Mercedes versus Ferrari: Duell der Diplomaten

Der Kampf um die Formel-1-WM-Krone wird am Freitag eröffnet: Können Sebastian Vettel und Co. den Silberpfeilen Paroli bieten? Qualifying ist der Schlüssel

(Motorsport-Total.com) - Soll die an diesem Wochenende in Melbourne beginnende Formel-1-Saison trotz der allenthalben erwarteten Mercedes-Dominanz doch spannend werden, muss ein Rennstall seine Hausaufgaben gemacht haben: Ferrari. Der Australien-Grand-Prix markiert Runde eins im Schlagabtausch der prestigeträchtigsten, traditionsreichsten und finanzstärksten Teams der Szene. Wenige Stunden vor der ersten Trainingssession fragt sich die Königsklasse: Kann die Scuderia gegen die Silberpfeile bestehen?

Lewis Hamilton vor Sebastian Vettel? Oder tappen die Experten doch im Dunkeln?

Im Mercedes-Lager gibt man sich gewohnt bescheiden. Wie schon bei den Testfahrten, als der W07 entweder mit härteren Reifen oder mit viel Sprit seine Runden drehte, üben sich die Protagonisten im Tiefstapeln. "Natürlich" hätte er in Barcelona lieber mehr Umläufe mit Blick auf die Stoppuhr gefahren, erklärt Weltmeister Lewis Hamilton. "Aber wir haben getan, was wir tun mussten. Wir sind täglich 800 Kilometer gefahren, was wir gar nicht für möglich gehalten hätten", demonstriert er Zuversicht.

Ist mit der Zuverlässigkeit Mercedes' letzte Schwäche ausgebügelt? Selbst wenn nicht: In Brackley, Brixworth und Stuttgart ist ein innovatives Auto entstanden, das in Sachen Leistung einen Schritt nach vorne bedeuten könnte. Hamilton ist nach zwei WM-Titeln in Serie und einem demotivierten Saisonschlussspurt 2015 weiter hungrig. Er sagt: "Man will immer die perfekte Runde, das perfekte Rennen und die Latte noch ein Stück höher legen." Peilt er die nächste Krone an, ist das vielleicht auch nötig.

Ferrari bekennt sich zu dem Ziel WM-Titel

Sebastian Vettel: Hat er auch am Sonntag noch gut Lachen?

Denn der Brite ist gewarnt: "Das gesamte Feld scheint dichter beisammen. Ferrari ist näher dran als sie zugeben wollen." Auch im Lager der Roten ist Zurückhaltung das Gebot der Stunde. Sebastian Vettel bezeichnet Mercedes als den "Favoriten", lässt sich aber immerhin das Statement abringen, ein "gutes Gefühl" zu haben. Prognosen sind trotzdem Fehlanzeige. "Es kommt immer darauf an, was man für einen Schritt seit den Tests gemacht hat", sagt er. "Die Frage ist, ob wir es rechtzeitig geschafft haben."

Wenn der neue SF16-H eines beherrschen muss, um Mercedes Paroli zu bieten, dann ist es Tempo auf einer Einzelrunde. Bisher ließ Ferrari in den Qualifyings regelmäßig Federn und handelte sich so einen Nachteil ein, der trotz identischer oder teilweise sogar besserer Rennpace nicht mehr zu kompensieren war. Entsprechend vage ist Vettels Aussage über den Status Quo im Gipfelduell: "Ich glaube, dass wir in den Rennen deutlich näher dran sein können als gegen Ende der vergangenen Saison."

Fotostrecke: FIA-Fast-Facts Australien

Denn das wird nicht reichen, um das selbst gesteckte Ziel zu erreichen. "Wenn man als Zweiter der Konstrukteurs-WM einläuft, will man natürlich einen draufsetzen und spricht davon, ganz vorne zu sein", rasselt Vettel mit dem Säbel und gibt sich mit drei Saisonsiegen wie 2015 nicht zufrieden. "In Zukunft wollen wir nicht mehr die Jäger sein, sondern die Gejagten. Sonst finde ich es ein bisschen schwierig, mich zu motivieren, wenn ich mir das Ziel setze, einfach nur ein bisschen mitzurollen", sagt er.

Mercedes intern: Hamilton abgelenkt, Rosberg unter Druck?

Vettel und Ferrari bleibt neben einem kleinen Wunder bei der Entwicklung die Hoffnung, dass Mercedes sich selbst ein Bein stellt. Hamilton scheint anders als 2014 und 2015 wieder mehr mit seinem Leben abseits der Rennstrecke zu kämpfen zu haben und fand sein Konterfei pünktlich zum Saisonstart in den Boulevardblättern und musste in der FIA-PK von Melbourne (mal wieder) eisern schweigen.

Nico Rosberg steht nach wie vor unter Druck, will er die Verlängerung seines zum Jahresende auslaufenden Vertrages absichern. Toptalent Pascal Wehrlein ist längst im Paddock angekommen. Genug Würze für das nächste Teamduell? Mercedes will seine beiden Gladiatioren an der langen Leine lassen, nachdem es 2015 (oft nur mit viel Glück) auf der Strecke nicht krachte, dafür aber in den Pressekonferenzen, im Vorbereitungsraum hinter dem Podium und dort, wo sonst noch Mikros standen.

Ex-Formel-1-Pilot Mark Webber traut Rosberg es zu, Hamilton ein Schnippchen zu schlagen: "Ich war überrascht, wie er sich am Ende des Vorjahres zurückgekämpft hat. Lewis hat definitiv um diese zwei, drei Prozent nachgelassen, als er den Titel hatte", erklärt der Australier. "Ich bin sicher, dass Nico auch in den ersten Rennen 2016 gut abschneiden wird. Wenn Lewis aber so in Australien aufkreuzt, wie wir ihn kennen - hungrig und motiviert -, ist er gefährlich. Dann kann er gewinnen, es liegt an ihm."

Ferrari intern: Rennopa Räikkönen wieder Gefahr für Vettel?

Bei Ferrari läuft ein Duell der Ex-Champions und Kumpel harmonischer ab. Allerdings muss Kimi Räikkönen zeigen, dass er gegen Vettel nicht alt aussieht wie ein Rennopa. Von Rivalität will der Finne nichs wissen. "Wir haben das gleiche Auto und müssen das Beste herausholen. Wir arbeiten als Team", wiegelt er auf die Frage, ob der SF16-H seinem Fahrstil besser läge als der Vorgänger, ab. Räikkönen ist sich allerdings bewusst, dass er dafür an seiner Qualifyingschwäche wird arbeiten müssen.


Fotos: Großer Preis von Australien


Nach einem sang- und klanglos verlorenen Samstagsduell mit Vettel 2015 sagt er: "Geplant ist es immer, es besser zu machen. Aber es gibt keine besonderen Tricks, die plötzlich etwas auf den Kopf stellen", kommentiert Räikkönen. Zuversicht klingt selbst beim "Iceman" anders. Er fügt hinzu: "Wenn es sie geben würde, wäre ihnen längst jemand auf die Schliche gekommen." Nichtsdestotrotz bekennt auch er sich zum Ziel WM-Titel und hofft, "ein Wörtchen mitzusprechen".

Glaubt man Ex-Ferrari-Pilot Felipe Massa, könnte der neue Qualifying-Modus gegen die Scuderia sprechen. "Wenn Mercedes so schnell ist wie im vergangenen Jahr, könnte das Zeittraining für sie sogar ein Vorteil sein", glaubt der Brasilianer. Er skizziert: Hamilton und Rosberg könnten bei großer Überlegenheit als einzige Piloten auf härteren Reifen Q2 überstehen und dürften am Start auf die länger haltbare Mischung zurückgreifen, um die Szenerie von der Spitze zu bestimmen, wenn andere neue Gummis brauchen. "Es könnte Strecken geben, auf denen die Super- oder Ultrasofts nur fünf Runden lang halten", so Massa weiter. Mercedes hätte damit eine weiteren Möglichkeit, den vielleicht wertvollsten Vorteil gegenüber Ferrari in das Rennen zu transportieren.