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Wie gewonnen, so zerronnen: Als Favorit ins Wochenende gestartet, platzt Sebastian Vettels Traum vom fünften Sieg in Singapur schon am Start. Jacques Villeneuve findet: "Daran ist nur er selbst schuld. So fahren die Jungs in der Formel 3." In der WM fehlen sechs Rennen vor Schluss plötzlich 28 Punkte auf Lewis Hamilton.
Dabei fängt alles vielversprechend an: Trotz eines Mauerkusses fährt Vettel vor den beiden Red Bulls auf Pole. Der bislang schnellste Mann des Wochenendes, Daniel Ricciardo, wird Dritter. Und Niki Lauda sagt über Hamiltons fünften Platz: "Da geht nix mehr." Aber Hamilton ahnt: "Vettel hat Verstappen neben sich. Da kann alles passieren!"
Wie wahr! Ein verrückter Start unter regnerischen Bedingungen (zum ersten Mal bei einem Nachtrennen): Kimi Räikkönen kommt von P4 am besten weg, hat genug Überschuss, um innen in Führung zu gehen. Leader Vettel wiederum sieht Max Verstappen im Rückspiegel näher kommen - und schlägt dem Red-Bull-Fahrer die Tür zu.
Was Vettel ganz übersieht: Weil Räikkönen auf der linken Seite attackiert, wird Verstappen im Ferrari-Sandwich eingeklemmt. Verstappen und Räikkönen verkeilen sich, schießen Vettel gemeinsam ab. Verstappen ärgert sich: "Sie haben mir keinen Platz gelassen." Und findet, dass Vettel als WM-Anwärter vorsichtiger fahren sollte.
Als "Kollateralschaden" reißen Verstappen und Räikkönen beim Austrudeln auch noch den völlig schuldlosen Fernando Alonso mit, der hinter Vettel und Hamilton als Dritter in die erste Kurve eingebogen ist. "Hundertprozentig" wäre er aufs Podium gefahren, seufzt der McLaren-Star. "Die Frage ist eher: Hätten wir gewonnen?"
Während sich Räikkönen, der am allerwenigsten für den Startcrash kann, mit Schuldzuweisungen zurückhält, kritisieren Verstappen und führende Experten hauptsächlich Vettel als Sündenbock. Die Rennleitung sieht das anders: Verkettung unglücklicher Umstände, Rennunfall, "no further action".
Auch, weil sich Vettel selbst am meisten bestraft. Nach dem Crash biegt er als Führender in die erste Kurve ein; ein paar Meter weiter dreht er sich auf der nassen Linie und scheidet aus. Hamilton zieht auf der trockeneren Seite der Strecke vorbei. "Sorry, Jungs", entschuldigt sich Vettel. Vorbei gewesen wäre sein Rennen so oder so.
Während das Safety-Car das Feld durch die Boxengasse führt, wittert Nico Hülkenberg seine große Chance, im 129. Rennen endlich aufs Podium zu fahren. Von P3 auf P5 fällt er zurück, weil Renault zu spät Reifen wechselt. Großer Sieger des Starts: Der hier viertplatzierte Sergio Perez gewinnt im Chaos der ersten Runde acht Positionen.
Auf zu Beginn noch nasser Strecke funktionieren die Full-Wets um so viel besser als die Intermediates, dass sogar Jolyon Palmer am Mercedes von Valtteri Bottas vorbeigeht! Der Brite liefert in einem seiner letzten Renault-Rennen seine bisher stärkste Leistung ab und wird Sechster. Vorne setzt sich indes Hamilton locker ab.
Das endgültige Aus für Alonso: "Fernando, we need to retire the car." Letztendlich wegen eines gebrochenen Auspuffs. Immerhin holt Teamkollege Stoffel Vandoorne, der immer besser in Fahrt kommt, als Siebter weitere WM-Punkte für McLaren.
Die zweite Safety-Car-Phase: Daniil Kwjat setzt seinen Toro Rosso an elfter Stelle liegend in die Mauer. "Mein Fehler", gibt er zu. "Ich habe Magnussen überholt. Danach blockierten meine Räder und ich konnte nicht mehr bremsen."
Verfolger Daniel Ricciardo nutzt die Gelegenheit zum Wechsel auf frische Intermediates, und Hamilton dämmert vor dem Re-Start: "Haben alle Reifen gewechselt außer mir? Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute Idee war." War es aber: Nach nur einer Runde unter Grün hat er schon wieder 1,9 Sekunden Vorsprung!
Es ist eines der unterhaltsamen Duelle am Rande: Kevin Magnussen und Felipe Massa fighten um P11, und das gleich mehrmals. Massa wirkt phasenweise unkonzentriert; Magnussen hat die Eier, als Erster auf Slicks zu wechseln. Und fährt damit nach drei Runden Anlaufzeit die schnellste Runde.
Auch eine weitere Safety-Car-Phase (diesmal steht Marcus Ericssons Sauber auf der Anderson-Bridge) bringt Hamilton nicht aus dem Konzept. Er kann es sich leisten, eine Runde später als Ricciardo auf Intermediates zu wechseln. Was wir zu dem Zeitpunkt nicht ahnen: Red Bull leidet an einem Getriebeproblem, muss früh schalten.
Hamilton und Ricciardo nutzen die letzte Safety-Car-Phase nicht mehr zu einem Stopp; Hülkenberg aber schon: An vierter Stelle liegend (vor Carlos Sainz) muss er reinkommen, um Hydrauliköl nachzufüllen. Er fällt erst auf P10 zurück - und scheidet später ganz aus. "Wir müssen uns bei Nico entschuldigen", bedauert Teamchef Cyril Abiteboul.
Sainz, Nutznießer von Hülkenbergs Pech, rückt somit auf den vierten Platz auf - das beste Ergebnis seiner Karriere! Am Boxenfunk übermannen ihn die Emotionen: "Vamos!" Teamchef Franz Tost funkt gerührt zurück: "Du wirst bei uns bleiben, Carlos. Wir lassen dich nicht gehen!" Dabei steht der Wechsel zu Renault schon fest.
Am Ende gewinnt Hamilton nach einer dominanten Vorstellung mit 4,5 Sekunden Vorsprung auf Ricciardo. Es ist sein 60. Sieg in der Formel 1 - nur Michael Schumacher (91) hat mehr. Was besonders gut tut: "Singapur war eine Strecke, auf der eigentlich Ferrari gewinnen hätte sollen", analysiert Gerhard Berger.
Der Österreicher sagt aber auch: "Das ist noch keine Vorentscheidung in der WM!" Für den drittplatzierten Bottas schon: Ihm fehlen 51 Punkte auf Hamilton. Selbst Toto Wolff leuchtet ein, dass sich Mercedes jetzt auf eine Nummer 1 festlegen muss. Denn Vettel hat 2010 schon einmal gezeigt, wie gefährlich er sein kann, wenn er angezählt ist
(Motorsport-Total.com) - Für Lewis Hamilton dürften beim Start zum Großen Preis von Singapur 2017 Weihnachten und Geburtstag zusammengefallen sein. Der WM-Spitzenreiter erhielt ein Geschenk, das ihm vorgekommen sein muss wie im Traum: Zunächst zog er an Daniel Ricciardo vorbei, dann kollidierten Sebastian Vettel, Kimi Räikkönen und Max Verstappen zu seiner Linken und wenig später flog Vettel vor ihm endgültig ab. Am Ende waren seine schlimmsten Gegner eliminiert, da Ricciardo keine Gefahr darstellen sollte.
Die Schuldfrage wird weiter kontrovers diskutiert und viele zeigen mit dem Finger auf Vettel. Hamilton schließt sich dem überraschenderweise nicht an, obschon es ein Leichtes wäre, seinem Rivalen psychologisch noch einen kleinen Schlag zu versetzen. Er kann nachvollziehen, wie es zu Vettels Manöver kam, in dem er Max Verstappen direkt vor das Auto zog und dabei Kimi Räikkönen übersah, der innen daneben war. Er verweist dabei auf seinen eigenen Start in Monza, bei dem er ebenfalls auf die Innenbahn zog, ohne allerdings seinem Gegner den Weg abzuschneiden.
"Wenn man losfährt, kann man denjenigen, der von Platz zwei startet, nicht sehen", erklärt der 32-Jährige. "Er ist in jedem Fall im toten Winkel, wenn er genauso gut wie man selbst losfährt. Deshalb ist der erste Gedanke bei einem Start, sein Territorium zu verteidigen, nach innen zu gehen und ihn abzuschneiden. Ich denke, das ist das, was er getan hat. Und wenn man das macht, dann tauchen die anderen urplötzlich im Spiegel auf und man realisiert erst jetzt, wo sie sind. Manchmal stellt man fest, dass man vorne liegt und es gar nicht zu tun braucht. Ich weiß nicht, ob Sebastian dieses Gefühl hatte oder nicht."
Überblick ist Trumpf
Vettel tat allem Anschein nach alles, um Verstappen den Weg abzuschneiden. Wie er selber zugibt, wusste er nicht, dass mit Räikkönen noch ein weiteres Fahrzeug ganz innen war. Hamilton beschreibt, was er gesehen hat: "Ich konzentrierte mich darauf, besser als Daniel (Ricciardo) wegzukommen. Ich sah Kimi und habe genau darauf geachtet, was links von mir vor sich ging. Würde sich da ein Drama abspielen, müsste ich in der ersten Kurve geradeaus fahren, um nicht aufgesammelt zu werden. Dessen war ich mir bewusst." Am Ende war es nicht nötig, weil Räikkönen und Verstappen verlangsamt wurden und er sogar auf gleiche Höhe mit Vettel kam.
Auch Ricciardo, der sich am Ende über seinen ziemlich schlechten Start freuen konnte, weil er sonst in der Gefahrenzone gelandet wäre, fuhr auf den ersten paar Hundert Metern mit Köpfchen, wie er erklärt: "Ich konnte durch den schwachen Start ein bisschen besser sehen, was geschah. Ich sah, dass da eine Kollision mit Kimi war und dass bei Max die Funken flogen. Da wusste ich, dass da etwas los war."
Als er sah, dass es ein Problem gibt, spielte er auf Nummer sicher und ging vom Gas. "Ich wusste nicht, welchen Weg Max' Auto einschlagen würde", begründet er. Verstappen sollte nicht zum Problem werden, aber Räikkönen war nach dem Kontakt mit beiden anderen Fahrzeugen außer Kontrolle. "Ich konnte ihn kommen sehen und wusste, dass er beschädigt war", erklärt der Australier.
Nun tauchte noch ein Beteiligter aus dem Nichts auf: Fernando Alonso stürmte nach seinem Raketenstart außen herum an Ricciardo vorbei. Das wurde ihm zum Verhängnis, denn er geriet in die Schussbahn von Räikkönen. "Er konnte wahrscheinlich nicht so viel sehen", glaubt der Red-Bull-Pilot. "Es sah so aus, als hätte er spät gebremst, um sein Überholmanöver zu vervollständigen und dann kamen natürlich die anderen beiden Fahrzeuge an." Alonso zahlte also den Preis dafür, dass er aufgrund seines guten Starts nicht genügend Informationen hatte.
"Ich bin voll auf Nummer sicher gegangen", erklärt Ricciardo weiter. "Ich habe versucht, vorauszuschauen und zum Glück war das genau das Richtige. Es war chaotisch. Die Gischt war ziemlich schlimm. Das zusammen mit dem, was passiert ist, hat die ersten Kurven ziemlich schwierig gemacht."