• 04. Oktober 2014 · 01:56 Uhr

Mika Häkkinen und das Spiel mit Schumacher in Spa

Beim Großen Preis von Belgien 2000 gelang Mika Häkkinen eines der berühmtesten Manöver in der Formel 1, bei dem er Michael Schumacher den Sieg entriss

(Motorsport-Total.com) - 27. August 2000. Runde 41. Der silberne McLaren-Mercedes von Mika Häkkinen schließt auf den scharlachroten Ferrari von Michael Schumacher durch Eau Rouge und die Kemmel-Gerade entlang auf. Die größten Fahrer der Formel-1-Ära fahren Kopf-an-Kopf um den Sieg beim Belgien-Grand-Prix. Schumacher hatte sich bereits eine Runde zuvor robust verteidigt und den Finnen fast aufs Gras geschickt. Aber dieses Mal muss Schumacher eine Entscheidung treffen.

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Mika Häkkinen erklärt Michael Schumacher, wie er ihn in Spa 2000 überholt hat Zoom Download

Der marode BAR-Honda von Ricardo Zonta befindet sich in der Mitte der Strecke. Schumacher fährt links, Häkkinen presst sich rechts in eine Lücke, die gerade einmal groß genug für den McLaren ist. Wenige Momente später ist das Überholmanöver geglückt. "Es war unglaublich", sagte McLaren-Teamchef Ron Dennis über das Manöver. "Ich schätze, für mich ist es der beste Move, den man in der Formel 1 je gesehen hat."

Die Situation im Rennen war simpel. Nachdem er von vorne gestartet war, führte Häkkinen das Rennen an, bevor er nach einem Dreher bei feuchten Bedingungen Schumacher passieren lassen musste. Nachdem sich Schumacher in der Box bereits Slicks abgeholt hatte, kam auch Häkkinen in Runde 27 von 44 an die Box und hatte im Anschluss sechs Sekunden Rückstand. Er fing an, den Ferrari zu jagen, und war zehn Runden später bereits innerhalb von einer Sekunde.

In Runde 40 folgte seine Attacke, doch Schumacher zog auf der Kemmel-Gerade zu ihm herüber und zwang Häkkinen das Manöver abzubrechen. Eine Runde später war Häkkinen schon wieder im Sog, als das Paar auf Zonta aufschloss. Schumacher ging nach außen, Häkkinen nach innen - und der Rest ist Geschichte. Trotz aller Übertreibungen bleibt es eines der dramatischsten und risikoreichsten Überholmanöver, die man je im Grand-Prix-Sport gesehen hat. Doppelweltmeister Häkkinen erklärt, wie es dazu kam.

Mikas Philosophie vom Überholen

"Es gibt verschiedene Typen von Überholsituationen. Das Wichtigste ist, seinen Konkurrenten zu verstehen. Wer ist der Konkurrent als Mensch? Man muss sie kennen, man muss verstehen wie sie denken, ihr Verhalten auf der Strecke, ihren Fahrstil. Man muss die eigene Performance, die Performance des Autos und die Stärken und Schwächen des gegnerischen Autos verstehen."

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Der McLaren jagte den Ferrari mehrere Runden lang unerbittlich Zoom Download

"Dann muss man die Gesamtsituation sehen. Wie viele Runden sind noch zu fahren? Im Kopf muss man sich einen Plan zurechtlegen und nicht einfach überholen. Denn was passiert danach? Können sie mich zurücküberholen? Und wo sind sie stark? Geschwindigkeit auf der Gerade? Beschleunigung? Bremsen? All diese Elemente muss man kennen."

"Es klingt ziemlich kompliziert: Du fährst bbbwwwaaaaaaaaaahhhhh bei voller Geschwindigkeit und musst den Plan in deinem Kopf aushecken. Und wenn der Überholmoment sehr schwierig ist, weil die Differenz nur wenige Zehntelsekunden beträgt, dann musst du eben gewisse Tricks lernen, um den Fahrer vor dir unter Druck zu setzen. Aber sie können im Spiegel sehen, wer hinter ihnen ist. Man kann den Fahrer in einen Fehler zwingen. Manche interessiert es nicht, wer hinter ihnen ist, aber manche fangen an, über dich zu denken, und planen ihre Verteidigungsstrategie."

Auf Schumacher aufholen

"Spa ist eine fantastische Strecke, auf der man sehr gut überholen kann. Es gibt sechs Stellen an denen man einfach überholen kann, wenn der Fahrer vor dir einen kleinen Fehler macht. Sechs ist schon eine ziemlich große Zahl, doch wenn sie nirgendwo einen Fehler machen, dann ist das Überholen sehr schwierig. In Spa habe ich mit Michael gekämpft, aber leider hat er an keiner dieser sechs Stellen einen Fehler gemacht."

"Doch es gab eine Stelle, wo unser Auto einfach besser war: durch die berühmte Eau Rouge. Mein McLaren fuhr ziemlich schnell durch diese Kurve, und es war wichtig diesen Speed zu haben, weil danach eine lange Gerade folgt und man viel Zeit gewinnen kann, wenn man durch diesen Abschnitt Geschwindigkeit mitnimmt. Wir haben das Auto an anderen Stellen ein wenig schlechter gemacht, doch in dieser Kurve flog das Auto richtig."

"Der Ferrari war in der Eau Rouge hingegen nicht so fantastisch, dafür war er in allen anderen Bereichen der Strecke gut. Es gab also keine andere Möglichkeit, es musste einfach auf der Geraden nach Eau Rouge passieren."

Das Überholmanöver vorbereiten

"Es war sehr schwierig zu planen, Michael dort zu überholen, aber natürlich wusste er, dass es die einzige Stelle ist, an der ich es machen könnte. Er hat sich also so gut es geht verteidigt und ist jedes Mal bis an die Grenze gegangen - also musste man Risiken eingehen. Die Zeit war zunächst auf meiner Seite, weil noch einige Runden zu fahren waren."


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"Wenn ich es auf einer Seite probiert hatte und er mich nicht gelassen hat, dann habe ich es auf der anderen Seite versucht. Doch ich habe es mehrmals versucht, und die Runden gingen mir langsam aus. Zudem hat er gelernt, was ich gemacht habe. Ich musste durch Eau Rouge immer mehr und mehr Risiko gehen, doch damit habe ich die Reifen auch mehr verschlissen, sodass sie Performance verloren haben, was es für mich in den kurvigeren Abschnitten schwierig gemacht hat, weil der Grip verschwand."

"Immer wenn ich durch Kurve 1, die Haarnadel, gefahren bin, wurde der Abstand größer. Und wenn ich Michael durch Eau Rouge gejagt habe, war mein Abstand nicht mehr so gut wie zuvor. Michael hat definitiv ein dreckiges Spiel (beim Verteidigen) gespielt, aber ich konnte nichts dagegen tun. Selbst wenn ich 'macht irgendwas' in den Funk gebrüllt hätte - was ich vielleicht sogar getan habe - hätte es überhaupt keinen Unterschied gemacht."

Auf den Hinterbänkler aufschließen

"Durch reines Glück war in Runde 41 ein Hinterbänkler auf der Gerade: Ricardo Zonta. Michael konnte sehen, dass er ziemlich langsam fuhr. Dieser Hinterbänkler fuhr nicht auf der Ideallinie, aber er fuhr auch nicht auf der Innenbahn. Er war in der Mitte der Strecke. In seiner Position hätte ich definitiv sichergestellt, dass ich dem Überrundenden nicht die Chance geben würde, außen oder innen vorbeizugehen, da alles passieren könnte."

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Es war Ricardo Zontas berühmteste Szene in der Formel 1 Zoom Download

"Michael hat sich für die Außenbahn entschieden. Er wusste, dass die Strecke sauberer sein würde, wenn er den Bremspunkt der Kurve erreicht. Wie in Spa typisch war es abseits der Ideallinie noch ein wenig feucht, von daher war die Innenseite für die Kurve nicht gut. Als ich gesehen habe, dass Michael außen fährt, habe ich mir gesagt: 'Das ist es. Ich werde Vollgas innen fahren.'"

"Ich kannte das Risiko. Wenn er aus irgendeinem Grund nach innen gezogen wäre, wäre es eine grauenhafte Erfahrung für mich geworden. Doch ich habe ihm vertraut. Ich erwarte, dass sich ein Rennfahrer für eine Linie entscheidet und dann auch dabei bleibt."

Das Manöver durchführen

"In der Formel 1 muss man Risiken eingehen. Der Kampf mit Michael war so intensiv, dass wir beide manchmal Risiken eingegangen sind, die nicht mehr normal waren. Aber in Spa ist es sich für mich ausgegangen. Ich hatte den Speed durch Eau Rouge, aber ohne Zonta wäre es das gleiche Spiel wie zuvor gewesen. Ich habe nicht gezeigt, ob ich links oder rechts fahren würde, ich habe darauf gewartet, dass er sich entscheidet."

"Ich befand mich in seinem Windschatten, was für mich einen enormen Vorteil bedeutete, doch als Michael rübergezogen war, habe ich auch noch den Windschatten und ein wenig Extraspeed von Zonta bekommen - das war ein wahnsinniges Gefühl! Danach war das Überholmanöver ziemlich einfach, weil Michael aufgegeben hat. Er hat Zonta gesehen und realisiert, dass er genug gekämpft hatte und sein Glück nicht weiter herausfordern wollte. Wenn er in der Kurve gekämpft hätte, wären wir vielleicht beide im Kiesbett gelandet. Das hat er realisiert."

Das großartigste Überholmanöver?

"Als ich zehn Jahre alt war und Go-Kart gefahren bin, habe ich mindestens 200 Rennen im Jahr mitgemacht. In der Formel 1 kommt man vielleicht auf 17 Starts pro Saison - aber im Kart waren es 200 pro Jahr. Man kann sich also vorstellen, wie viele Überholmanöver - wie viele großartige - ich in meiner Karriere gemacht habe. Doch bei der Geschwindigkeit in der Formel 1 - wir sind vielleicht 320 km/h gefahren - und mit all dem Druck, mit dem ich es viele Runden zuvor versucht habe, war das mit Sicherheit ein Highlight. Da gibt es keinen Zweifel."

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