte das Auto total im Griff. Dieses Jahr fühle ich mich bisher genau gegenteilig."
McLaren stellte ab Kanada beiden Fahrern ein alternatives Vorderradaufhängungsdesign zur Verfügung, aber nur Norris nutzte es. Es ist bekannt, dass das Design bereits existierte, McLaren es jedoch zurückhielt, weil man die "Standard"-Geometrie als optimaler einschätzte.
Was bei McLaren verändert wurde
Außerdem führte McLaren ab Montreal ein neues Aeropaket für die Front ein, bei dem das neue Frontflügel-Profil nur das sichtbarste Element war. Als Teil des Pakets veränderte McLaren viele weitere Elemente um die Vorderräder herum, einschließlich der Bremskanäle und der Verkleidungen um die Radnaben (die äußere Trommel ist standardisiert, die inneren Flächen aber anpassbar). Auch die Verkleidungen der Querlenker wurden neu profiliert.
Egal, was selbsternannte Technikexperten in den Medien glauben machen wollen: Diese Elemente sind so konzipiert, dass sie miteinander interagieren, um einen kleinen Gesamtvorteil zu erzeugen - sie funktionieren nicht als einzelne, aufschraubbare Tuningteile.
Der einzige sichtbare Unterschied bei der alternativen Vorderradaufhängung ist der obere Querlenker, der im Querschnitt dicker ist, wo er am Radträger befestigt ist. Das deutet auf eine höhere Kingpin-Neigung hin, also den Winkel einer Linie, die zwischen den oberen und unteren Drehpunkten der Radaufhängung aus der Frontalansicht verläuft. Eine höhere SAI (Steering Axis Inclination) bedeutet, dass die Kräfte auf den oberen Querlenker größer sind.
Ein bewusstes Nein
Eine höhere SAI wird mit einem klareren Lenkgefühl assoziiert, weil jeder Achsschenkel beim Lenken einen ausgeprägteren Bogen beschreibt und das Auto vertikal bewegt. Der Scheitelpunkt dieses Bogens ist, wenn die Räder geradeaus zeigen. Das erzeugt eine stärkere Selbstzentrierung der Lenkung und vermittelt dem Fahrer deutlicher, wann Untersteuern droht.
Die Nachteile höherer SAI sind jedoch eine schwerere Lenkung und eine stärkere positive Sturzveränderung des kurvenäußeren Rads bei zunehmendem Lenkeinschlag, was den Grip und den Reifenverschleiß beeinflussen kann. Außerdem kann es die Reaktion des Autos auf Bodenwellen während des Lenkeinschlags verändern.
Dies ist ein Kompromiss, mit dem Norris leben kann, weil er ihm das Gefühl gibt, das er vermisste. Piastri hat entschieden, dass die Nachteile für ihn die Vorteile überwiegen.
"Wenn es so einfach ein Vorteil wäre, würde ich es einfach einbauen und keine Fragen stellen", sagt er. "Aber das ist nicht der Fall."