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Lange war die Ermittlung der Startplätze kein Grund zur Debatte, doch langsam entwickelt sich eine Dauerbaustelle im Formel-1-Reglement: der Qualifyingmodus. Das Scheitern der "Reise nach Jerusalem" am Wochenende in Australien war jüngste Höhe eines Reformprozesses, der nicht so alt ist, wie man glauben könnte. Eine Zeitreise...
...die in der Vorkriegsära beginnt, als die Formel 1 noch nicht Formel 1 hieß: Die Pioniere begannen ihre Rennen zeitversetzt und ohne Startaufstellung. Nach Einführung des Massenstarts gab es dann ein Losverfahren. Erst 1933 in Monaco kamen die Regelhüter auf die Idee, den so genannten "Grid" in einem Zeittraining auszufahren.
Von 1950 bis 1996 blieb das grundlegende Format unangetastet und simpel: am Freitag und am Samstag eines Rennwochenendes jeweils eine Stunde freies Fahren ohne Beschränkung der Rundenzahl. Am Ende zählte die schnellste Zeit für die Startaufstellung.
Als die Formel 1 aus allen Nähten platzte, schufen die Regelhüter aus Sicherheitsgründen eine zusätzliche Hürde, um die Starter schon vor der ersten Session am Freitag auszusieben: das Prinzip der Vorqualifikation. Schon 1965 wurde es erstmals angewandt, damals allerdings nur bei einem einzigen Grand Prix.
1977 kehrte es zurück, um (nach Unterbrechungen) Ende der Achtzigerjahre zum Fallbeil für die kleinen Teams zu werden. In der Saison 1989 bei allen 16 WM-Stationen in Gebrauch, mussten insgesamt 142 Mal Piloten die Segel streichen, ohne um die Startplätze gekämpft zu haben.
Der Modus: Die Teams mit den schlechtesten Bilanzen der vorausgegangen sechs Monate plus alle neuen Teilnehmer bestritten ein Zeittraining um vier Plätze im Qualifying zusätzlich zu 26 gesetzten Autos. Aus diesem Kreis "überlebten" wiederum nur 26 das Qualifying und zogen in die Startaufstellung ein.
1996 wurde der Modus erstmals grundlegend verändert, weil mehr Spannung erzeugt werden sollte: Die FIA beschnitt das Qualifying auf eine einstündige Session am Samstag, in der nur noch maximal zwölf Runden pro Fahrer und Auto erlaubt waren.
Zusätzlich wurde die 107-Prozent-Regel eingeführt, um die Langsamsten zu eliminieren und rollende Schikanen von der Strecke zu verbannen: Für das Rennen teilnahmeberechtigt waren nur Piloten, denen eine Runde gelang, die maximal der Pole-Position-Zeit plus sieben Prozent entsprach.
Die Bestimmung bestand bis 2002 und ist seit 2011 wieder Teil des Reglements, allerdings häufig der Gegenstand von Ausnahmen, beispielsweise bei Wetterkapriolen oder bei technischen Problemen und ausreichender Leistungen im Freien Training.
Quali-Pechvogel Nummer eins ist historisch Gabriele Tarquini, der für Osella, Coloni, First, AGS, Fondmetal und Tyrrell fuhr: Er musste an 25 Freitagen und 15 Samstagen die Koffer packen, weil er die Vorqualifikation nicht meisterte oder an den 107 Prozent scheiterte - gefolgt von Bertrand Gachot (37) und Roberto Moreno (32).
2003 wurde erneut gewerkelt: Die FIA hatte genug von Wartespielchen der Topteams, die von den Hinterbänklern die Ideallinie säubern lassen wollten und die erste Hälfte des Qualifyings zur Farce verkommen ließen. Das Einzelzeitfahren wurde eingeführt - auch, um mehr TV-Präsenz für die "Kleinen" zu schaffen.
Am Freitag absolvierte jeder Pilot eine Runde (erst nach umgekehrter Reihenfolge des WM-Standes, dann nach dem vorausgegangen Rennen), um die Startreihenfolge für das Qualifying am Samstag zu ermitteln. Dann entschied erneut ein einzelner Umlauf mit einem für den Rennstart vollgetankten Auto.
Als 2004 beide Teile auf den Samstag gelegt wurden, lieferten sich die Teams teilweise kuriose Schneckenrennen. Um bei angekündigtem Regen möglichst früh auf die Bahn zu gehen, wollten sie am Vormittag der Langsamste sein, um noch eine trockene Bahn zu erwischen - inklusive absichtlicher Dreher.
Es wurde wieder Hand angelegt. Motiviert durch eine wetterbedingte Verschiebung des Qualifyings wurde das Einzelzeitfahren 2005 zweigeteilt: Eine Runde am Samstagnachmittag mit leerem Tank, die andere wenige Stunden vor dem Rennen mit Sprit. Die Addition der Zeiten entschied...
...jedoch nur sechs Rennen lang. Die Fans hatten keine Lust auf das Formel-1-Frühstück und bis zum Saisonende wurde wieder auf eine Einzelzeitfahr-Session am Samstag in der umgekehrten Reihenfolge des vorausgegangen Rennens umgestellt.
2006 wurde der Knock-Out-Modus mit drei Abschnitten verankert: Ausscheiden der langsamsten Piloten in Segment eins und zwei, dann ein Kampf der Top 10 um die Pole-Position. Geschraubt wurde bis 2016 nur an Details wie den Sprit- und Reifenregeln, ehe die "Reise nach Jerusalem" kam. Fortsetzung folgt...
(Motorsport-Total.com) - Das Qualifying zum Australien-Grand-Prix in Melbourne am vergangenen Wochenende war eine in dieser Form nicht gekannte Farce - und löste eine hitzige Debatte um den "Reise-nach-Jerusalem"-Modus aus. Das Zeittraining und sein Format waren jedoch schon in der Vergangenheit Gegenstand von Diskussionen und Regeländerungen. Wir blicken zurück auf Jahrzehnte des Wandels, in denen in der Königsklasse immer wieder am Verfahren zur Ermittlung der Startplätze geschraubt wurde.
Dabei war das Qualifying lange von lange Zeit von Kontinuität geprägt: Nachdem die Pioniere der Vorkriegsära noch per Losentscheid verfuhren, blieb 46 Jahre lang ein simpler Modus intakt: Insgesamt zwei Stunden Zeittraining, verteilt auf jeweils eine Stunde am Freitag und am Samstag.
Allerdings machte es die große Teilnehmerzahl Ende der Achtzigerjahre erforderlich, mit einer Vorqualifikation eine zusätzliche Hürde zu schaffen, um die Autos schon vor dem Start auszusieben. Erst ab 2003 wurde dann großflächig umgebaut: erst mit einem Einzelzeitfahren, dann mit dem Knock-Out-System. Immer wieder musste dabei an kleineren Stellschrauben gedreht werden.