Warum Aston Lance Stroll nicht ersetzen darf und es eine FIA-Verwarnung gab
Lance Stroll kann in Barcelona verletzungsbedingt nicht fahren, aber warum darf Aston sein Cockpit jetzt nicht nachbesetzen? Die Erklärung steht im Reglement ...
(Motorsport-Total.com) - Lance Stroll hat sich am Samstag als 14. für den Grand Prix von Spanien qualifiziert, musste jedoch seine Teilnahme am Rennen aufgrund von Schmerzen in Hand und Handgelenk kurzfristig zurückziehen. Die Beschwerden sind Spätfolgen eines medizinischen Eingriffs, den er nach einem Fahrradunfall vor Beginn der Saison 2023 hatte vornehmen lassen.

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Felipe Drugovich hätte nur einspringen dürfen, wenn die Entscheidung vor dem Qualifying gefallen wäre Zoom Download
Der Rückzug kam jedoch zu spät, um noch einen Ersatzfahrer einzusetzen. Zwar verfügt Aston Martin mit dem Formel-2-Meister von 2022, Felipe Drugovich, über einen eigenen Ersatzpiloten. Auch der zehnfache Grand-Prix-Sieger Valtteri Bottas, derzeit als Ersatzfahrer für Mercedes im Einsatz, stünde theoretisch zur Verfügung. Doch das Sportliche Reglement ist in Bezug auf Fahrerwechsel während eines Rennwochenendes eindeutig.
Artikel 32.1 erlaubt es den Teams, während einer Saison maximal vier verschiedene Fahrer in Rennen einzusetzen. Doch an einem gewöhnlichen Grand-Prix-Wochenende darf ein Fahrerwechsel nach dem Qualifying nicht mehr erfolgen.
Artikel 32.2 führt aus: "Vorausgesetzt, dass ein nach dem Ende der technischen Abnahme vorgeschlagener Fahrerwechsel von den Sportkommissaren genehmigt wird, darf ein solcher Wechsel vorgenommen werden" erstens "bei Veranstaltungen ohne Sprintformat jederzeit vor Beginn des Qualifyings", und zweitens "bei Veranstaltungen mit Sprintformat entweder vor dem Beginn des Sprint-Qualifyings (für Fahrer, die am Sprint teilnehmen sollen) oder vor Beginn des Qualifyings (für Fahrer, die am Rennen teilnehmen sollen). Zusätzliche Änderungen aus Gründen höherer Gewalt werden gesondert geprüft."
Da Aston Martin den Rückzug Strolls erst am Samstagabend - also nach dem Qualifying - bekanntgab, war die zulässige Frist bereits verstrichen. "Lance hat in den vergangenen sechs Wochen über Schmerzen in Hand und Handgelenk geklagt, die laut seinem behandelnden Arzt auf den Eingriff von 2023 zurückzuführen sind", teilte das Team mit.
Bei dem von Aston Martin erwähnten Eingriff handelt es sich um die Operation an Strolls Handgelenk nach einem Fahrradunfall unmittelbar vor Beginn der Saison 2023. Eine Woche vor den Testfahrten in Bahrain zog sich Stroll bei einer Trainingsfahrt in Malaga unter anderem Frakturen an beiden Handgelenken und einen Zehenbruch zu. Dennoch nahm er am Saisonauftakt in Bahrain teil und kämpfte sich unter Schmerzen bis auf Platz 6 vor.
Inzwischen ist bekannt geworden, dass Stroll in den vergangenen sechs Wochen erneut unter chronischen Schmerzen an derselben Hand und demselben Handgelenk litt. Die genauen medizinischen Details sind vertraulich, doch grundsätzlich ist es nicht ungewöhnlich, dass nach dem Einsetzen von Metallimplantaten - selbst Jahre später - wiederkehrende Beschwerden auftreten, etwa aus neurologischen Gründen.
Strolls Zustand soll sich über die vergangenen Rennwochenenden hinweg immer wieder verändert haben, verschlechterte sich jedoch nach dem Qualifying in Spanien so stark, dass er sich in medizinische Behandlung begab. Wie das Team mitteilte, wird sich Stroll nun einem medizinischen Eingriff unterziehen, um das Problem dauerhaft zu beheben.
Eine häufig gestellte Frage lautet: Warum ist Stroll trotz der Schmerzen noch bis ins Qualifying gefahren, wohl wissend, dass ein Rückzug danach bedeutet, dass Aston Martin keinen Ersatzfahrer mehr einsetzen darf? Drugovich war vor Ort in Barcelona und hätte debütieren können - allerdings nur, wenn er vor dem Qualifying zum Einsatz gekommen wäre.
Dass Stroll dennoch bis zum Qualifying durchhielt, ist Ausdruck derselben Zähigkeit, die er bereits 2023 in Bahrain gezeigt hatte, als er mit zwei gebrochenen Handgelenken und einem Zehenbruch auf Platz sechs fuhr. Wie viele Rennfahrer wollte auch Stroll unbedingt bis zuletzt versuchen, im Rennen zu starten - in der Hoffnung, dass es irgendwie gehen würde, wie zuvor in Imola und Monaco.
Damals wurde sein Durchhaltewille mit Rang 6 belohnt, und auch in Barcelona zeigte er im Q1 eine solide Leistung und schaffte es unter die besten Zehn. In Q2 qualifizierte er sich schließlich auf Platz 14, bevor er realisierte, dass medizinische Hilfe nun Vorrang haben müsse.
"Ich denke, jeder erinnert sich an 2023, als Lance nach seinem Mountainbike-Unfall große Schmerzen hatte", sagt Aston Martins Einsatzleiter Mike Krack gegenüber SiriusXM. "Er ließ sich damals operieren, und in den letzten Wochen hat er immer wieder über Schmerzen geklagt, die nicht verschwanden. Im Gegenteil, sie wurden schlimmer. Und Lance ist ein Racer: Er hatte wahrscheinlich deutlich mehr Schmerzen, als er uns und seinem Ärzteteam gegenüber zugegeben hat."
"Gestern war dann der Punkt erreicht, an dem es einfach nicht mehr ging. Er hat sich sofort weiteren Untersuchungen unterzogen, und es wurde entschieden, dass es besser ist, nicht zu fahren. Fahrer sind harte Hunde, echte Racer. Wir haben 2023 gesehen, wie zäh Lance ist - und ich bin mir sicher, dass er auch diesmal mehr Schmerzen hatte, als er zugegeben hat. Ich muss immer schmunzeln, wenn Leute seinen Einsatz infrage stellen. Er wollte unbedingt fahren, und wenn jemand nach dem Qualifying selbst sagt: 'Ich muss mich untersuchen lassen', dann zeigt das, wie hart diese Jungs wirklich sind."
Wofür gab's dann auch noch eine Verwarnung?
Erst am Sonntagmorgen wurde dann seitens der Rennkommissare noch eine formelle Verwarnung dafür ausgesprochen, dass Stroll am Samstag, nach seinem Ausscheiden in Q2, nicht sofort an der FIA-Waage erschienen war, wie das eigentlich per Reglement vorgeschrieben ist.
Erst im Nachhinein übermittelte Aston Martin als Erklärung ein medizinisches Attest und ein Schreiben von Stroll, der auf Anraten der behandelnden Ärzte nicht zur Anhörung bei den Rennkommissaren erschienen war. In dem Schreiben stand, "dass er sich nicht sofort zum Wiegen begeben konnte, da er Schmerzen hatte und dringend medizinische Hilfe in Anspruch nahm. Er erschien zum Wiegen und in der Medienzone, sobald es ihm möglich war, und begab sich anschließend zur weiteren Untersuchung ins Medical Centre", heißt es in einem Statement der FIA.
"Der medizinische Bericht bestätigte, dass eine medizinische Beeinträchtigung an der rechten Hand und am Handgelenk des Fahrers vorlag, die einer Behandlung bedurfte. Uns wurde mitgeteilt, dass weitere medizinische Untersuchungen diese Diagnose bestätigten und dem Fahrer geraten wurde, nicht zu fahren und sich zu schonen. Das Team zog daraufhin Fahrzeug 18 zurück, da der Fahrer verletzungsbedingt nicht fahrtauglich war."
"Was den vorgeworfenen Regelverstoß betrifft, so ist klar, dass der Fahrer gegen die einschlägigen Vorschriften verstoßen hat, indem er nicht wie vorgeschrieben durch die Boxengasse zum Wiegen gefahren ist und sich nicht unmittelbar wiegen ließ. Die Wiegeprozeduren sind ein grundlegender Bestandteil des Reglements, das auf sportliche Fairness und Chancengleichheit abzielt. Sie müssen strikt eingehalten werden. Ein Verstoß dagegen kann schwerwiegende Folgen haben, bis hin zur Disqualifikation."
Eine solche sei allerdings obsolet gewesen, da Aston Martin Stroll von einer Teilnahme am Rennen ohnehin zurückgezogen hatte. Daher sagen die Kommissare: "Wir erkennen an, dass der Regelverstoß auf eine unerwartete und ernsthafte medizinische Beeinträchtigung zurückzuführen war. Die Gesundheit des Fahrers steht selbstverständlich an oberster Stelle."
"Dennoch hätte das Team die zuständigen FIA-Delegierten unverzüglich über die Situation informieren müssen, damit gegebenenfalls Unterstützung geleistet und die Beobachtung des Fahrers durch das FIA-Team erfolgen hätte können. Wir sprechen dem Team daher eine Verwarnung aus und weisen es eindringlich darauf hin, die FIA-Delegierten künftig bei unvorhergesehenen Umständen, die den Fahrer an der Einhaltung der Vorschriften hindern könnten, unverzüglich zu informieren."
Wie geht's jetzt mit Stroll weiter?
Das nächste Rennwochenende findet in zwei Wochen beim Grand Prix von Kanada statt. Strolls Heimrennen. Angesichts seines starken Willens, trotz der Beschwerden im Cockpit zu bleiben, wird er alles daransetzen, in Montreal wieder fit zu sein. Idealerweise rechtzeitig zum ersten Freien Training am Freitag, dem 13. Juni.
Ob dieser Zeitplan realistisch ist, lässt sich derzeit allerdings noch nicht sagen, wie das Team betont: "Ich bin Ingenieur, kein Arzt, also kann ich da keine Prognose abgeben", sagt Krack. "In solchen Situationen sollte man den medizinischen Experten und dem Betroffenen selbst mit Respekt begegnen. Sie werden gemeinsam die richtige Entscheidung treffen. Wir warten ab, wie sich die Lage entwickelt, und entscheiden dann entsprechend. In den nächsten Tagen stehen weitere Untersuchungen an, und dann sehen wir, wie es weitergeht."