• 10. März 2015 · 09:52 Uhr

1995: Ein Australien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Goodbye, Adelaide: Wie Mika Häkkinen dem Tod von der Schaufel sprang, Gerhard Berger die V12-Ära beendete und Damon Hill mit zwei Runden Vorsprung gewann

(Motorsport-Total.com) - Nach dem schwarzen Jahr 1994 mit den Todesfällen von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger in Imola und dem schweren Unfall von Karl Wendlinger in Monte Carlo, nach dem der Österreicher wochenlang im Koma lag, sind am Ende der Formel-1-Saison 1995 alle froh, ein Jahr ohne größere Dramen überstanden zu haben. Michael Schumacher steht längst als Weltmeister fest, sein Benetton-Team hat die Konstrukteurs-WM in der Tasche - und eigentlich geht es nur noch darum, im sonnigen Adelaide eine letzte Grand-Prix-Party zu feiern.

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Mika Häkkinen überlebt seinen Unfall in Adelaide 1995 nur mit viel Glück Zoom Download

"Das Schönste an dieser Formel-1-Saison ist, dass nichts Schlimmes passiert ist", sagt etwa Niki Lauda, in Adelaide übrigens zum letzten Mal als Ferrari-Berater tätig. Aber schon ein paar Stunden später kündigt sich Unheil an, als Wendlinger (nach elf Rennen Zwangspause erst zum zweiten Mal wieder im Sauber) im Freitagstraining abfliegt. Der Österreicher zieht sich leichte Verletzungen zu, muss den Samstag auslassen, schafft im Grand Prix von Australien aber nur ein paar Runden, ehe er aufgibt.

Kopf- und Genickschmerzen, Daumen verletzt, Konzentrationsprobleme - Wendlinger beendet seine Karriere in der Formel 1 nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. "Der Unfall war meine eigene Schuld", sagt er. Aber während Wendlinger noch einigermaßen glimpflich davonkommt, trifft das Schicksal Mika Häkkinen mit voller Härte. Während des Freitags-Qualifyings hält die Formel 1 den Atem an, als der McLaren-Fahrer in der schnellen Brewery-Bend-Rechtskurve crasht und den Kopf zunächst nicht bewegt.

Luftröhrenschnitt noch an Ort und Stelle

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Karl Wendlinger: Ein Trainingsunfall markiert das Ende seiner Formel-1-Karriere Zoom Download

Die professionelle Rettungsaktion unter Formel-1-Chefarzt Sid Watkins, der schon nach rund einer Minute zur Stelle ist, rettet Häkkinen das Leben. Der Finne ist bewusstlos, hat durch die Wucht des Aufpralls (ungefähr 175 km/h) seine Zunge verschluckt. Nur ein Luftröhrenschnitt noch an Ort und Stelle verhindert, dass er erstickt. Erst später wird bekannt: Häkkinen ist nicht zu aggressiv über den Randstein gefahren, sondern hinten links sein Reifen geplatzt.

"Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich dachte: Das wird jetzt wehtun", so Häkkinen Jahre später. "Am Anfang war ich noch bei Bewusstsein. Ich schaute nach vorn und realisierte, dass ich mich nicht bewegen kann. Trotzdem blieb ich ruhig. Ich weiß noch, dass ich dachte, Panik zu schieben wäre eine schlechte Idee, also blieb ich ganz ruhig sitzen und wartete auf das Rettungsteam. Die kamen sehr schnell. Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz im Hals. Wie ich später erfuhr, war das der Luftröhrenschnitt. Erst danach wurde ich bewusstlos."


Unfall von Mika Häkkinen

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"Im Krankenwagen setzten heftige Kopfschmerzen ein, und kaum war ich im Krankenhaus angekommen, begann ich mich zu übergeben. Die Ärzte führten eine MRT durch, rasierten mir den Kopf, operierten mich und versetzten mich in eine Narkose. Stunden später, als ich aufwachte, waren Ron Dennis und seine Familie bei mir im Zimmer. Sie sahen schockiert aus, aber es war extrem tröstlich für mich, ihre bekannten Gesichter zu sehen. Didier Coton, damals wie heute mein Freund und Manager, war ebenfalls da."

Das Wunder von Adelaide

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Damon Hill und David Coulthard starten aus der ersten Reihe ins letzte Saisonrennen Zoom Download

Es ist das Wunder von Adelaide, dass Häkkinen tags darauf schon wieder in seinem Krankenbett im Royal Adelaide Hospital sitzen, reden und trinken kann. Die Ärzte testen ihn mit einer Scherz-Nachricht: McLaren-Teamchef Ron Dennis habe angerufen, weil er erwartet, dass Häkkinen morgen den Grand Prix fährt. Der reagiert mit einem verschmitzten Lächeln - und liefert damit den Beweis, dass er trotz Schädelbasisbruch keine gravierenden neurologischen Schäden davongetragen hat.

Trotzdem muss Häkkinen wochenlang im Krankenhaus bleiben, ehe er nach Monte Carlo überstellt werden kann. "Meine Rehabilitation war schmerzhaft und langsam. Einige meiner Muskeln waren nach dem Unfall gelähmt, daher konnte ich meine Augen nicht mehr schließen. In der Nacht mussten mir die Krankenschwestern die Augen verbinden, damit ich zumindest ein bisschen schlafen konnte", sagt er. Aber als er im nächsten Frühjahr endlich wieder halbwegs fit ist, schwört er sich: Jetzt werde ich Weltmeister! Was er 1998 und 1999 tatsächlich schaffen wird.

Letztes Rennen vor Regeländerungen vor 1996

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Sensations-Podium: Damon Hill, flankiert von Olivier Panis und Gianni Morbidelli Zoom Download

Der Häkkinen-McLaren fehlt am Sonntag in der Startaufstellung, aber der Unfall zieht heiße Diskussionen nach sich. Es wäre eine Ironie des Schicksals gewesen, hätte ihn der Crash aus dem Leben gerissen - ausgerechnet im letzten Formel-1-Rennen, bevor 1996 der Seitenaufprallschutz mit hochgezogenen Cockpitwänden eingeführt wird. Auch HANS gibt es 1995 noch nicht.

Plötzlich sind Airbags ein heißes Thema in der traumatisierten Königsklasse. "Ich bin überzeugt: Airbags kommen in die Formel 1", glaubt Gerhard Berger. 20 Jahre später gibt es sie immer noch nicht - obwohl ausgerechnet Häkkinens McLaren-Team schon in den 1990er-Jahren damit experimentiert hat. Bis heute das große Problem: Was ist, wenn ein Airbag durch die immensen Kräfte, die in einem Formel-1-Auto wirken können, ungewollt ausgelöst wird?


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Australien

Fast nebensächlich zunächst das Qualifying-Ergebnis. Damon Hill fährt am Freitag mit einer Bestzeit von 1:15.505 Minuten auf die Poleposition - eine Marke, die sein Teamkollege David Coulthard, Schnellster im zweiten Qualifying am Samstag, nicht mehr pulverisieren kann. Also steht das Williams-Duo in der ersten Startreihe, vor Michael Schumacher (Benetton), Gerhard Berger (Ferrari), Jean Alesi (Ferrari) und Überraschungsmann Heinz-Harald Frentzen (Sauber).

Hill: Größter Vorsprung seit Jackie Stewart 1969

Doch von diesen Top 6 sieht am Ende nur Hill die Zielflagge. Ein versöhnlicher Saisonabschluss, nachdem er 1995 gegen seinen Erzrivalen Schumacher nicht den Funken einer Chance hatte - und ein kleiner Trost für das dramatische WM-Finale 1994, das er ebenfalls in Adelaide verloren hat. "Hoffentlich ist dieser Sieg eine Initialzündung für meine Karriere, dass ich 1996 stärker als je zuvor zurückkomme", sagt Hill - und wird 1996 wirklich zum einzigen Mal Champion.

In Adelaide gewinnt er mit unglaublichen zwei Runden Vorsprung auf Olivier Panis (Ligier) und Gianni Morbidelli (Footwork) - für beide das beste Saisonergebnis, geschuldet vor allem der Ausfallsorgie der Favoriten. Kurios, wie Coulthard in der 20. Runde in Führung liegend in die Boxenmauer kracht. "Als ich in den zweiten Gang zurückgeschaltet habe, nahm der Motor zu viel Drehzahl an. Ich war mit dem Fuß auf der Bremse - und schon lag ich in der Mauer. Ich hätte früher runterschalten müssen", gibt er zu. Noch kurioser: Roberto Moreno (Forti) passiert zwei Runden später exakt das gleiche Missgeschick...

Schumacher stinksauer auf seinen Nachfolger

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Michael Schumacher ist nach dieser Kollision mit Jean Alesi stinksauer Zoom Download

Michael Schumacher verabschiedet sich als zweimaliger Weltmeister von Benetton - und mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch. "So die Saison abzuschließen, vor allem mit einem Fahrer, der nächstes Jahr hier ins Team einsteigt, ist in meinen Augen völlig überflüssig und auch schwachsinnig", ärgert er sich über Jean Alesi - und droht: "Jean macht jetzt besser einen großen Kreis um mich!"

Es ist nach dem Nürburgring und Suzuka bereits das dritte heiße Duell der beiden in der Saison 1995 - besonders pikant, weil sie für 1996 Cockpits tauschen: Die Ferrari-Stars Alesi/Berger wechseln zu Benetton, Schumacher kommt zu Ferrari. Der Deutsche fährt als Dritter aus der Box, überholt Alesi - aber der will außen kontern, wo zu wenig Platz ist. Am Ferrari geht der Frontflügel kaputt, am Benetton ist der Querlenker verbogen - und so scheiden beide aus.

Im Heck von Gerhard Berger verraucht beim Abschied von der Scuderia der letzte V12-Motor, der je in einem Formel-1-Rennen im Einsatz war. Ferrari überlässt es Superstar-Neuzugang Schumacher, zwischen V12 und V10 zu wählen - und der ordnet dem Erfolg jeden Anflug von traditioneller Sentimentalität unter. Berger, der bei Ferrari jahrelang den V10 gefordert hat, ärgert das; trotzdem schenkt er jedem seiner 36 Mechaniker zum Abschied eine goldene Uhr mit der Gravur "Grazie, Gerhard".

Ende einer Ära: Der letzte Grand Prix eines V12-Motors

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Gerhard Berger: Bis zu seinem Ausfall ist es die letzte Fahrt eines V12 in der Formel 1 Zoom Download

"Nach 30 Runden bin ich Zweiter", erinnert sich Berger in seiner Autobiografie an Adelaide 1995. "Der letzte Ferrari-Zwölfzylinder! Enzo, schau runter. (...) Bei Turn 4 macht es einen Tuscher, wie wenn der Ober mit dem Essen kommt und ihm alles runterfliegt, das Tablett und das ganze Geschirr, der Rückspiegel ist voller Rauch, es fahren Kolben und Ventile der rechten Zylinderreihe aus. Ran an den Pistenrand, raus aus der Kiste. Eine Sache von vier Sekunden. Ferrari-Formel-1-Zwölfzylinder: So endet eine Epoche der Technik und des Grand-Prix-Sports."

Einer der tragischen Helden des 12. November 1995 ist Heinz-Harald Frentzen. Der Sauber-Fahrer liegt schon zu Halbzeit hinter Dominator Hill an zweiter Stelle, scheidet aber in der 40. Runde mit Getriebeschaden aus. Bitter: Mit sechs Punkten mehr wäre er in der Weltmeisterschaft Siebter statt Neunter geworden (vor Unfallopfer Häkkinen) - und Sauber wäre noch an Ligier und Jordan vorbeigezogen.

Was vom Grand Prix von Australien 1995 (übrigens dem letzten in Adelaide - vier Monate später wurde die Saison 1996 erstmals in Melbourne eröffnet) stehen bleibt, ist ein Zuschauerrekord: 520.000 Fans kommen an allen drei Tagen, 210.000 alleine am Rennsonntag - auch, weil die US-Rockband Bon Jovi ihr Adelaide-Konzert im Rahmenprogramm spielt. Der Hit "Never Say Goodbye" ist allerdings nicht wörtlich zu verstehen: Die Formel 1 sollte nie mehr nach Adelaide zurückkehren...

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