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Nico Rosberg ist wieder auf Kurs: Während Lewis Hamilton drei Motoren- und eine Getriebestrafe kassiert und von ganz hinten starten muss, verwandelt der Deutsche den "Elfmeter" und verkürzt in der WM von 19 auf zehn Punkte. Das ist auch bitter nötig: Spa-Francorchamps ist erst sein zweiter Sieg in neun Rennen!
Esteban Ocon, 19-jähriger Franzose, ersetzt ab sofort bei Manor Rio Haryanto, dessen SMS-Programm in Indonesien nicht genug Spendenmillionen einsammeln konnte. Ocon ist (genau wie Teamkollege Pascal Wehrlein) Mercedes-Junior und war in der Formel 3 der vielleicht härteste Gegner von Max Verstappen.
Nach mäßigen Trainings und einem Setup-Umbau im richtigen Moment holt Rosberg doch die Pole. Kimi Räikkönen (3.) und Sebastian Vettel (4.) verlieren diese, weil die Pirellis keine ganze Runde halten. Und Lokalmatador Verstappen jubelt nach Freitagsbestzeit über seinen ersten Start aus der ersten Reihe, ...
... aber diese Freude ist von kurzer Dauer: Der Red-Bull-Fahrer (mit belgischer Mutter und belgischem Reisepass, aber niederländischer Lizenz) erwischt keinen guten Start und fällt hinter die beiden Ferraris zurück, ...
... sieht aber in La Source eine Lücke und sticht in diese hinein. Es kommt zur Kettenreaktion, weil Vettel außen "nicht riechen kann", dass Verstappen innen den Platz für Räikkönen blockiert. Letztendlich finden Experten wie Marc Surer: "Unnötig von Vettel." Die FIA-Kommissare bewerten die Aktion als Rennunfall.
Ferrari ist ohnehin genug gestraft: Beide fallen weit zurück und müssen am Ende der ersten Runde an die Box kommen, um weiterfahren zu können. Dass dabei noch die Plätze sechs und neun herausspringen, ist "Schadensbegrenzung", wie Vettel nach dem Rennen feststellt.
Von all dem unberührt nutzt Rosberg seine Pole und zieht dem Feld sofort davon. Verstappen kann seinen zweiten Platz gegen Nico Hülkenberg auch nicht lange verteidigen, weil sein Frontflügel die erste Kurve nicht überlebt hat.
Die Anfangsphase ist turbulent: Räikkönen humpelt mit Reifenschaden an die Box zurück, wo sich sein Ferrari gleich mal entzündet. Er kann trotzdem weiterfahren.
Und Carlos Sainz schlitzt sich auf Trümmern in der zweiten Runde seinen rechten Hinterreifen auf. Er schafft es nicht mehr an die Box zurück, probiert es aber trotzdem. Das bringt ihm scharfe Kritik von Niki Lauda ein: "Du kannst doch nicht mit so einem Kübel, der nichts mehr dran hat, so lange auf der Rennstrecke herumfahren!"
Schrecksekunde in der sechsten Runde: Kevin Magnussen übersteuert durch Eau Rouge und verliert die Kontrolle, steigt dann zum Glück selbst aus dem Renault aus. Der Däne wird mit einer Knöchelverletzung ins Krankenhaus gebracht, gibt aber Entwarnung: Der Start in einer Woche in Monza ist nicht gefährdet.
Von der Safety-Car-Phase samt anschließendem Rennabbruch (um die Reifenstapel zu reparieren) profitiert Hamilton am meisten, der gemeinsam mit Alonso aus der letzten Reihe gestartet und inzwischen schon Fünfter ist. Praktisch: Bei der Gelegenheit kann er unter Rot gleich Reifen wechseln. Das geht 2017 nicht mehr.
Pech hingegen für Leute wie Hülkenberg (Foto) oder Felipe Massa, die schon vor der Safety-Car-Phase Reifen gewechselt haben und große Profiteure gewesen wären. So fällt Hülkenberg vom abgesicherten zweiten auf den dritten Platz zurück. Gut ist das Safety-Car für Räikkönen: Er darf sich jetzt nämlich zurückrunden.
Verstappen bleibt an diesem Tag ein rotes Tuch für Ferrari: Räikkönen geht bei Les Combes erst an ihm vorbei, verbremst sich aber und muss die Position zurückgeben. Etwas später hat der "Iceman" so viel Wut im Bauch, dass er in Eau Rouge fast abfliegt, ...
... und dass Verstappen bei jenseits 300 km/h entlang Kemmel die Spur wechselt, findet Räikkönen "lächerlich". Seine Box meint nur: "Confirmed. Ridiculous." Und Niki Lauda würde Verstappen, bei seinem Heimrennen harscher Kritik ausgesetzt, am liebsten "in die Psychiatrie" schicken.
Hamilton kann Hülkenberg nicht lange halten, obwohl dieser im Finish noch einmal Reifen wechseln und ihn ein zweites Mal überholen muss. Aber gegen Alonso (am Ende Siebter) gibt der Force-India-Fahrer nicht klein bei. Mit dem Podium wird's trotzdem nichts; Platz vier wertet Hülkenberg als Erfolg.
Nach Sergio Perez (Berührung beim Überholen, am Ende Fünfter) ärgert Verstappen auch noch Vettel: Der Ferrari-Star ist schon vorbei, unter frenetischem Jubel von 40.000 "Oranjes" kontert ihn Verstappen aber eingangs Les Combes aus. Erst eine Runde später ist der Positionstausch dann durch.
Was viele nicht wissen: Daniel Ricciardo hatte Riesenglück, dass er während der Unterbrechung die Nase wechseln darf. "Sonst wäre der zweite Platz nicht drin gewesen", ist Red-Bull-Motorsportkonsulent Helmut Marko sicher. Gegen Hamilton gerät er trotz dessen Speed nach dem Boxenstopp nie in Gefahr. P3 für den Weltmeister.
Massa muss erst Perez durchlassen, schnappt sich dann Vettel (nur kurzzeitig nach dessen Fehler) und lässt auf Bitte des Teams Valtteri Bottas durch, damit dieser im Finish Jagd auf P7 (Alonso) machen kann. Aber Bottas knackt Alonso nicht mehr und Massa rutscht bei der Aktion irrtümlich auch Räikkönen durch.
Rosberg gewinnt am Ende ungefährdet, 14,1 Sekunden vor Ricciardo, 27,6 vor Hamilton. Ricciardo fällt dazu nur ein Wort ein: "Cruising." Er weiß, dass Mercedes weiterhin unantastbar ist. Insgesamt sehen 17 Fahrer die Zielflagge. Darunter Rookie Ocon, aber nicht Wehrlein: Kollision mit Jenson Button in der ersten Runde.
Als "übermotiviert" beschreiben viele die Vorstellung von Verstappen beim "halben Heimrennen". Gerade vor eigenem Publikum unter Druck zu versagen, das ist 2016 schon einem anderen Red-Bull-Fahrer passiert (Daniil Kwjat). Aber im Gegensatz zum Russen muss Verstappen keine Degradierung befürchten.
(Motorsport-Total.com) - Mit ihren langen Vollgaspassagen und vielen schnellen Kurven hätte die Rennstrecke von Spa-Francorchamps für Mercedes in der Formel 1 eigentlich wie gemacht sein sollen. Doch während die Silberpfeile vor der Sommerpause die Konkurrenz bei vielen Rennen geradezu dominiert hatte, war von einer Mercedes-Übermacht beim Grand Prix von Belgien lange nichts zu sehen. Denn das Weltmeisterteam wurde von den von Pirelli vorgeschriebenen hohen Reifendrücken auf dem falschen Fuß erwischt.
"Unsere komplette Entwicklung und die Simulationen waren auf einen Reifen ausgerichtet, der sich vollkommen anders verhält", sagt Motorsportchef Toto Wolff. "Wenn die Auflagefläche nur noch halb so groß ist, dann ist das sehr schwierig." Pirelli hatte in Spa-Francorchamps ungewöhnlich hohe Luftdrücke von 1,62 Bar für die Vorderreifen und 1,51 Bar vorgeschrieben.
"Ich verstehe, warum Pirelli das macht", zeigt Wolff für die Vorgaben der Italiener Verständnis. "Wir fahren die letzte Saison mit diesen Reifen und hatten im vergangenen Jahr einige Schäden. Die Sicherheit ist für einen Reifenhersteller das Wichtigste, deswegen blasen wir sie wie Ballons auf." Nach dem Reifenschaden von Sebastian Vettel hatte Pirelli im vergangenen Jahr viel Kritik einstecken müssen. Durch die höheren Reifendrücke sollte die Belastung der Seitenwand reduziert werden und der Reifen damit weniger anfällig für Beschädigungen sein.
Simulation passte nicht zum Reifen
Ein Nebeneffekt dieser hohen Reifendrücke war eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses. Im zweiten und dritten Freien Training fuhr Nico Rosberg mit den Plätzen sechs und sieben für Mercedes-Verhältnisse regelrecht hinterher, im Qualifying waren ihm Max Verstappen (Red Bull) und Kimi Räikkönen (Ferrari) dicht auf den Fersen und hatten in Q3 beide weniger als zwei Zehntelsekunden Rückstand auf den Mercedes-Piloten.
"Es war ein seltsames Wochenende, wir mussten uns sehr auf die Reifendrücke einstellen", sieht auch Rosberg den Grund dafür in den Vorgaben von Pirelli. "Aufgrund der Reifendrücke waren wir an diesem Wochenende mit dem Auto in einem anderen Bereich. Das war sicherlich einer der Gründe, warum es im Qualifying so eng war." Nach anfänglichen Schwierigkeiten gelang es Mercedes im Laufe des Wochendes jedoch immer besser, den W07 auf die veränderten Reifendrücke einzustellen. "Wir haben gute Arbeit geleistet, denn wir mussten das Auto ziemlich umbauen. Im Rennen sah es dann wirklich gut aus", lobt Rosberg die gemeinsamen Anstrengungen.
Dennoch musste Mercedes bei der Abstimmung nach Einschätzung von Wolff größere Kompromisse eingehen als die Konkurrenz. "Natürlich hat unser Auto eine Menge Abtrieb, daher trifft es uns härter. Wir können nicht mit so viel Abtrieb fahren, wie wir wollen, denn das hält der Reifen nicht aus", sagt der Sportchef, der das allerdings nicht als Ausrede für die am vergangenen Wochenende weniger dominante Vorstellung gelten lassen will.
Keine Kritik an Pirelli von Mercedes
Die hohen Reifendrücke brachten Mercedes in Bedrängnis
"Würden wir die Mikrofone ausschalten, würde ich vielleicht herumjammern und mich beklagen, wie unfair das ist. Ich will unsere Strategie nicht anhand von Temperaturen und Reifendrücken ausrichten, aber so ist es nun einmal", sagt der Österreicher. "Es wäre unsportlich, nach Ausreden zu suchen. Man muss sich so gut wie möglich darauf einstellen."
Auch von Vorwürfen in Richtung Pirelli sieht Wolff ab und zeigt vielmehr Verständnis für die Zwickmühle, in der der Reifenlieferant steckt. "Sie haben es nicht leicht uns einen Reifen zu geben, der den Teams und den Ingenieuren gefällt und den Zuschauern eine tolle Show bietet. Es wird immer Klagen geben", meint Wolff. Und das könnte auch am nächsten Wochenende wieder der Fall sein. "In Monza werden die Drücke wieder ziemlich hoch sein. Es ist zwar eine andere Strecke, aber das könnte für uns wieder ziemlich schwierig werden", erwartet Rosberg.