
Liebe Formel1.de-Leser,
der Sport lebt von und durch seine Fans. Das kann von Sportart zu Sportart oder auch von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Fußballfans sind in der Regel eher zu erhöhter Ausgelassenheit fähig als Schach-oder Bowling-Zuschauer. Der Motorsportfan dagegen zeichnet sich in der Regel durch sein technisches Fachwissen und teilweise hohe Reisebereitschaft aus. Die Schere zwischen den verschiedenen Formel-1-Ländern geht dabei weit auseinander und hat sich über die Jahre stark geändert.
Da ist zum Beispiel Monaco, der Glamour-Grand-Prix schlechthin. Nirgendwo kommen die Fans so nah an die Autos heran wie hier, und daraus resultierend ist die Stimmung wie beim Fußball. Naja, es gibt allerdings trotz der dort ansässigen Piloten, wie zum Beispiel Nico Rosberg, keine Heim- oder Auswärtsfans im herkömmlichen Sinne.
Die pure Stadionatmosphäre mit entsprechenden Heimfans gibt es sehr wohl in Hockenheim oder Silverstone. In Hockenheim sorgt das Motodrom spätestens seit den Erfolgen eines Michael Schumacher für eine einzigartige Kulisse. Feuerwerkskörper, La Ola und Tröten wie beim Fußballspiel, das gab es im Motorsport vor Schumacher nicht.
Die Motorsport-Puristen lieben das nicht so, der normale Fan dagegen bekommt ein Gänsehaut-Feeling der unvergesslichen Art. Auch im belgischen Spa genießt der wahre Fan die einzigartige Stimmung, die in diesem Fall von der Beschaffenheit der Strecke kommt und auch durch den regelmäßigen belgischen Landregen nicht getrübt wird. Die teilweise stundenlange Anfahrt gilt als Indiz dafür, dass der Grand Prix in den Ardennen bei den Zuschauern weiterhin sehr beliebt ist.

© Lukas Gorys
Eine Entwicklung hat der Circuit de Catalunya bei Barcelona mitgemacht. Anfangs blieben die eher auf motorisierte Zweiräder fixierten Spanier dem Ereignis fern - die Haupttribüne konnte als Badminton-Feld für die wenigen Fans zweckentfremdet werden. Mit dem Schumacher-Boom kamen zunächst die Deutschen, die die Rennstrecke als Wallfahrtsort anstelle von El Arenal wählten. Fernando Alonso war dann später der Grund, warum viele Iberer ihre Liebe vom Zwei- auf das Vierrad verlagerten.
Lobend hervorheben muss ich hier die sportverrückten Engländer, die seit eh und je bei Wind und Wetter die Tribünen in Silverstone füllen. Hier sind am Donnerstag, wenn kein Auto auf der Strecke fährt, schon mehr Zuschauer als am gesamten Wochenende bei so manchem Exoten-Grand-Prix wie Bahrain, China oder Indien.
Woran liegt das? An der fehlenden Tradition und am mangelnden Verständnis der Sportart. In Bahrain sieht man auch während der Trainingssitzungen häufig die wenigen Anwesenden draußen vor den Toren im Unterhaltungsbereich, wo sie entweder selbst im Simulator fahren oder einfach die Wasserpfeife rauchen. Da geht es nur um den olympischen Gedanken, dabei sein am Rennwochenende ist alles!

© Lukas Gorys
Auch für den Durchschnitts-Chinesen ist es schwierig, die vielen Fahrer und Autos auseinanderzuhalten. Wenn selbst in den USA in Indianapolis bei einer Autogrammstunde Ralf und Michael Schumacher verwechselt worden sind, wie soll das Ganze in Asien funktionieren? In Indien wussten viele Einwohner ja selbst kaum, wo die Rennstrecke war, sodass die arbeitende Formel-1-Bevölkerung teilweise zu Tempeln oder ins Kricket-Stadion chauffiert wurde.
Mit den Regeln ist es eben so eine Sache. Ich erinnere mich da an das Eröffnungsspiel der Fußball-WM 1994 in Chicago. Deutschland spielte gegen Bolivien, und ein amerikanischer Box-Promoter wohnte auf RTL-Einladung dem Großereignis bei. Nach drei oder vier Kurz-Tiefschläfen erkundigte er sich in der Halbzeit bei mir, was denn die wesentliche Idee des Fußball sei. Ähnlich ergeht es wohl vielen Angehörigen der sogenannten Exotenrennen. Es braucht einfach etwas länger, die ohnehin nicht ganz einfache Hightech-Sportart zu verstehen.
Und deshalb freue ich mich schon jetzt wieder auf den Saisonauftakt 2014 in Australien, wo der kompletten Stadt Melbourne - ebenso wie dem kanadischen Montreal - anzumerken ist, dass ein Sportereignis auf dem Terminplan steht und die Grundregeln verstanden werden. An dem Tag, an dem es an allen Schauplätzen so läuft, hätte die Formel 1 ihre angestrebte Perfektion auch in Sachen Stimmung erreicht. Da ist es auch egal, ob das Rennen morgens, mittags oder am Abend gefahren wird.
Euer,