• 18. April 2017 · 08:20 Uhr

"Popstar" Jochen Rindt: Der Traum währt nur einen Sommer

Jochen Rindt ist heute eine Legende, obwohl er nur einen Sommer lang von Sieg zu Sieg fuhr: Die Chronologie der Lotus-Ära, die ihn schließlich das Leben kostete

(Motorsport-Total.com) - Eine der faszinierendsten Facetten von Jochen Rindts Karriere: Ein Jahr vor seinem Tod hatte er kein einziges Formel-1-Rennen gewonnen. Und im Sommer 1970 schien der 28-Jährige dann plötzlich überhaupt nicht mehr zu bremsen zu sein. Vier seiner sechs Grand-Prix-Siege holte er in nur sechs Wochen. Der Schlüssel zum Erfolg war der Wechsel zu Colin Chapmans umstrittenem Lotus-Team, der ihn schließlich auch das Leben kostete.

"Bei Lotus werde ich entweder Weltmeister oder ich gehe drauf", hatte Rindt nach der Unterschrift bei Lotus als erster Zentraleuropäer geahnt. Dass sich seine Befürchtungen bewahrheiten könnten, zeigte sich schon beim zweiten Lotus-Rennen 1968 im Montjuich-Park in Barcelona. Die Teams hatten damals auf riskante, hohe Flügelkonstruktionen gesetzt, die bei Graham Hill und Jochen Rindt brachen.

Elf Runden nach dem Crash des Teamkollegen versagte beim 27-Jährigen bei Tempo 230 der Flügel, Rindts Lotus rutschte auf die Leitplanke, donnerte in den am Streckenrand geparkten Hill-Lotus, überschlug sich und blieb kopfüber liegen. Rindt, der von Hill rundenlang per Handzeichen gewarnt worden war, kam mit einem Nasenbruch und einer schweren Gehirnerschütterung glimpflich davon.

Rindt legt sich schon beim zweiten Lotus-Rennen mit Team an

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Rindt ahnte, dass die abenteuerlichen Flügel nicht halten würden Zoom Download

Der Lotus-Neuling hatte die Katastrophe kommen sehen und dem Reporter Mike Doodson der damals einflussreichen britischen Zeitschrift "Motoring News" vor Barcelona ein Interview gegeben, um auf die Gefahr aufmerksam zu machen. "Jochen kam damals gezielt auf meinen Kollegen Mike zu", erinnert sich der renommierte britische Journalist David Tremayne, der die Rindt-Biographie "Uncrowned King" schrieb. "Er wusste, dass es ein Problem geben würde."

Interessant: Das Interview mit Rindts Warnung vor den gefährlichen Flügelkonstruktionen wird tatsächlich in der Ausgabe vor dem Spanien-Grand-Prix abgedruckt, in der Ausgabe danach kommt Hill zur Flügel-Affäre zu Wort. "Das Timing ist interessant", sagt Tremayne. "Teamchef Chapman bestand darauf, dass die Seite von Lotus dargestellt wird. Und Graham war der Lotus-Mann. Das erklärt auch die schwierige Beziehung zwischen Chapman und Jochen." Dass ein Fahrer dermaßen klar gegen sein Team Stellung bezog, war schon damals unüblich.


Montjuich: Die Lotus-Flügelbrüche von Hill und Rindt

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Dennoch etablierte sich Rindt bei Lotus als der schnellere Mann und hatte Hill meist im Griff. Nur Technikdefekte vereitelten seinen Premierensieg: In Zandvoort brach die Halbwelle, in Silverstone brachte er den späteren Champion Jackie Stewart im Matra im für viele größten Rennen aller Zeiten unter Kontrolle, wurde dann aber Opfer eines Heckflügelschadens.

Silverstone 1969: Das größte Rennen aller Zeiten

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Rindt und Stewart überholten einander in Silverstone 1969 über 30 Mal Zoom Download

Mit diesem Rennen beeindruckte er auch Chapman nachhaltig. "Das war der ultimative Ausdruck des wahren Grand-Prix-Sports, bis heute", schwärmt Tremayne. "Stewart und Rindt überholten einander drei Mal pro Runde - und laut Stewart insgesamt über 30 Mal. Sie hatten uneingeschränkten Respekt voreinander und machten vorher schon aus, wo sie einander überholen werden."

In der Windschattenschlacht von Monza 1969 - also ein Jahr vor der Katastrophe - scheiterte Rindt um nur acht Zehntelsekunden an Stewart und damit am Sieg, weil er glaubte, das Rennen würde noch eine Runde länger dauern. Noch nie war er dem Sieg so nah. Zwei Grand Prix später - in Watkins Glen - platzte dann aber der Knoten, und es kam exakt elf Monate vor Rindts Tod zum überfälligen Triumph im 49. Rennen.

Fette Belohnung für ersten Triumph in Watkins Glen

"Typisch Jochen", grinste Stewart damals. "Er gewinnt ausgerechnet bei dem Rennen, wo es am meisten Preisgeld gibt." 50.000 US-Dollar waren dem Mann, der "der größte Name im Motor-Business" werden wollte, sicher. Und er erhielt per Post den roten Rauschebart von Formel-1-Reporter Dennis Jenkinson. Der hatte um seine legendäre Haarpracht gewettet, dass Rindt nie einen Grand Prix gewinnen werde. Gleichzeitig erhielt der Sieger eine erneute Warnung: Der nicht angeschnallte Teamkollege Hill war wegen eines Reifenschadens bei seinem Lotus aus dem Cockpit geschleudert worden und brach sich beide Beine.

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Erstmals Grand-Prix-Sieger: Rindt 1969 in Watkins Glen mit Freund Piers Courage Zoom Download

Damit war Rindt 1970 die klare Nummer 1 bei Lotus. Doch der Favorit vieler kam nur langsam in die Gänge. Beim Saisonauftakt in Kyalami von Jack Brabham aus dem Rennen geschoben und dabei wild abgeflogen, versprach ihm Chapman für das zweite Saisonrennen in Madrid den neuen, revolutionären Lotus 72 - sein späteres Unglücksauto. Schon im Training ereignet sich der erste Crash, im Rennen schied Rindt mit Zündungsproblemen aus.

Rindt weigerte sich daraufhin, in den mit seiner Keilform und den Kühlern in den Seitenkästen bahnbrechenden Boliden einzusteigen und feierte seinen ersten Saisonsieg im alten Lotus 49 - ausgerechnet in Monaco. Rindt, der mit Ecclestone eine Jacht teilte und dort seekrank wurde, hatte große Anlaufschwierigkeiten und war zunächst eingeklemmt im Pulk.

Seekrank in Monaco: Rindt feiert größten Sieg

In der zweiten Rennhälfte startete er eine Aufholjagd und pulverisierte dabei sogar die Pole-Position-Zeit mit Abstand. Damit setzte er Leader Jack Brabham dermaßen unter Druck, dass dieser in der letzten Kurve den Sieg wegwarf. "Meine Nerven haben versagt", meinte der Australier.


Die legendäre letzte Runde in Monaco 1970

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Nach dem Monaco-Wochenende verunglückte Rindts ehemaliger Cooper-Teamkollege, der äußerst zuverlässige Bruce McLaren, in Goodwood bei einem Crash tödlich, weil ihm wegen eines Berechnungsfehlers des Teams die Heckverkleidung wegflog. Das machte den Sieger nachdenklich: "Wenn einer keine Unfälle hat, dann er."

Bruce McLaren und Piers Courage: Zwei Tote in nur 19 Tagen

In Spa verzichtet Rindt erneut auf den Lotus 72, was zu einem Bruch mit Chapman führt. Freund Bernie Ecclestone spielte für die beiden stille Post. "Es war absurd", erinnert sich der Brite. "Wir waren im gleichen Hotel, und ich eilte von Zimmer zu Zimmer und überbrachte Nachrichten, weil die beiden nicht miteinander reden wollten".

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Nachdenklicher Jochen Rindt: Beim Sieg in Zandvoort stirbt Piers Courage Zoom Download

Mit dem Sieg in Zandvoort, als Rindt den stark verbesserten Lotus 72 dann doch einsetzte, begann die große Siegesserie. Doch es war ein trauriger Triumph, weil sein vielleicht bester Rennfahrerfreund Piers Courage bei einem Feuerunfall ums Leben kam. "Ich sah ein brennendes Auto und den blauen Helm daneben", erklärte Rindt, woher er wusste, wen es getroffen hatte. Auf dem Podest kämpfte er mit den Tränen, bei der Taxifahrt zum Flughafen mit Ecclestone dachte er laut über Rücktritt nach. Innerhalb von nur 19 Tagen waren zwei seiner Kollegen auf der Rennstrecke gestorben.

In Clermont-Ferrand der nächste Schock: Ein Stein traf Rindt im Training im Gesicht. Rindt trat trotzdem an, profitierte vom Motorschaden von Ferrari-Star Jacky Ickx und entschied das Rennen für sich. Auch in Brands Hatch profitierte Rindt vom Pech eines Kollegen: Jack Brabham ging der Sprit aus - angeblich weil Mechaniker Ron Dennis nur sieben statt acht Kanister einfüllte. Rindt feierte seinen dritten Saisonsieg.

Nach Siegesserie: Jochen-Rindt-Mania in Hockenheim und Zeltweg

Vor seinen zwei Heimspielen in Hockenheim, wo 1970 erstmals gefahren wurde und eine Rekordkulisse von 140.000 Zuschauern wartete, und Österreich ist Rindt klarer Titelfavorit. Und wurde zur absoluten Ikone: Die Fotos seiner kleinen Familie mit Model-Ehefrau Nina Rindt und Töchterchen Natascha im malerischen Haus am Genfer See mit Blick auf den Mont Blanc gehen um die Welt. "Jochen war überall", erinnert sich der spätere Porsche-Rennleiter Fritz Enzinger, der damals 14 Jahre alt war. "Ich erinnere mich noch gut an diese Fotos von Jochen und seiner hübschen Frau. Und Tochter Natascha im Bobby-Car. Ich habe sie aus der Zeitung ausgeschnitten und in ein Schulheft eingeklebt."

Auch als zigarettenrauchender Dandy ist Rindt omnipräsent. Ob coole Sixties-Hemden oder Fellmantel - Rindt wird zum Vorbild für viele. Ob das der Einfluss der Finnin an seiner Seite war? "Nein, er hat gekauft und getragen, was ihm gefallen hat", erinnert sich sein damaliger Freund, die Reporterlegende Heinz Prüller. "Sie hat ihn beraten, aber das war er schon selber."


Hockenheim 1970: Rindts Windschattenschlacht gegen Ickx

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In Hockenheim feierte Rindt seinen letzten Sieg - bei einem spektakulären Windschattenduell gegen Ickx im Ferrari. "It's Jochen!", schrie Teamchef Chapman bei der Zieldurchfahrt voller Begeisterung. Dass der vierte Sieg in Serie auch Rindts letzter sein würde, ahnte damals kaum jemand, denn in Österreich schien Rindt in dieser Tonart weiterzumachen: Zuerst fuhr er auf dem neuen Österreichring die Pole-Position, doch dann streikte der Ford-Motor an seinem Boliden.

Letzter Sieg auf dem Salzburgring

Rindts Rücktrittsgedanken mit Saisonende wurden nach dem Heimspiel wieder akut, weil er Chapman weiterhin nicht über den Weg traute, sechs Tage vor Monza fuhr er auf dem Salzburgring seine letzten zwei Formel-2-Rennen: Nach einem erneuten Motorschaden düpierte er im zweiten Lauf nach Start von ganz hinten das gesamte Feld und feierte einen umjubelten Sieg. Am 5. September verunglückte er in Monza in der Parabolica-Kurve.

Warum Rindt trotzdem Weltmeister wurde? Ausgerechnet Teamkollege und Nachfolger Emerson Fittipaldi gewann in Watkins Glen wie ein Jahr zuvor Rindt sein erstes Rennen und nahm Ickx damit jede Chance, den Rivalen noch einzuholen. Fünf WM-Punkte gaben am Ende den Ausschlag. GPDA-Boss und Kollege Joakim Bonnier hatte schon bei Rindts Begräbnis gesagt: "Ganz egal, was bei den verbleibenden drei Rennen passiert. Für uns ist Jochen der Weltmeister 1970."

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