Meinung: Kann sich Mercedes die Bottas-Ergebnisse leisten - ja oder nein?
Die Redakteure von Motorsport Network diskutieren, wie Mercedes mit den schwachen Resultaten von Valtteri Bottas in der Formel-1-Saison 2021 umgehen muss
(Motorsport-Total.com) - Valtteri Bottas fährt bereits seit 2017 an der Seite von Lewis Hamilton bei Mercedes, meist als dessen "Nummer zwei". Und diese Rolle spielte Bottas gut, indem er wichtige Punkte zur Gesamtausbeute seines Teams beitrug und mithalf, weitere WM-Titel zu gewinnen. Dieses Jahr aber präsentiert sich Bottas weniger konkurrenzfähig als vorher.
© Motorsport Images
Valtteri Bottas in der Pressekonferenz in Le Castellet vor dem Frankreich-Grand-Prix Zoom Download
Kann Mercedes diese schwachen Ergebnisse tolerieren? So denken die Redakteure von Motorsport Network darüber!
JA: Kevin Turner/Autosport.com (England)
"Ich denke, die Frage ist so früh in der Saison ein bisschen hart formuliert. Ja, Bottas hat in Aserbaidschan zu wenig Leistung gebracht. Doch in Monaco war auch Lewis Hamilton in Problemen gewesen. Der Mercedes W12 ist ganz offenbar ein Auto, aus dem man nicht so einfach das Beste herausholen kann."
"Ein guter Nummer-zwei-Fahrer sollte zwischen 60 und 80 Prozent der Punkte des Nummer-eins-Fahrers erzielen. Bisher hat sich Bottas bei Mercedes immer in diesem Spektrum bewegt. Und das wäre auch dieses Jahr der Fall, wenn er in Monaco Zweiter geworden wäre. Dort aber ist er aufgrund eines Radmutter-Problems ausgefallen."
"Weder Mercedes noch Bottas selbst 'akzeptieren' das Abschneiden, zumal der Druck dieses Jahr größer ist, weil Red Bull weitaus stärker wirkt. Bottas ist zweifelsohne besser als das, was wir in Baku gesehen haben. Es gibt keinen Grund zur Panik."
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"Allerdings muss Mercedes bald mit seinen Zukunftsplanungen beginnen. Denn wir sehen 2021 sicherlich die letzte Saison mit Hamilton und Bottas als Teamkollegen bei Mercedes."
NEIN: Benjamin Vinel/Motorsport.com Frankreich
"Bisher war die schwächere Leistung von Valtteri Bottas im Vergleich zu Lewis Hamilton praktisch kein Problem für Mercedes. Denn die Dominanz der Silberpfeile war überwältigend. In den vergangenen vier Jahren hat das Team die Titel in der Fahrer- und in der Konstrukteurswertung jeweils recht einfach gewinnen, obwohl Bottas zwischen 58 und 151 Punkte auf Hamilton fehlten."
"Der aktuelle Zwischenstand in der Fahrer-WM lässt Bottas in keinem guten Licht erscheinen. Es fehlen ihm nämlich nach nur sechs Rennen bereits 54 Punkte auf Hamilton. Allerdings muss man festhalten: Zwei Ausfälle dürften ihn schon 20 Punkte gekostet haben. Man muss aber auch sagen: In den jüngsten zehn Rennen hat Bottas überhaupt nur 73 Punkte geholt, und damit weniger als Sergio Perez, Lando Norris oder Carlos Sainz."
"Ein großer Faktor ist natürlich, dass Bottas nicht mehr einfach weit vorne fährt. Red Bull ist dieses Jahr auf Augenhöhe unterwegs mit Mercedes und bei Red Bull gibt Sergio Perez einen wesentlich besseren 'Flügelmann' für Max Verstappen ab, als es Pierre Gasly und Alex Albon je waren."
"Das Rennen in Baku ist ein perfektes Beispiel: Perez war konkurrenzfähig genug für den Sieg, nachdem Verstappen ausgefallen war und Hamilton einen Fehler gemacht hatte. Bottas aber hing im Mittefeld fest, nach einer katastrophalen ersten Runde nach dem Re-Start, wo er binnen einer Runde ganze vier Positionen verloren hatte."
"Und so wuchs der Rückstand von Mercedes auf Red Bull in der Konstrukteurswertung weiter an. Bottas für 2022 gegen einen anderen Fahrer auszutauschen, zum Beispiel gegen George Russell, erscheint da als die derzeit beste Option."
UNENTSCHLOSSEN: Basile Davoine/Motorsport.com Frankreich
"Ein Team wie Mercedes kann mit dem Niveau von Valtteri Bottas in der Anfangsphase der Saison 2021 sicherlich nicht zufrieden sein. Das ist klar. Was den Verantwortlichen am meisten Sorgen machen dürfte: Bottas' schwache Vorstellung beim jüngsten Rennen in Baku, wo er im Rennen praktisch gar nicht in Erscheinung getreten ist. Er war so schwach, dass er es nicht mal in die Top 10 geschafft hat!"
"Man kann aber auch sagen, das Rennen in Baku hat einen Gesamtkontext aufgezeigt. Natürlich hat sich der Abstand zwischen Bottas und Hamilton vergrößert. Aber kann man Bottas wirklich mit einem siebenmaligen Weltmeister vergleichen? Auch wenn Hamilton eine Siegchance weggeworfen hat, er hatte bis zu diesem Punkt bewiesen, dass er schlicht alles aus einem Auto herausholen kann, oder noch mehr. Wer könnte daran Zweifel haben, wenn man zum Beispiel den Singapur-Grand-Prix 2017 bedenkt?"
"Außerdem erscheint es relativ unfair, Bottas so schnell zu beschuldigen. Auch hier kommt es auf den Kontext an: Viele Fahrer wären geschwächt durch die ständigen Einjahresverträge und durch das, was 2020 in Sachir und 2021 in Imola mit George Russell vorgefallen ist."
"Viel entscheidender ist aber: Man kann nicht auf der einen Seite die Leistung von Hamilton loben (wenn auch zurecht!) und auf der anderen Seite vernachlässigen, dass es Bottas in den vergangenen Jahren mehrfach gelungen ist, im Qualifying auf Augenhöhe mit Hamilton zu fahren. Außerdem arbeiten die beiden gut zusammen. Kopfschmerzen, wie sie Toto Wolff in der Zeit mit Hamilton und Rosberg hatte, gibt es jetzt eben keine."
NEIN: Jacobo Vega/Motorsport.com Spanien
"Es war okay in den vergangenen Jahren, weil Mercedes auf der Strecke keine echten Gegner hatte. Dieses Jahr aber wird Bottas' Leistung nicht ausreichen, um dem Team zu helfen, beide Titel zu gewinnen - wenn er sich nicht steigert."
"Insgesamt betrachtet war Bottas in seiner Mercedes-Zeit bisher schwach unterwegs, mit einzelnen herausragenden Momenten, vor allem im Qualifying. In der Saison 2021 allerdings wirkt es schlimmer. Es sieht so aus, als wäre er ein bisschen ratlos. Ich bin mir nicht sicher, ob das so ist, weil er vielleicht schon weiß, dass er 2022 nicht bleiben kann. Seine Leistung ist in jedem Fall nicht akzeptabel für ein Team, das um den Titel kämpft."
JA: Christian Nimmervoll/Motorsport.com Deutschland
"Um ehrlich zu sein: Ich erkenne keine permanente Schwäche bei Bottas. Ja, er hat gelegentlich Wochenenden wie Imola oder Baku, wo er völlig neben der Spur ist. Das hängt aber meist mit dem sehr kleinen Arbeitsfenster zusammen, in dem am Mercedes die Reifen gut funktionieren."
"Ich bin mir sicher, Valtteri gehört zu den acht besten Fahrern in der Formel 1. Das macht ihn zu einer sehr, sehr guten Nummer zwei. Er kann Lewis Hamilton beim reinen Speed die Stirn bieten. Und wenn Lewis nicht sein Teamkollege wäre, hätte Bottas sicher schon einen Titel gewonnen."
"Er ist nicht vom gleichen Schlag wie Hamilton, Verstappen oder Leclerc. Als Nummer zwei muss er das aber auch nicht sein. Er ist der perfekte Teamplayer und der beste zweite Fahrer, den Lewis haben kann, um seinen achten Titel zu gewinnen. Außerdem kann er gute Punkte für die Konstrukteurswertung sammeln."
"Doch auch wenn er seine Rolle bei Mercedes nahezu perfekt spielt, glaube ich nicht, dass er 2022 noch bei Mercedes sein wird. Toto Wolff hat George Russell schließlich die Beförderung versprochen, wenn die Zeit gekommen ist. Und würde Wolff Russell ein weiteres Jahr hinhalten, dann würde sich Russell fast sicher anderweitig nach einem Cockpit umsehen. Teams wie Red Bull wären dumm, würden sie sich Russell durch die Finger gehen lassen, sollte sich dieser nach neuen Karriereoptionen umsehen."
"Wenn Mercedes also langfristig an Russell festhalten will, und das glaube ich, dann bedeutet das wohl das Ende für Bottas im Werksteam. Und: Es ist unwahrscheinlich, dass Bottas eines der guten Cockpits für 2022 ergattern kann. Das könnte wiederum das Ende seiner Karriere als Spitzenfahrer in der Formel 1 bedeuten."
NEIN: Guillaume Navarro/Motorsport.com Frankreich
"Ich persönlich würde einen Fahrerwechsel bei Mercedes zugunsten der Meisterschaft begrüßen. Denn ich halte es für nicht akzeptabel, dass der Titelkampf 2021 schon ohne einen der beiden Mercedes-Fahrer stattfindet, und das nach nur einem Viertel der Rennsaison. Sollte Bottas am Ende noch Dritter werden, könnte er seine Saison wohl noch als 'gerettet' bezeichnen."
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Mercedes-Technologiedirektor Mike Elliott analysiert den Baku-GP und erklärt, was es mit dem "magischen" Bremsknopf auf sich hat und wieso Valtteri Bottas so unterlegen war. Weitere Formel-1-Videos
"Bottas' nicht vorhandene Leistung in Baku hat den gleichen Nachgeschmack hinterlassen wie in Imola: Er hat es im Qualifying vermasselt und war generell hilflos unterwegs im Rennen. So wurde er zu einem Ziel für Teams aus dem Mittelfeld. Positiv anrechnen kann man Bottas: In Bahrain, Monaco, Spanien und Portugal hatte er bessere Wochenenden, war aber trotzdem nur ein theoretischer Gegner für die beiden großen Titelrivalen."
"Das ist in diesem Jahr sein großes Problem: Er erweckt nicht den Eindruck, nicht mal nur gelegentlich, dass er etwas Besonderes zeigen könnte. So kommt er den Illusionen, die nur er sich zu machen scheint, natürlich auch nicht näher."
"Natürlich gibt es unendlich viele Faktoren, die ein Grand-Prix-Wochenende ausmachen. Deshalb kann man gelegentliche Hoch- und Tiefpunkte eines Fahrers auch mal verkraften. Was aber einen Titelkandidaten von bloßen Grand-Prix-Siegern und anderen Fahrern unterscheidet (und zwar über das Material hinaus), sind einerseits die Konstanz und andererseits die Fähigkeit, konstant und allen Widrigkeiten zum Trotz die Leistung auf den Punkt zu bringen. Dass man auch mal zur Stelle ist und die Schwäche eines Gegners oder günstige Gelegenheiten im Rennen wahrnehmen kann."
"Anhand dieser über längere Zeit beobachteten Muster zeigen sich ein paar Fahrer, die kontinuierlich herausragende Leistungen bringen und Chancen nutzen. Anderen wiederum fehlt vielleicht nur die perfekte Umgebung, um zu einer echten Gefahr zu werden. Letzteres trifft zum Beispiel auf Max Verstappen oder Charles Leclerc zu. Gasly und Norris mausern sich in diese Richtung. Auch Daniel Ricciardo zählte zu dieser Gruppe, vor allem zu seiner Red-Bull-Zeit."
"Mercedes scheint jetzt nicht mehr einfach nur das beste Auto zu haben. Und da wird umso mehr deutlich, wie groß die Schwierigkeiten von Bottas sind, auf das für ein Topteam erforderliche Niveau zu kommen. Weil er in der Vergangenheit ein schnelles Auto hatte, kam er trotz manch lustloser Vorstellung vor den genannten Rivalen ins Ziel. Dieses Jahr aber wirft ihn das weiter zurück, weg vom Podium und manchmal bis ans Ende der Top 10. Und das kann den Wunsch nach Veränderungen bei Mercedes und bei den Beobachtern nur verstärken, und das völlig zu Recht."
UNENTSCHLOSSEN: Oleg Karpow/Motorsport.com Russland
"Ich würde nicht sagen, dass Valtteris Ergebnisse inakzeptabel sind. Es gibt ganz klar einen Trend bei ihm, wonach er sich auf manchen Strecken und unter bestimmten Bedingungen mit dem Aufwärmen der Reifen schwertut. Andererseits stellt er zweifelsohne die fast ideale Nummer zwei für Lewis Hamilton und Mercedes dar. Er ist nicht politisch. In fünf Jahren im Team gab es nie eine Kollision zwischen den beiden Mercedes-Fahrern. Und Bottas hat in dieser Zeit seinen Beitrag zu den Titeln geleistet. Ich habe auch keinen Zweifel, dass Lewis ihn gerne weiter als Teamkollegen haben will."
"Ich glaube aber, die Zeit ist reif, dass Bottas geht - aus einem einfachen Grund: Mercedes muss an die Zukunft denken. Und Valtteri ist nicht die Zukunft. Nicht mal Hamilton ist die Zukunft, sondern George Russell. Nach dessen starkem Auftreten in Sachir 2020 wäre es schlicht sinnlos, ihn bei Williams zu belassen. George ist bereit, um Rennen zu gewinnen. Kein Zweifel. Er hat das im vergangenen Dezember bewiesen."
"Bottas ist kein schlechter Fahrer. Er ist auch nicht schlechter oder besser als vergangenes Jahr oder im Jahr davor. George aber hat das Potenzial, ein Superstar zu werden. Das ist der Hauptgrund, weshalb Mercedes Platz machen sollte für Russell."
NEIN: Jose Decelis/Motorsport.com Spanien
"Nein, das geht nicht. Dieses Jahr hat Red Bull zwei wirklich gute Fahrer. Mercedes braucht Bottas in jedem Rennen, um zu verhindern, dass Hamilton im Kampf gegen Verstappen und Perez auf sich allein gestellt ist. Mercedes hat wahrscheinlich schon in Kürze wieder das beste Auto, sodass Hamilton aus eigener Kraft Rennen gewinnen kann, ohne auf die Hilfe einer Nummer zwei angewiesen zu sein. Doch wenn Mercedes die Konstrukteurswertung gewinnen will, dann brauchen sie Bottas."
"Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob Hamilton Bottas gegen einen stärkeren Fahrer austauschen will, der ihm dann sogar noch Punkte wegnehmen könnte ..."