
Liebe Formel1.de-Leser,
was aus einem einfachen Militärflughafen so alles werden kann! Der ehemalige britische Stützpunkt aus dem Zweiten Weltkrieg führt seit Jahrzehnten offiziell den Namen "Home of British Motor Racing". Kaum ein Grand Prix hat so viel Geschichte und Geschichten geschrieben wie das englische Rennen in Siverstone, 70 Meilen nördlich von London, in einer Gegend, in der heute noch problemlos reihenweise Edgar-Wallace- oder Miss-Marple-Filme gedreht werden könnten.
Hier ist die Zeit stehen geblieben - außer auf der Rennstrecke, dort rast alles gegen die Uhr. Die spleenigsten und verrücktesten Fans sowie zahlreiche Promis mischen sich hier in schöner Regelmäßigkeit unter das Publikum.
Ach ja, die Kleidung wird von den Fans nicht anhand des Wetters, sondern aufgrund des Kalenders festgelegt: Ab April ist Sommer befohlen. Das heißt: kurze Ärmel und kurze Hosen, auch bei gefühlten Minusgraden. Aufgewärmt wird sich mit alkoholischen Getränken oder Fish & Chips!
So kam es seinerzeit für uns bei RTL zum längsten Warmup aller Zeiten. Warmup? Ja, das war mal eine Veranstaltung am frühen Sonntagmorgen, bei der die Fahrer 30 Minuten lang das Auto auf das Rennen abstimmen durften. Unsere Sendung sollte circa 45 Minuten dauern, aber das englische Wetter - Dauerregen und Nebel - machten das Starten des Rettungshubschraubers unmöglich. Die Konsequenz: Verschiebung des Warmups um jeweils 30 Minuten, alle 30 Minuten.
Am Ende hatte wir fünf Stunden übertragen, allerdings ohne dass die Autos sich bewegten - ein Glück, dass im Anschluss das Rennen stattfinden konnte. Mit Gesprächen und Interviews sowie Kommentaren zum Wetter und zur Strecke sorgten wir für Knoten (in der Zunge) und Quoten. Die Zuschauer blieben auch bei Interviews mit Streckenposten und Greenkeepern am Fernseher.
Aus dem gutgemeinten Spaß des damaligen Mercedes-Motorverantwortlichen Mario Ilien ("Das Warmup kann nicht beginnen, weil Norbert Haug noch nicht an der Strecke ist" - gesprochen in mein Mikro) wurde übrigens eine Fehlmeldung im Schweizer Blick. Der Redakteur hatte den Ausspruch geglaubt!

© Lukas Gorys
Geduld war gefordert, an jenem Tag mit dem längsten Warmup der Formel 1. Bis vor wenigen Jahren war Geduld auch noch das zentrale Thema bei der An-und Abreise zur Rennstrecke. Bei meinem ersten britischen Grand Prix stand ich mit meinem Leihwagen noch abends um 20:00 Uhr bei laufendem Motor vor dem Haupteingang und hatte es soeben geschafft, nach zwei Stunden das Streckengelände zu verlassen. Dass die Briten das Anstehen lieben, ist mir schon bekannt, aber so?
Ein bisschen zu kurz kommt aus meiner Sicht die Kulinarik rund um die Rennstrecke. In den Pubs, von denen 90 Prozent auf die Namen "The Green Man" oder "Nags Head" hören, gelten auch heute noch Bier ohne Schaum und Hähnchenfleisch, innen roh und außen schwarz, als das Nonplusultra. Für das gediegene Essen sollte der Formel-1-Fan lieber in die größeren Orte ausweichen.

© Lukas Gorys
Dafür bietet das Programm an der Strecke beste Unterhaltung. Von der wohl berühmtesten Flugstaffel der Welt, den Red Arrows, bis hin zu den größten Stars nicht nur aus der britischen Sportwelt von einst und heute ist so ziemlich alles regelmäßig vor Ort! Ich erinnere mich an Pierce Brosnan, Lennox Lewis, die Beckhams, Arnold Schwarzenegger, Axl Rose, die Spice Girls, "Mr. Bean" Rowan Atkinson und viele mehr am Mikro. Lady Di hätte zu Lebzeiten fast unseren Kameramann in der Startaufstellung umgerannt.
Mittlerweile ist die Straßenführung und Beschilderung rund um Silverstone ebenfalls standesgemäß. Schließlich ist der Mitteleuropäer ja immer noch im Streit mit dem Linksverkehr auf der Insel. So ließ sich in der Vergangenheit ein RTL-Kollege schon kurz nach Verlassen des Flughafens London Heathrow in die Irre führen und folgte der Autobahn nicht in Richtung Norden, denn dort liegt Silverstone, sondern lenkte südlich ein. Bemerkt hat er den Fehler in grauer Vorzeit der Navigationssysteme erst dann, als er die Kreidefelsen von Dover und das Meer erblickte... So sorry!
See you in Silverstone:Euer