Nach McLaren-Crash in Kanada: Kommt jetzt die Teamorder?
Die teaminterne Kollision in Kanada war für McLaren der Worst Case, trotzdem möchte Teamchef Andrea Stella seine Fahrer weiter frei fahren lassen
(Motorsport-Total.com) - Hat der Zwischenfall von Kanada Auswirkungen auf die Racing-Kultur bei McLaren? Bislang durften Oscar Piastri und Lando Norris frei fahren, doch in Montreal passierte das, was kein Team gerne sehen möchte: eine Kollision unter Teamkollegen.
"Wir wollen niemals sehen, dass zwei McLarens miteinander kollidieren. Das ist Teil unserer Grundprinzipien", stellt Teamchef Andrea Stella klar. Natürlich möchte das Team sicherstellen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt, auch wenn es bedeuten würde, die Fahrer an die kürzere Leine zu nehmen.
Noch ist der Bogen für den Italiener aber nicht überspannt. Soll heißen: Das Team wird wegen des Vorfalls am Sonntag nicht gleich eine Stallorder und ein Racing-Verbot aussprechen. "Das Prinzip der freien Fahrt und der klaren Regeln, wie wir Racing betreiben, ist ein Wert des Motorsports - ein Wert, den wir so oft wie möglich leben und respektieren wollen", betont Stella.
"Wir möchten nicht, dass bei jedem engen Zweikampf zwischen unseren beiden Autos sofort jemand von außen eingreift. Denn dann wird Racing schnell zu etwas Künstlichem", meint er.
Stella: Fahrer werden sich wieder nahe kommen
McLaren möchte Norris und Piastri also weiterhin die Möglichkeit geben, sich frei auf der Strecke zu duellieren "und am Saisonende dort zu stehen, wo sie es verdienen. Basierend auf Leistung, auf Können, auf Rennintelligenz - und nicht basierend auf Punkten, die durch Teamentscheidungen bestimmt wurden", so der Teamchef.
"Das ist kein einfacher Weg", betont er weiter, "aber wir wollen ihn bestmöglich gehen."
"Und ich sehe nicht, dass das heutige Ereignis unsere Grundhaltung ändern wird. Im Gegenteil: Es wird unsere Prinzipien eher stärken."
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Sicherlich ist das aus Teamsicht ein Risiko, denn Stella ist überzeugt, dass es auch in Zukunft zu ähnlichen Szenen kommen kann. Bei 24 Rennen plus sechs Sprints gebe es viele Gelegenheiten für Zwischenfälle. "Dass zwei McLarens eng beieinander fahren - das wird wieder passieren", sagt er.
Noch kann sich McLaren mögliche Aussetzer leisten - zumindest wenn es um die Konstrukteurs-WM geht, wo der Rennstall weiter ungefährdet ist. Aber: In der Fahrer-Weltmeisterschaft könnte es enger werden, wenn McLaren noch häufiger Wochenenden wie in Kanada erlebt, wo man nicht auf das Podium kam.
Dort könnten am Ende der Saison dann durchaus die entscheidenden Punkte fehlen.
Stella: Praktischer Fall macht McLaren stärker
Was für Stella im Fall von Montreal aber wichtig zu betonen ist, ist die Tatsache, dass es sich für ihn nicht um einen Unfall aufgrund eines Zweikampfes handelt, sondern schlicht um eine Fehleinschätzung von Norris, der seinem Teamkollegen ins Heck geknallt war. "Etwas, das natürlich nicht passieren sollte, aber eben auch zum Racing dazugehört", meint Stella.
Auch dass sich Norris gleich entschuldigt hatte, kam beim Teamchef gut an, weil er die Verantwortung für seinen Fehler übernommen hatte. "Ich habe auch mit Oscar gesprochen - und er ist recht entspannt, weil Lando sich entschuldigt hat. Er weiß, dass solche Fehleinschätzungen im Racing passieren können."
"Aber ich denke, in den kommenden Tagen werden wir durch diese Gespräche herausarbeiten, was nötig ist, um künftig sicherzustellen, dass wir beim Racing die nötigen Sicherheitsabstände wahren." Aber eben mit freiem Racing und ohne Stallorder.
Und ein Gutes hat der Vorfall für ihn dann doch: "Die Erfahrung, so etwas tatsächlich zu erleben - nicht nur theoretisch darüber zu sprechen, auch wenn diese Gespräche sehr deutlich und wirkungsvoll waren - wird uns als Team stärker machen."