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Nico Rosberg setzt in Schanghai seine Siegesserie fort: Sechster Grand-Prix-Triumph hintereinander, die ersten drei Saisonrennen 2016 gewonnen - das hat in der Formel 1 noch keiner geschafft, der nicht irgendwann einmal Weltmeister wurde. Ein gutes Omen?
Der Grand Prix von China beginnt mit drei Reifenschäden, alle links hinten, am Freitag. Es wird befürchtet: Hat Pirelli ein Problem, muss das Rennen abgesagt werden? Später stellt sich heraus: Technik-Panne bei Williams - und Renault ist nur über Wrackteile gefahren. Reiner Zufall also.
Nicht das Wochenende des Lewis Hamilton: Wegen Getriebewechsel ohnehin schon mit fünf Startpositionen Handicap nach China gekommen, gibt im Qualifying auch noch seine MGU-H (Energierückgewinnung) den Geist auf. Letzter Startplatz.
Rosberg hingegen bringt's auf den Punkt und sichert sich die 23. Pole seiner Karriere, die ihm von den beiden Ferrari-Fahrern auf dem Silbertablett serviert wird. Sowohl Kimi Räikkönen (3.) als auch Sebastian Vettel (4.) verbremsen sich in der Haarnadel. Völlig überraschend auf Platz zwei: Daniel Ricciardo.
Polesetter Rosberg hat es in Q2 als einziger Fahrer geschafft, mit Soft (statt Supersoft) ins Q3 aufzusteigen. Mit diesem Reifensatz darf er auch starten - laut Mercedes-Boss Niki Lauda "ein Riesenvorteil". Aber auf den ersten Metern muss er die Führung zunächst mal an Ricciardo abgeben.
Weiter hinten setzen die Ferraris ihre selbstzerstörerische Vorstellung fort: Vettel zuckt nach außen, um Daniil Kwjats Red Bull auszuweichen, und fährt dabei ausgerechnet Räikkönen ins Auto. Er habe "keine Chance" gehabt, sagt Vettel und ärgert sich über die "selbstmörderische" Aktion seines Red-Bull-Nachfolgers.
Auch bei Hamilton wird's nicht besser: Kollision mit Felipe Nasr (Sauber) in der ersten Runde, Frontflügel weg. Von nun an müssen er und Räikkönen im Doppelpack das Feld von hinten aufrollen - mit gut 50 Sekunden Rückstand nach zwei Runden.
Kein glücklicher 30. Geburtstag für Romain Grosjean: Nach zwei Haas-Überraschungen in Australien und Bahrain enden seine Hoffnungen diesmal schon in der ersten Runde, nach Kollision mit Sauber-Fahrer Marcus Ericsson. Über den wütet er später: "Dieser dumme Ericsson!"
Dritte Runde: Ricciardo und Rosberg führen drei Sekunden vor Kwjat, den Force Indias und Carlos Sainz, als Ricciardos linker Hinterreifen platzt (fünfter Pirelli-Reifenschaden des Wochenendes) und Rosberg in Führung geht. Pirelli erklärt später, der Reifen sei an einem Wrackteil der Startkollisionen aufgeschnitten worden.
Um die Strecke von eben diesen säubern zu können, kommt das Safety-Car zum Einsatz. Das nutzen bis auf Rosberg und Felipe Massa alle Topfahrer zum Boxenstopp. Der Grand Prix steht Kopf: Manor-Rookie Pascal Wehrlein, im Qualifying noch gecrasht, ist plötzlich Vierter. Bestplatzierter Fahrer mit Boxenstopp ist Kwjat auf P6.
Hamilton versucht während der Safety-Car-Phase einen Strategietrick: Um den Supersoft nicht mehr fahren zu müssen, wechselt er in Runde fünf von Soft auf Supersoft und in Runde sechs wieder zurück. Letzter ist er sowieso schon, und hinter dem Safety-Car kostet die Wechselaktion keine Zeit.
Kwjat überholt der Reihe nach Wehrlein, Fernando Alonso (McLaren trumpft nur zu Beginn des Rennens auf, geht wieder leer aus) und Massa und ist plötzlich mit einem Boxenstopp mehr erster Rosberg-Verfolger. Rückstand zu Beginn der 13. Runde: 6,9 Sekunden.
Weiter hinten hat Hamilton Räikkönen bereits überholt. Genau wie Vettel, der zwischenzeitlich auf Platz 15 zurückfällt, pflügen die beiden durchs Feld. Zumindest bis zu dessen zweitem Boxenstopp jeweils knapp vor ihnen: Ricciardo.
In der elften Runde schnappt sich Vettel Williams-Pilot Valtteri Bottas und ist schon Achter. Dabei beschädigt er sich erneut den Frontflügel, was er jedoch nicht einmal merkt und laut Ferrari-Simulationen kein Problem ist. Tatsächlich fährt er kurz darauf die bis dahin schnellste Runde im Rennen.
Vettels Boxengassen-Manöver gegen den glücklosen Nico Hülkenberg (Grid-Strafe wegen "unsafe release" am Samstag) und Sainz bleibt ohne Folgen. Die Fünf-Sekunden-Strafe kassiert im Gegenteil Hülkenberg: Er hat während der Safety-Car-Phase absichtlich langsamer gemacht, damit Force India zuerst Sergio Perez in Ruhe abfertigen kann.
Nach dem (gleichzeitigen) letzten Boxenstopp geht's zwischen Kwjat (Medium) und Vettel (Soft) Rad an Rad um den zweiten Platz - und Vettel, möglicherweise noch sauer wegen der Aktion in der ersten Kurve, macht mit dem Russen (mit DRS) kurzen Prozess. Der Rückstand auf Rosberg ist da (37. von 56 Runden) aber schon zu groß: 25,7 Sekunden.
Hinter den Top 3 zeichnet sich ein heißer Vierkampf um den vierten Platz ab. Mit in der Verlosung: Massa, Hamilton (der zuvor Bottas sensationell überholt hat), Bottas und Ricciardo, der im Finish mit den frischesten (Medium-)Reifen im Paket groß aufdreht.
Ebenfalls furios in der Schlussphase: Räikkönen schnappt sich erst seinen alten Bekannten Bottas, dann Hamilton, dessen Reifen langsam nachlassen, schließlich auch noch Massa - und wird Fünfter. Dabei ist er nach seinem letzten Boxenstopp nur als Zwölfter auf die Strecke gekommen, zu dem Zeitpunkt rund 15 Sekunden hinter Massa.
Und wieder mal teaminternes Duell bei Toro Rosso: Erst kommen die beiden in der ersten Safety-Car-Phase gleichzeitig an die Box, dann nutzt Max Verstappen im Finish seinen Reifenvorteil und geht relativ mühelos an Sainz vorbei.
Am Ende landen beide in den Punkterängen, weil sie noch Perez und Bottas überholen, der mit stumpfen Waffen kämpft. Sainz schnappt sich den Williams erst in der allerletzten Runde.
Mit 37,8 Sekunden Vorsprung feiert Rosberg den 17. Grand-Prix-Sieg seiner Karriere, hängt damit in der ewigen Bestenliste Stirling Moss ab und ist nun erfolgreichster Nicht-Weltmeister der Formel-1-Geschichte. In der Fahrer-WM führt er nun schon 36 Punkte vor Titelverteidiger Hamilton - so überlegen wie noch nie!
Nach dem Rennen geht's zwischen Vettel und Kwjat hoch her: "Du kamst wie ein Torpedo angeschossen!", ärgert sich Vettel. Kwjat, cool: "Come on, I was racing! Wir stehen auf dem Podium, reg dich nicht auf!" Und Red Bulls Christian Horner meint: "Wenn Seb das Replay gesehen hat, wird er sich beruhigen." Womit er recht behalten sollte...
(Motorsport-Total.com) - Der Grand Prix von China 2016 darf durchaus als ereignisreich bezeichnet werden. Und einige der zahlreichen Vorfälle fanden am Sonntagnachmittag in der Boxengasse statt. In der Anfahrt zum Reifenwechsel bremst Force-India-Pilot Nico Hülkenberg so stark ab, dass der hinter ihm fahrender Toro Rosso von Carlos Sainz beinahe in ihn hinein fährt und Sebastian Vettel sich sogar fürs Überholen entscheidet. Hülkenberg wurde dafür bestraft, Sainz dadurch vielleicht um eine bessere Platzierung gebracht und Vettel erweist sich als Schlauberger.
"Es scheint normal zu sein, aber es ist sehr gefährlich", prangert Sainz das vorsätzliche Langsamfahren an. "Wenn man hinterher fährt, erwartet man ja nicht, dass so abgebremst wird. Ich wollte ihn noch außen auf dem Gras überholen. Aber dann kam Seb und ich wollte ihm nicht in den Weg fahren. Die Boxengasse sollte ein sicherer Platz sein, kein Platz um Rennen zu fahren und Chaos zu verursachen."
Zu dem Chaos in der Boxengasse kam es auch durch das Chaos auf der Strecke. Durch die Startkollision beider Ferraris und andere Berührungen im Feld lagen viele Trümmerteile auf der Strecke, weswegen sich die Rennleitung in Runde 3 fürs Aufräumen unter dem Safety-Car entschied. Das war der Startschuss für einen Boxenstopp-Andrang, den Hülkenberg, Sainz und Vettel aus Top-10-Platzierung aus beiwohnten.
"Die Regeln sagen, dass man in der Anfahrt nicht abbremsen soll. Aber in der Hitze des Gefechts ist es schwer einzuschätzen, ob man einen Vorteil daraus ziehen kann", verteidigt sich Hülkenberg. Der Force India Pilot stand unter Verdacht, bewusst abgebremst zu haben, weil er sich beim Reifenwechsel hinter seinem Teamkollegen Sergio Perez einreihen musste und so eventuell Zeit sparen wollte. Dafür wurde ihm später eine Fünf-Sekunden-Strafe aufgebrummt.
Der gelackmeierte Sainz weist aber darauf hin, wie gefährlich sich die Situation außerdem hätte entwickeln können: "Es dürfen zwar nur 80 km/h gefahren werden, aber das ist noch immer schnell. Wenn da einer abbremst und man fährt hinten rein, dann drehen sich plötzlich zwei Autos in der Boxengasse - wo Leute drum herum stehen."
Nutznießer der Situation war ohnehin Vettel, dem in seiner Aufholjagd quasi zwei Plätze geschenkt wurden. Denn der Ferrari-Pilot handelte nicht regelwidrig, wie von einigen Zuschauern angenommen. Auch während einer Safety-Car-Phase ist das Überholen im Boxengassen-Bereich erlaubt, wir unter Punkt 39.8 f nachzulesen ist.
"Ich darf dort überholen", triumphiert der viermalige Weltmeister also. "Ich weiß nicht, was mit dem Force India passiert ist. Er war langsam und der Toro Rosso hat sich dazu entschlossen, sich hinten anzustellen, also bin ich so halb über das Gras gefahren, um die beiden zu überholen. Im Boxengasseneingang dürfen wir racen. Scheint so, als war ich der Einzige, der das wusste."