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Er kann's noch: Nach vier sieglosen Rennen schlägt Sebastian Vettel zurück und gewinnt den Grand Prix von Ungarn. Genau wie in Monaco feiert Ferrari einen Doppelsieg. Eher streckenspezifisch, aber keine Trendwende, ist Mercedes-Sportchef Toto Wolff selbstsicher. Trotzdem wirkt Vettels Jubel besonders erleichtert.
Dass der Polesetter den Start gewinnt, ist nicht selbstverständlich. Zu Mittag zittert Ferrari um das Getriebe, muss ein Teil wechseln. "Ist doch normal, dass gearbeitet wird", relativiert Vettel - und biegt vor Kimi Räikkönen in die erste Kurve ein. Der würde gegen einen anderen als den Teamkollegen wahrscheinlich mehr riskieren.
Dahinter fällt Lewis Hamilton vom vierten Platz hinter die Red Bulls zurück. Max Verstappen will gegen Daniel Ricciardo nicht zurückstecken, bremst spät in die zweite Kurve. Weil seine Räder stehen, ...
... rutscht er dem Teamkollegen in den Kühler: Ausfall für Ricciardo. Der Sonnyboy tobt: "Amateurhaft!" Verstappen bleibt auf P4 vor Hamilton, entschuldigt sich, kommt aber um eine Zeitstrafe nicht umhin: zehn Sekunden, abzusitzen beim Boxenstopp. Und das Safety-Car muss für fünf Runden auf die Strecke.
Beim Restart probiert's Hamilton gleich mal gegen Verstappen, entscheidet aber, dass es zu riskant ist, den 19-jährigen Heißsporn zu überholen. Was die Zuschauer zu dem Zeitpunkt nicht wissen: Wegen eines defekten Glasfaserkabels in der Box streiken Boxenfunk und Kommunikationssysteme bei Mercedes.
Vettel bestätigt indes Wolffs Befürchtung, dass Ferrari nicht zu schlagen sein wird: 4,3 Sekunden Vorsprung auf den drittplatzierten Valtteri Bottas nach der ersten Runde. Der Vorsprung wächst auf über neun Sekunden an, ehe er wieder kleiner wird. Weil Vettels Lenkrad immer schlimmer nach links zieht.
Dahinter herrscht auf dem Hungaroring weitgehend "Überholverbot". Es sei denn, es gibt eine Stallorder, wie im "Kampf" um P11 zwischen dem schnelleren Nico Hülkenberg und Jolyon Palmer, der bereitwillig Platz macht. Und Romain Grosjean scheidet an 16. Stelle liegend wegen einer losen Radmutter aus.
In Runde 14 beträgt Räikkönens Rückstand auf Vettel dreieinhalb Sekunden; in Runde 31 ist er innerhalb der DRS-Sekunde. Mercedes versucht besonders schlau zu sein und probiert's mit dem Undercut. Ferrari reagiert, holt erst Vettel, dann Räikkönen rein. Letzterer ärgert sich: "Ich hatte den Speed, um draußen zu bleiben!"
Beim Safety-Car-Restart lässt sich Carlos Sainz nach außen tragen, um Fernando Alonso abzudrängen. Beim Boxenstopp fahren die beiden Rad an Rad an den Crews vorbei. Aber in Runde 37 überholt Alonso nach hartem Kampf endlich seinen Landsmann. Schlussendlich werden die Spanier Sechster und Siebter.
Verstappen fährt einen 42 Runden langen ersten Stint auf den Supersofts und kommt mit zehn Sekunden Vorsprung auf Vettel an die Box. Spätestens jetzt ist klar: Ungarn 2017 ist ein Einstopprennen. Verstappen fällt auf P5 zurück. Seine tolle Aufholjagd mit den frischeren Reifen bringt nichts mehr ein.
Schrecksekunde beim Boxenstopp: McLaren-Rookie Stoffel Vandoorne fährt beinahe seinen Lollipop-Mann über den Haufen, holt aber trotzdem seinen ersten WM-Punkt der Saison.
"Dieser Funk-Mist nervt!" Hamilton ist sauer, weil er schneller fahren kann als Bottas, ihn aber niemand hört. Als der Funk wieder funktioniert, entscheidet sich der Kommandostand für die Stallorder. Auflage: Wenn Hamilton keinen der beiden Ferraris überholt, muss er Bottas wieder vorbeilassen.
Was er dann auch tut! Als der Abstand zwischen den Silberpfeilen bis zu acht Sekunden beträgt, kommen daran selbst Bottas Zweifel. Sportchef Wolff sagt, er sei stolz auf die Sportlichkeit seines Teams. Knallt aber wütend die Faust auf den Tisch, als Hamilton das "Fair Play" tatsächlich vollzieht!
Vettel weiß etwa zehn Runden vor Schluss, dass er den Sieg in der Tasche hat. Ans Lenkproblem gewöhnt er sich, und das "Überholverbot" auf dem Hungaroring kommt ihm entgegen. Er weiß: "Kimi war heute schneller als ich." Hamilton kann schneller, kommt aber nicht vorbei.
Diese Szene sorgt für Aufregung: Kevin Magnussen drängt Hülkenberg im Kampf um P11 ab und kassiert dafür fünf Sekunden Strafe. Hülkenberg schimpft Magnussen später als unsportlichsten Fahrer im Feld. Der Haas-Fahrer kontert ungehalten: "Leck mir doch die Eier!"
Paul di Resta kann nach gelungenem Qualifying im Rennen keine Akzente setzen: Der Massa-Ersatz liegt an letzter Stelle, als er mit einem Öl-Leck nach 60 Runden ausscheidet. Bei seinem ersten Renneinsatz seit 2013 zieht er sich insgesamt respektabel aus der Affäre.
Vettel geht nach elf von 20 Rennen mit 14 Punkten Vorsprung auf Hamilton und 33 auf Bottas in die Sommerpause. Was er nun vorhat? In erster Linie Zeit mit der Familie verbringen, sagt er. Denn dafür ist im Jetset-Leben eines Formel-1-Fahrers sonst viel zu wenig Zeit ...
(Motorsport-Total.com) - Dass das heutige Ergebnis aus Sicht von Ferrari optimal gelaufen ist, weiß bei der Scuderia jeder selbst. Einzig Kimi Räikkönen hätte es wohl besser gefunden, wenn er in Budapest seinen ersten Saisonsieg hätte einfahren dürfen. Der Finne war aufgrund der Lenkprobleme seines Teamkollegen Sebastian Vettel klar der schnellere Mann und hätte die Pace für den Sieg gehabt. Doch aufgrund diverser Einzelheiten kam es auf dem Hungaroring nicht dazu.
Dass ihn sein Team trotz einiger Nachfragen am Funk zur Pace seines Teamkollegen nicht vorbeigelassen hat, gehört aber nicht dazu. Laut eigener Aussage wollte Räikkönen keinen Freibrief zum Vorbeifahren. Er fasst sich lieber an die eigene Nase: "Ich muss in den Spiegel schauen. Seb war im Qualifying vorne und auch nach dem Start vorne", sagt der "Iceman". Ein Fehler im Qualifying kostete ihm die Chance auf Pole, und am Start hatte er zwar Windschatten, wollte in der ersten Kurve aber nicht gegen seinen Teamkollegen reinhalten.
"Danach kann man nicht viel tun"; weiß der Finne. Im ersten Stint konnte er nur seinem Teamkollegen folgen, auch weil auf dem Kurs fast kaum überholt werden kann. Zu ähnlich war die Pace, selbst als Vettel Probleme mit seiner Lenkung bekam. Doch als der Deutsche zum Boxenstopp fuhr, witterte Räikkönen seine Chance. Er spürte, dass seine Reifen noch gut genug waren, und wollte draußen bleiben.
Doch das Team holte ihn nur einen Umlauf später zum Reifenwechsel, wo er wieder einmal hinter Vettel festhing. Die Frage ist erlaubt, ob Räikkönen hätte gewinnen können, wenn er hätte weiterfahren dürfen. "Ich hatte auf der Inlap einen guten Speed", sagt er, doch weil Valtteri Bottas und Lewis Hamilton auf frischen Softs unterwegs waren, ging man bei Ferrari kein Risiko für einen Undercut ein - so zumindest die offizielle Version.
"Valtteri fuhr auf neuen Reifen viel schneller, von daher wollte das Team, dass ich reinkomme. Ich muss dem vertrauen, was das Team mir sagt. Sie sehen das Gesamtbild", betont er. Tatsächlich gibt es jedoch Anzeichen, dass Räikkönen noch hätte draußen bleiben können. Als Vettel in die Box fuhr, holte sich Räikkönen trotz alter Reifen zwei Bestzeiten in den ersten beiden Sektoren. Diese wurden zwar postwendend von Bottas unterboten, jedoch nur um jeweils wenige Hundertstelsekunden.
Doch da war Räikkönen schon auf dem Weg in die Boxengasse. Angesichts des Vorsprungs von sechseinhalb Sekunden vor Bottas' Stopp hätte man Räikkönens Stopp hinauszögern können, doch der Finne wurde zuvor noch von Vettel etwas aufgehalten, sodass der Mercedes virtuell noch ein Stück nähergekommen war. Die Zeiten des später stoppenden Max Verstappen sprechen jedoch Gegenteiliges: Der Red-Bull-Pilot war mit seinen alten Reifen zunächst eine Sekunde langsamer als Bottas, bevor dieser in den Wirbeln der Ferrari langsamer wurde.
Es bleibt also offen, ob Räikkönen das Rennen hätte gewinnen können oder überhaupt dürfen. Fakt ist jedoch, dass sich Ferrari mit dem optimalen Ergebnis in die Sommerpause verabschiedet hat, ohne offen eine Stallorder auszusprechen.