Beinahe noch auf Pole: Wo kam diese Runde her, Lando Norris?
Lando Norris schwankt zwischen Stolz und Selbstkritik - Seine brillante Q3-Runde war Ergebnis von Risiko, Windschatten und purer Erleichterung
(Motorsport-Total.com) - "Beeindruckend, dass ich mich so viel gesteigert habe, oder beeindruckend, dass ich vorher so einen schlechten Job gemacht habe?" - Lando Norris weiß nicht, ob er sich von seiner glänzenden Runde am Ende von Q3 freuen oder über seine Performance vorher ärgern soll. Denn der Sprung auf Platz zwei und für ein paar Sekunden sogar die Poleposition kam ein wenig aus dem Nichts.

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Lando Norris packt es im letzten Moment: Riesenverbesserung im letzten Anlauf Zoom Download
Eine optische Analyse der beiden Runden in Q3 ergibt, dass Norris auf seinem zweiten Anlauf schlicht aggressiver ist. Vor seiner finalen Runde bekommt er eine Anweisung, tiefer in Kurve reinzubremsen ("Trail braking"). Er kommt etwas effizienter rum als auf seiner ersten Runde. (Großer Preis von Italien in Monza im Liveticker!)
Vor allem aber durch die Variante della Roggia, die zweite Schikane, kommt er auf seiner finalen Runde besser durch als auf der ersten. Auf dieser bremste er offenbar minimal zu früh und lenkte dadurch zu früh ein, womit er nicht so sauber durchkam und den zweiten Randstein innen (Kurve 5) ungünstig touchierte. Im zweiten Anlauf wirkt die Fahrt schnörkelloser.
Norris gibt das auch zu: "Ich bin über jeden erdenklichen Randstein gefahren, über den ich nicht treffen wollte, und habe die Bremsen blockiert, wenn ich das nicht hätte tun sollen. Ich war einfach nicht ganz im Rhythmus."
"Dabei ist es nicht so, dass ich das ganze Wochenende nicht im Rhythmus gewesen wäre. Ich hatte das Gefühl, dass ich bisher an diesem Wochenende ganz ordentliche Runden gefahren bin und hier und da einige Stärken hatte, aber ich konnte mich bis zur letzten Runde im Qualifying einfach nicht wieder darauf einstellen."
Ansonsten sind auf der ersten Runde keine großen Fehler zu erkennen, insgesamt wirkt sie lediglich zu zaghaft. Sauber ja, aber eben nicht am Limit. In der zweiten Runde in Q3 ist die Drehzahl zwischen den beiden Lesmo-Kurven im gleichen Gang minimal höher. Die anschließenden Kurven wirken aggressiver als auf der ersten Runde, aber eben nicht unrund. So kam die Verbesserung zustande.
Erster auf der Strecke: Eher psychologischer Nachteil?
Hinzu kam noch ein Faktor: Auf seiner ersten Runde war Norris das erste Fahrzeug auf der Strecke. "Schrecklich, aber ich hatte keine Wahl. Alle haben darauf gewartet, dass wir zuerst rausgehen", sagt er. "Deshalb war mir schon vor einer Woche klar, dass ich hier kein gutes Q1 haben würde. Das haben wir immer erwartet."
"Es ist schwierig, weil es nie eine Pole-Runde werden kann [wenn man als Erster fährt], vor allem ohne Tempo auf der Geraden, wo wir ohnehin schon hinter fast allen anderen zurückliegen. Da ist es unmöglich, überhaupt eine konkurrenzfähige Runde hinzulegen."
"Es ist also nicht gerade beruhigend, im Q1 eine Zeit von 19,5 zu fahren und damit etwa fünfeinhalb Zehntel hinter der Pole zu liegen. Das ist nicht das beste Gefühl im Auto."
Womöglich hat ihn das, obwohl er in Q1 Drittschnellster war und deutlich vor Piastri lag, doch unterbewusst mitgenommen - obwohl er wusste, dass er Q2 und Q3 im zweiten Anlauf Windschatten bekommen würde.
Beinahe-Aus in Q2
Doch schon in Q2 wurde es eng. Norris verbremste sich und zerstörte sich dadurch den ersten Reifensatz. Auf dem zweiten Satz war er zu zaghaft und lag nach dem ersten Versuch auf diesem außerhalb der Top 10.
Er musste nun also mit einem gebrauchten Satz Reifen noch irgendwie eine Runde herauszaubern, die für Q3-Einzug reichen würde - und das im engsten Qualifying des Jahres.
"Es war wirklich nicht das angenehmste Gefühl, weil ich einfach nicht im Rhythmus war. Dann eine solche Runde aus dem Ärmel schütteln zu müssen, besonders, wenn man in Kurve 1 blockiert hat... Ich habe den Druck auf jeden Fall gespürt. Sowohl im zweiten Anlauf von Q3 als auch Q2. Weil ich einfach nicht das beste Gefühl im Auto hatte."
Er ließ sich von Piastri von der ersten bis zur zweiten Schikane ziehen, traf den Randstein am Ausgang der Della-Roggia-Schikane wieder nicht richtig, bekam aber vor der Alboreto-Parabolica einen Extra-Windschatten von Gabriel Bortoleto, der Charles Leclerc überholen wollte, diesen Versuch aber sofort abbrach. So verbesserte sich Norris noch auf Position fünf, was den sicheren Q3-Einzug bedeutete.
"Es war so verdammt knapp. Ich glaube, ich habe mich nur um knapp eine Zehntelsekunde verbessert, aber das hat mir etwa sechs Positionen eingebracht. Das zeigt, wie sehr schon eine minimale Verbesserung der Rundenzeit helfen kann."
Am fehlenden Windschatten lag es nicht
Den Windschatten möchte er allerdings nicht überbewerten, vor allem bei seiner regelrechten Leistungsexplosion im finalen Anlauf, als er seine Zeit aus dem ersten Q3-Versuch um sechs Zehntelsekunden unterbot.
"Der Windschatten hat vielleicht drei Zehntel ausgemacht", so der 25-Jährige. "Es war eine Mischung daraus, dass mir jemand die Luft weggeschoben hat und einer wirklich guten Runde. Es war immer noch mit Abstand meine beste Runde."
Entsprechend ist die Erleichterung groß: "Die letzte war die einzige Runde, die ich wirklich brauchte. Deshalb und wegen des ganzen Drucks bin ich wirklich froh, dass ich es in Q3 gepackt habe."
Teamchef Andrea Stella bestätigt: "Dass Lando [im jeweils ersten Versuch] das erste Auto auf der Strecke war, hat nichts damit zu tun, dass seine ersten Anläufe nicht konkurrenzfähig waren."
"So verlor er bei seinem ersten Versuch in Q3 im Vergleich zu seinem zweiten Versuch oder sogar im Vergleich zu Oscar vor allem in den Kurven Zeit. Und in den Kurven sollte man, wenn als Erster auf der Strecke ist, eigentlich den besseren Grip haben."
Verstappen einfach zu stark
Lediglich Max Verstappen verdarb am Ende die Party, als er sich die Pole zurückholte, die Norris ihm kurz entrissen hatte. Für den McLaren-Piloten ist das kein Drama: "Max war das ganze Wochenende über ziemlich gut. Bei ihm ist das keine Überraschung."
"Ich denke auch, dass wir als Team schon ab dem ersten Freien Training festgestellt haben, dass wir nicht ganz so gut im Rhythmus waren und nicht den Tempovorteil hatten, den wir an den vergangenen Wochenenden gehabt haben. Natürlich wollen wir die Pole, aber ich glaube nicht, dass wir mit Platz zwei unzufrieden sind."
Andrea Stella ist derselben Ansicht: "Um fair zu sein: Ich denke, Max hat im Qualifying, insbesondere in Q3, gezeigt, dass er eine Zehntelsekunde schneller war als wir. Er war im ersten Versuch in Q3 schneller, er war im zweiten Versuch schneller, er war das ganze Wochenende über schneller. Also Hut ab vor Red Bull und Max!"