Hintergrund: Elektronik in der Formel 1 seit den 1990ern
Während sich bei Formel-1-Fans beim Wort Hybrid-V6 die Geister scheiden, legen Renault-Ingenieure dar, wie enorm die Fortschritte in der Forschung sind
(Motorsport-Total.com) - "Leider mache ich die Regeln nicht, sonst hätten wir einen schönen V12 im Heck und die Batterien wären im Handy, da wo sie hingehören", wetterte Sebastian Vettel einst im März 2014. Die Tage seiner Formel-1-Dominanz waren gerade gezählt und viele Fans waren irritiert wegen des dumpfen und leisen Klangs der neuen Hybrid-Generation. Ganz anders verhält es sich mit der Wahrnehmung aus Sicht der Elektronikingenieure, die zum Teil schon im vierten Jahrzehnt in Folge der Königsklasse arbeiten und die die Elektronik schon von dem Zeitpunkt an kennen, an dem die ersten Gehversuche mit Traktionskontrollen und aktiven Radaufhängungen getätigt wurden.
"Die größte Evolution fand statt, als der Motor mit dem Chassis, der Radaufhängung und dem Getriebe 'zu sprechen' begann", erzählt Christian Neyrat. Der 51-Jährige begann im Februar 1989 für Renault in der Formel-1-Entwicklungsabteilung zu arbeiten und ist dort bis heute tätig. Damals teilte er sich den Arbeitsplatz mit nur einem weiteren Kollegen. Mittlerweile ist seine Elektronik-Abteilung so komplex geworden, dass sie aus 30 Leuten besteht.
Die Elektronik in den Kinderschuhen
"Das Auto war extrem fortschrittlich. Es hatte eine aktive Radaufhängung, die sich an die Strecke anpasste. Die Wagenhöhe sowie die Kurvengeschwindigkeit passte sich auch elektronisch an. Es war der Dialog zwischen Chassis und Getriebe, der die Dinge veränderte und den Weg für viele Verfeinerungen bei elektronischen Kontrollsystemen ebnete", fährt Neyrat über die 1990er fort, als Renault das Weltmeisterteam Williams mit Motoren ausrüstete. Nach der Saison 1993 versuchte die FIA, dem Treiben einen Riegel vorzuschieben, indem sie die Traktionskontrolle, das aktive Fahrwerk sowie elektronische Fahrhilfen verbot.
Laptops an der Strecke statt Aktenordner
Ein Testverbot von heute wäre für den Franzosen damals undenkbar gewesen: "Durch die Situation waren Testarbeiten an der Strecke elementar, da es unsere einzige Möglichkeit war, die Kontrollsysteme sowie das Motormapping zu verbessern und zu kontrollieren, ob alles in Ordnung ist." Der Vergleich zum 21. Jahrhundert liegt nahezu auf der Hand: "Heute können wir alles im Labor und am PC simulieren. Wir verfügen über Computer, die imstande sind, ganze Runden zu simulieren und verschiedene Szenarien durchspielen, bevor wir überhaupt auf dem Prüfstand sind. Aber auch die Prüfstände wurden weiterentwickelt. Damals konnten sie nicht das Verhalten eines Motors reproduzieren, der mit dem Getriebe verbunden war."
Dann kam das Internet, das die Arbeit der Ingenieure veränderte. "Als ich anfing, mussten wir alles mitnehmen, wenn wir zur Strecke fuhren, da es dann fast keine Kommunikation mit der Fabrik gab. Du hattest das Telefon und das wars", schildert Neyrat den immer unbedeutenderen Stellenwert von Papier: "Heute kommst du zur Strecke, schließt deinen Laptop an und es ist fast so, als wärst du in der Fabrik."
Neyrat: "Hybrid war eine richtige Revolution"
"Zudem ist es ein Turbomotor, der an elektrische Motoren gekoppelt ist. Eine zusätzliche Herausforderung bestand darin, mit den Einschränkungen bei der Batterie durch das Regelwerk zurechtzukommen. Zu Zeiten von V10- und V8-Motoren hatten wir diese Einschränkungen nicht."
"Alles, was Motorenmanagement oder elektronischen Energieverbrauch betrifft, war ein großer Schritt mit Blick auf die Strategie", erläutert der 51-Jährige seine Spielwiese und nimmt noch einmal Bezug auf die 1990er: "Ganz am Anfang waren wir fünf Leute, die sich um alles kümmerten, was mit der Elektronik zusammehing: Anschlüsse, Software, Telemetrie."
Optimierte Programmiersprachen
Um bei der Software und Telemetrie schritthalten zu können, setzt Renault auf ein Team mit einer hohen Alterspanne. Einerseits bringt Personal wie Neyrat langjährige Formel-1-Erfahrung mit, andererseits ist er bei der Software und bei Programmiersprachen auf seine jüngeren Kollegen angewiesen: "Als wir anfingen, programmierten wir den Quellcode in Maschinensprache. Heute haben sich die Codes weiterentwickelt. Wir schreiben sie in einer weit grafischer ausgerichteten Programmiersprache. Sie ist viel durchdachter und weit zugänglicher."
Aufgrund dessen gestaltete sich auch sein Studium in den 1980ern anders: "Wenn man einen Techniker oder Ingenieur von heute frisch von der Universität nimmt, hat er durch sein Studium ein gutes Grundverständnis in Sachen elektronische Kontrollsysteme. Das war zu meiner Zeit nicht der Fall, als das noch ein mysteriöser Bereich - reserviert für Spezialisten - war. Und heute kommen viele junge Leute, die kommen und automatisch wissen, was zu tun ist."
Hat der Saugmotor ausgedient?
Dafür, dass sich die Formel 1 diesem Prozess nicht entziehen kann, führt Souza einen gewichtigen Grund an: "Zwar ist die Formel-1-Technologie im Verhältnis zu ihrer Entwicklung sehr teuer, doch das Verhältnis von Kilowatt-Leistung pro Kilogramm ist doppelt so hoch wie das, was die Flugzeugindustrie in zehn Jahren verwenden wird. Das große Thema wird die Speicherung von Energie sein", erwähnt der Brasilianer abschließend auf einen Forschungsbereich, bei dem er noch viel Nachholbedarf sieht.