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2005: Ein China-Grand-Prix für die Ewigkeit
Wie die chronischen Kanaldeckel-Probleme in Schanghai McLaren 2005 die Team-WM verhagelten und wieso Schumachers Leistung für Stuck "wirklich peinlich" war
(Motorsport-Total.com) - Kann McLaren nach der Niederlage in der Fahrer-WM trotz des besten Autos Renault zumindest am Triumph in der Konstrukteurs-WM hindern? Und lässt Michael Schumacher das Seuchenjahr nach fünf Titel in Serie doch noch versöhnlich ausklingen? Diese Fragen stellten sich 2005 vor dem Saisonfinale in China, dem insgesamt zweiten Gastspiel der Formel 1 auf dem Shanghai International Circuit.
Bis dahin war die Saison vom Duell zwischen Fernando Alonso im Renault und Herausforderer Kimi Räikkönen im McLaren geprägt gewesen, da Ferrari und Schumacher nach Jahren der Dominanz nach dem Verbot der Reifenwechsel unter den schwächelnden Bridgestone-Reifen litten. Räikkönen war zwar oft der Schnellere, doch zahlreiche Rückversetzungen wegen Motorschäden verhagelten ihm die WM: In Interlagos - also zwei Rennen vor Schanghai - hatte Alonso den Sack zugemacht.
Nach seinem Sensationsmanöver in Suzuka, als er Renault-Pilot Fisichella wenige Kilometer vor dem Ziel den Sieg entriss, reist Räikkönen aber auf der Erfolgswelle nach China. Und er brachte McLaren somit auf einen Rückstand von nur zwei Punkten an Renault heran. Auch der Blick zurück ist vielversprechend: McLaren holte in den 13 Rennen vor China zehn Siege.
Motorenvorteil für Renault
Dennoch gibt es Unsicherheit im Lager der britisch-deutschen Allianz: Die Renault-Motoren von Alonso und Fisichella sind frisch und müssen nur ein Rennen halten, während die Mercedes-Motoren bereits den zweiten Grand Prix vor sich haben. Zur Erinnerungen: Die Motoren müssen 2005 - im letzten Jahr der V10-Ära - erstmals zwei Renndistanzen durchhalten, was vor allem im Silberpfeil-Lager für rauchende Köpfe und Triebwerke sorgt.
Außerdem hat Renault bei den Motoren vor dem Finale noch einmal nachgebessert und liefert zusätzliche PS nach China. "Der Konstrukteurs-Titel wäre die schönste Belohnung für unsere Teammitglieder", sehnt sich Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug nach einem Lohn für die harte Arbeit, doch schon im Freien Training zeigen die Franzosen, dass sie unbedingt auch den zweiten Titel einfahren wollen.
Um McLaren strategisch auf die falsche Fährte zu locken, dreht man die Drehzahl im Training immer wieder nach unten und fährt ein unkonventionelles Programm, damit man bei McLaren glaub, dass Renault zumindest bei Alonso mit weniger Sprit ins Rennen geht. Für das Rennen ist allerdings das Gegenteil geplant.
Runde zum Startplatz: Schumacher verursacht Crash
Im Qualifying liegen über drei Zehntel zwischen den beiden, wodurch es Fisichella immerhin gelingt, die erste Startreihe zu komplettieren. Dahinter lauert Räikkönen, Juan Pablo Montoya ist mit über einer Sekunde Rückstand nur Fünfter. Auch bei McLaren deutet einiges auf mehr Sprit hin.
Bei Schumacher und Ferrari sieht es auch zu Saisonende nicht danach aus, als könnte doch noch der erste "echte" Saisonsieg (nach dem Triumph bei der Reifen-Farce in Indianapolis) gelingen: Nur Platz sechs. Und noch bevor das Rennen am Sonntag begonnen hat, bewegen sich die Chancen weiter in Richtung Nullpunkt: Auf dem Weg zum Startplatz donnert dem Rekordweltmeister Minardi-Pilot Christijan Albers ins Heck. Der Ferrari-Pilot humpelt mit gebrochener linker Vorderradaufhängung und Platten links hinten sowie ramponiertem Seitenkasten weiter, muss seinen Boliden aber abstellen.
In der Box bricht Hektik aus, und das Ersatzauto wird vorbereitet, Schumacher und Albers starten aus der Boxengasse. Was zunächst wie eine völlig unnötige Aktion des Niederländers aussieht, enpuppt sich nach genauerer Betrachtung als Fehler Schumachers. Der Kerpener hatte trotz des herannahenden Minardi abrupt die Spur gewechselt, ohne den anderen Boliden rund um ihn Aufmerksamkeit zu schenken, und somit das Ungemach provoziert. Das sehen auch die Rennkommissare so, die ihm eine Verwarnung aufbrummen.
McLaren stolpert über losen Kanaldeckel
Auch im Rennen kommt Schumacher nicht weit. Auslöser dafür ist ein Ereignis, welches den gesamten Grand Prix und schließlich die Konstrukteurs-WM mitentscheidet. Der viertplatzierte Montoya wird in Runde 18 Opfer eines lose gewordenen Kanaldeckels, der beim Überfahren vom Unterboden des McLaren-Boliden nach oben gesaugt wird.
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Der Kolumbianer scheint das Unglück im Jahr 2005 anzuziehen: Bereits in Ungarn erwischte Montoya auf dem Weg in die Startaufstellung einen Wagenheber, wodurch der McLaren-Boliden dermaßen beschädigt wurde, dass ein Ausfall nicht abwendbar war. Dass Montoya zum Zeitpunkt der Aufgabe um den Sieg kämpfte, passte perfekt zur Dramatik rund um den heißblütigen Instinktpiloten.
Diesmal sind bei Montoyas McLaren durch die Kollision mit dem 20 Kilogramm schweren Kanaldeckel, der zum Glück nicht den Kopf des Piloten traf, der linke Vorderreifen, die Seitenkästen und die Kühleinlässe beschädigt - der Ausfall sollte wenig später aber durch einen Motorschaden erfolgen. "Ich bin jede Runde über diesen Randstein gefahren", wundert sich Montoya. "Als es passierte, war ich nicht mal auf dem Randstein. Eine Runde später sah ich, wie die Trümmer herumlagen."
Kanaldeckel-Panne: In China nicht das erste Mal...
Auch für die chinesischen Rennbetreiber ist der Kanaldeckel-Zwischenfall keine Premiere: Bereits beim V8-Supercar-Lauf auf dem Shanghai International Circuit im Juni wurde der Unterboden des Autos von Mark Winterbottom völlig zerfetzt.
Und Streckenarchitekt Hermann Tilke verrät, dass die Chinesen mit den Kanaldeckeln schon bei der Formel-1-Premiere im Jahr 2004 schlampten. Schon damals erkannte man bei der Überprüfung 20 defekte Halteklammern der metallenen Kanaldeckel, " die wir dann vor dem ersten Grand Prix getauscht haben." Diesmal schien bei der Überprüfung alles in Ordnung - eine Fehleinschätzung. "Entweder liegt ein Materialfehler vor, oder die Klammer wurde falsch eingebaut. Während der Safety-Car-Phase wurde eine neue Klammer eingebaut und die gleiche Platte wieder reingelegt."
Schumachers "peinliches" Saisonende mit Schrecken
Während die Chinesen also versuchen, ihre gefährliche Panne in den Griff zu kriegen, überschlagen sich weiter die Ereignisse: Schumacher fliegt in der Safety-Car-Phase mit kalten Reifen ins Kiesbett. "Dieses seltsame Ende fasst diese Saison ziemlich gut zusammen", bilanziert Schumacher ernüchtert.
Er führt den wie einen Anfängerfehler aussehenden Dreher auf die Reifen zurück: "Sie waren völlig verschlissen und kalt, deswegen flog ich ab, als ein Auto vor mir bremste. Ich weiß nicht, ob ich mit ihnen das Ziel erreicht hätte."
Selbst im eigenen Land setzt es später Kritik für den Nationalhelden. "Wirklich peinlich" schimpft Hans-Joachim Stuck gegenüber der 'Bild'-Zeitung. "Beide Dinger gehen eindeutig auf 'Schumis' Kappe." Er prophezeit: "Ohne Schönrednerei: 'Schumis' Chancen, den achten WM-Titel nicht zu schaffen, stehen besser, als dass er ein Comeback schafft." Er sollte recht behalten...
Karthikeyan: Heftiger Crash sorgt erneut für Safety-Car
Doch weiter in Schanghai: Die Safety-Car-Phase macht auch Renaults Strategiekniff aus dem Training hinfällig: Alle Spitzenfahrer nutzen die Neutralisierung des Rennens, um die Box anzusteuern. Dabei kommt Alonso zu Gute, dass Fisichella hinter ihm die Mauer gemacht hatte: Der Vorsprung betrug vor dem ersten Stopp bereits 17 Sekunden.
Auch bei der erneuten Freigabe des Rennens kann sich Alonso absetzen, ehe es erneut kracht: Jordan-Pilot Narain Karthikeyan verliert in der überhöhten Kurve vor der langen Gerade die Kontrolle über seinen Boliden und donnert mit voller Wucht in die Reifenstapel. Dann kreiselt das Wrack zurück auf die Strecke und wird beinahe von Jacques Villeneuves Sauber erfasst.
"Ich weiß nicht, was passiert ist", sagt der Inder, der nur mit Glück ohne gröbere Verletzungen davonkommt. "Das Auto kam auf den Kunstrasen, und dann saugte es mich in die Mauer. Das war ein großer Unfall, aber es hätte schlimmer ausgehen können."
Fisichella opfert sich für Renault
Erneut wirkt sich die Safety-Car-Phase auf die Strategie aus: Da man mit einem vollen Tank zu diesem Zeitpunkt bereits bis zum Rennende durchkommt, planen die meisten Fahrer ihren Stopp: Fisichella erweist sich erneut als absoluter Teamplayer, nutzt das Überholverbot hinter dem Safety-Car und bremst seine Verfolger zusammen. So sorgt er dafür, dass Alonso die Führung behält und er selbst beim Stopp direkt nach dem Teamkollegen keine Zeit verliert.
McLaren hatte dies beim Grand Prix von Belgien bereits vorexerziert. Doch der Trick sollte sich nicht auszahlen: Fisichella, dessen Stopp etwas längert dauert, wird zuerst von Räikkönen übrholt. Nach intensiven Überlegungen brummen ihm die Rennkommissare dann auch noch eine Durchfahrtsstrafe auf, wodurch er auch noch hinter Toyota-Pilot Ralf Schumacher zurückfällt. Die FIA hatte im Vorfeld angekündigt, gegen Blockademanöver in Zukunft durchgreifen zu wollen - Fisichella ist das erste Opfer.
Seine Aktion sorgt übrigens für ein überraschendes Ergebnis, denn neben Ralf Schumacher kommen auch Red-Bull-Pilot Christian Klien und Felipe Massa im Sauber während der letzten Safety-Car-Phase nicht an die Box, sondern schieben den Stopp noch etwas auf. Während der Toyota-Fahrer auf das Podest gespült wird, gelingt Klien als Fünfter sein Karriere-Highlight.
Briatore stichelt gegen Verlierer Dennis
An der Spitze jubelt allerdings Alonso, der für Renault den Konstrukteurs-Titel sicherstellt - mit neun Punkten Vorsprung (noch nach der alten Zählweise mit zehn Punkten für den Sieg). Und Fisichella, der nach seiner Niederlage in Suzuka noch heftig kritisiert wurde, hat sich teamintern durch seine Aufopferung rehabilitiert.
"Er wusste genau, was das Renault-Team von ihm erwartete, und stellte seine eigenen Ansprüche dahinter zurück", lobt Chefingenieur Pat Symonds. Und Teamchef Flavio Briatore findet noch deutlichere Worte: "Ich habe 'Fisi' gebeten, die zwei McLarens aufzuhalten. Das hat er bestmöglich gemacht - und damit gleichzeitig Japan wieder gutgemacht."
Und auch einen Seitenhieb auf McLaren kann sich Briatore nicht verkneifen. "Es waren Ron Dennis' Aussagen über die echte Weltmeisterschaft und die Medien mit ihren Geschichten, die mich auch auf den Konstrukteurstitel scharf gemacht haben", schießt er scharf. "Wir haben das mit einer unvergleichlichen Machtdemonstration geschafft." Jedes Wort ein Nadelstich für den stolzen Dennis, der nach Niederlagen laut eigenen Angaben körperliche Schmerzen verspürt.