• 21. August 2013 · 15:40 Uhr

Renault in Spa: 75 Sekunden pro Runde Vollgas

Renault-Motoren-Ingenieur Remi Taffin erklärt die Anforderungen für die Motoren auf "der technisch wohl härtesten Rennstrecke überhaupt"

(Motorsport-Total.com) - Der Große Preis von Belgien gilt als eine der härtesten Herausforderungen für Formel-1-Motoren überhaupt. Das Streckenlayout verlangt vor allem nach maximaler Spitzenleistung und hohen Endgeschwindigkeiten. Nur in Monza müssen die Aggregate noch länger unter Volllast arbeiten als auf der 7,004 Kilometer langen Strecke.

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Für Remi Taffin ist Spa eine der härtesten Rennstrecke überhaupt Zoom Download

"Nach der erholsamen Sommerpause starten wir am kommenden Wochenende gleich auf der technisch wohl härtesten Rennstrecke überhaupt", hebt Motoren-Ingenieur Remi Taffin abermals hervor. Die belgische Strecke bilde "für so ziemlich alle Formel 1-Phänomene die Superlative: Beispielsweise ist es die längste Strecke der Saison, hat über die Jahre die meisten Wetterwechsel gebracht - und bereitet den Fahrern und Technikern am meisten Spaß, denn Spa stellt aus Sicht eines Motoren-Ingenieurs die größte Herausforderung dar", so der Franzose.

La Source bis Raidillon

Die erste Kurve, die La Source-Spitzkehre, ist zugleich die langsamste Stelle des gesamten Kurses. Hier bremsen die Fahrer auf 70 km/h herunter und die Motorendrehzahl fällt auf rund 8.700 Touren. Die anschließende lange Gerade führt steil bergab. Hier beschleunigen die Piloten auf dem Weg zur Eau Rouge mehrere Sekunden lang voll durch. Am tiefsten Punkt, der Senke vor Eau Rouge, sind die Fahrzeuge einer heftigen Kompression ausgesetzt. Der vertikalen g-Kräfte erreichen fast fünf g und pressen auch die Flüssigkeiten wie Öl und Benzin auf den Boden der jeweiligen Tanks.

Auch der Fahrer wird an dieser Stelle des Kurses heftig zusammengestaucht. Am Ende der ehemaligen Boxenanlage führt der Circuit de Spa-Francorchamps dann steil bergauf. Die Steigung beträgt hier bis zu 25 Prozent. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa den Werten, die die Radrennfahrer bei der Tour de France auf den grimmigsten Bergpassagen bewältigen müssen. Das Auf und Ab der "Ardennen-Achterbahn" setzt das Innenleben der Aggregate - besonders den Ölkreislauf - unter erheblichen Stress.

Das größte Problem für die Motoren besteht darin, dass die Kraft- und Schmierstoffe abwechselnd an den Boden oder die Decke der Tanks gepresst werden - und damit weg von den Saugrüsseln der Benzin- und Ölpumpen. Besonders problematisch ist die Situation am Ende der Raidillon, wenn die Autos über die Kuppe fahren. An dieser Stelle des Kurses sorgen die vertikalen g-Kräfte dafür, dass die Boliden "leicht" werden, als wollten sie zum Sprung ansetzen. Für die Piloten fühlt sich diese extreme Belastung so an, als würde der Magen per Aufzug in Richtung Gehirn schießen.

Kemmel-Gerade

Vom Ausgang der La Source bis zum harten Anbremspunkt vor Les Combes stehen die Fahrer voll auf dem Gaspedal. Die dabei zurückgelegte Wegstrecke entspricht in etwa der Länge von 20 Fußballfeldern. Der Motor läuft hier rund 23 Sekunden lang bei Maximaldrehzahl - die längste Vollgaspassage im gesamten Formel 1-Kalender. Die Motoren sind dabei enormen Belastungen ausgesetzt. Hinzu kommt der große Höhenunterschied: Vom Ausgang der La Source bis zur Les Combes-Kurve überwinden die Fahrzeuge binnen kürzester Zeit 80 Höhenmeter.

Dabei verändert sich auch der atmosphärische Luftdruck. Pro Runde beträgt die Luftdruckdifferenz zehn bis zwölf Millibar. Die Folge: Am höchsten Punkt der Strecke gelangt weniger Luft und damit auch eine geringere Sauerstoffmenge in den Motor, es kann weniger Benzin verbrannt werden. Dadurch steht den Fahrern in Les Combes rund ein Prozent weniger Leistung zur Verfügung als zum Beispiel in der La Source.

"Eine andere Herausforderung besteht darin, ein leistungsorientiertes Mapping zu programmieren und gleichzeitig genügend Flexibilität einzubauen, um für wechselnde Wetterverhältnisse gerüstet zu sein", weiß Taffin. "Da die Strecke ungewöhnlich lang ist und durch eine Hügellandschaft führt, kommt es manchmal vor, dass es in einem Streckenteil regnet, während andere Passagen trocken bleiben. Also müssen wir auf solche Verhältnisse reagieren können, ohne bei der grundlegenden Motorabstimmung dafür Spitzenleistung oder Beschleunigung zu opfern."

Blanchimont bis Bus-Stop-Schikane

Der zweite Highspeed-Abschnitt reicht vom Ausgang der Stavelot-Kurve durch den Blanchimont-Linksbogen bis zur Bus-Stop-Schikane. Hier läuft der Motor ziemlich genau 20 Sekunden lang bei maximaler Drehzahl. Vor der Bus-Stop verzögern die Fahrer von weit über 300 km/h auf 75 km/h. Dabei kommt es vor allem auf maximale Bremsstabilität an. Der Fahrer benötigt insbesondere beim Einlenken in die Bus-Stop-Schikane ein gut ausbalanciertes Fahrzeug. Ein weiterer wichtiger Faktor: Die Gangwechsel müssen beim Herunterschalten möglichst weich vonstattengehen, um das Fahrzeugheck nicht zu destabilisieren.

70 Prozent der sieben Kilometer langen Runde sind die Drosselklappen voll geöffnet. Das sind umgerechnet fast 5,5 Kilometer, also locker die Länge eines durchschnittlichen Grand Prix-Kurses. Die V8-Motoren laufen mehr als 75 Sekunden pro Runde auf Vollgas und werden entsprechend hart beansprucht. Wegen dieser Streckencharakteristik zählen Spitzenleistung und Höchstgeschwindigkeit ganz besonders. Jeder Gewinn an Top-Speed wirkt sich hier doppelt so stark auf die Rundenzeit aus wie etwa in Monaco, wo es viel weniger auf die Motoren-Power ankommt.

In Monza seien die Motoren zwar noch ein bisschen länger unter Volllast, merkt Taffin an, "aber nur in Spa tritt diese einzigartige Kombination von langen Vollgaspassagen, Berg- und Talfahrten sowie der mächtigen Kompression in der Senke von Eau Rouge auf", betont er. "Diese Faktoren zusammen fordern den Aggregaten wirklich alles ab. Wer hier die richtige Balance zwischen maximaler Spitzenleistung und 100-prozentiger Zuverlässigkeit trifft, hat vieles richtig gemacht."

Bisher sechs Renault-Siege auf der "Ardennen-Achterbahn"

"Aus diesem Grund verwenden wir das Streckenprofil von Spa auf unseren Motorprüfständen als Referenz", berichtet Taffin. Deshalb, so der Franzose weiter, werden auch Exemplare des Turbomotors für die kommende Saison auf dem Prüfstand bei virtuellen Spa-Runden getestet. Bei Renault nehme "die Vorbereitung auf den Belgien-Grand-Prix gut doppelt so viel Zeit in Anspruch wie für 'normale' Strecken. Und deshalb ist der Sieg für einen Motorenhersteller hier besonders befriedigend - genau wie in Monza, dem ultimativen Test für unsere Triebwerke", so Taffin abschließend.

Sechs Mal waren Renault-Motoren auf der "Ardennen-Achterbahn" erfolgreich: 1983 gewann Alain Prost im Renault RE40, beim nächsten Spa-Gastspiel 1985 siegte Ayrton Senna im Lotus-Renault 97T. 1993 und 1994 triumphierte jeweils Damon Hill mit Williams-Renault, 1995 zeigte Michael Schumacher im Benetton-Renault seinen unvergessenen Sturmlauf von Startplatz 16 aufs Siegertreppchen. 2011 legten Sebastian Vettel und Red Bull mit einem Sieg in Spa den Grundstein für die Titelverteidigung.

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