• 02. Februar 2024 · 19:51 Uhr

"Schluck Wasser genommen": So lief Hamiltons Kündigung bei Toto Wolff

48 dramatische Stunden: Wie Toto Wolff die Zeit von Lewis Hamiltons Kündigung am Mittwochmorgen beim Frühstück bis zur Pressekonferenz am Freitag erlebt hat

(Motorsport-Total.com) - Es war einer dieser typisch-britischen Mittwochvormittage in Oxford: bedeckter Himmel, keine zehn Grad, windig. Nicht gerade das Wetter, das man sonst während der Formel-1-Pause auf den Fotos auf Lewis Hamiltons Instagram-Account sieht. Der Mercedes-Superstar hat zwar auch schon mal ein Video von einer Langlaufloipe gepostet. Üblicherweise hält er sich aber am liebsten da auf, wo's warm ist, und sonnig.

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Mercedes-Teamchef Toto Wolff während seiner Online-Pressekonferenz am Freitag Zoom Download

Nicht so diesen Mittwoch. Toto Wolff, sein Chef bei Mercedes, hat ihn zum Frühstück eingeladen. Kein formelles Meeting, keine Verhandlungen, einfach ein "Catch-up", ein bisschen plaudern, nachdem man sich eine Weile nicht gesehen hat.

Das Treffen findet übrigens nicht in jener Küche statt, aus der das legendäre "Küchenmeeting" nach Nico Rosbergs WM-Titel 2016 überliefert ist. Die Wolffs haben inzwischen ein neues Haus bezogen, und zum Reden gehen die beiden diesmal in Wolffs "Homeoffice", wie man das heute am ehesten nennen würde - oder "mein privates Büro", wie Wolff es nennt.

Wolff hatte ein paar Tage zuvor schon was klingeln gehört, dass Ferrari-Boss John Elkann doch nochmal versucht haben könnte, seinen Superstar mit dem Zauber, der der Marke Ferrari innewohnt, und einem Haufen Geld abzuwerben. Aber er wollte "das Frühstück abwarten, das wir ohnehin für Mittwoch geplant hatten", um Hamilton persönlich drauf anzusprechen.

Es ist nicht das erste Mal, dass Hamilton Gespräche mit Ferrari "beichten" muss. Bereits 2019 hatte er sich zweimal mit Elkann getroffen. Damals scheiterte der Versuch von Ferrari, den damals "erst" fünfmaligen Weltmeister abzuwerben. Hamilton machte gegenüber Wolff kein Geheimnis aus seinen Kontakten. Was ihm vielleicht leichtfiel, wenn er in Wahrheit eh nicht wechseln wollte.

Viereinhalb Jahre später hat Hamilton also wieder was zu "beichten", nur: Diesmal meint er es ernst. Als er bei Wolff in Oxford vor der Tür steht, gibt es keinen Verhandlungsspielraum mehr, sondern die Entscheidung ist bereits gefallen. Von Menschen, die es wissen sollten, wird beschrieben, dass es Hamilton sehr schwergefallen sei, mit der unangenehmen Neuigkeit herauszurücken.

Mittwochmorgen in Oxford: So lief das heikle Gespräch ab!

"Wir sind", sagt Wolff (und er MUSS es wissen, denn er war dabei), "relativ schnell zum Punkt gekommen."

Die beiden kennen einander, vertrauen einander, und auch wenn Hamilton Mercedes jetzt verlässt, würde er Wolff niemals über den Tisch ziehen. Er hätte den Chef schließlich auch erstmal die neuesten Geheimnisse ausplaudern lassen und erst dann sagen können: "Ätsch, Toto, ich wechsle jetzt zu Ferrari!"

"Deswegen", sagt Wolff, habe Hamilton gleich zu Beginn, ohne lange Umschweife, erzählt, was Sache ist. Wörtlich soll Hamilton in etwa gesagt haben: "Toto, ich habe über den Winter eine Entscheidung getroffen, die mir sehr schwergefallen ist. Ich fahre 2025 bei Ferrari."

"Da hat er's mir gesagt, und da hab' ich dann mal einen Schluck Wasser genommen", gibt Wolff zu, der keinen Hehl daraus macht, dass er "noch vor 48 Stunden" niemals damit gerechnet hätte, dass Hamilton die Ausstiegsklausel in seinem neuen Vertrag schon ziehen würde, noch bevor das erste Rennen des neuen Vertrags bestritten ist.

"Man kann mit mir ganz direkt sein, denn ich bin selbst auch direkt", sagt Wolff und räumt ein, dass zu dem Zeitpunkt gar nicht besprochen wurde, ob der Ferrari-Vertrag denn nun schon unterschrieben sei oder noch nicht: "Die Frage habe ich ihm nicht gestellt. Wenn man als Erwachsener eine Entscheidung trifft, dann ist diese Entscheidung gefallen. Das muss man dann zur Kenntnis nehmen. Und das war auch klar."

Wolff und Hamilton sitzen mehrere Stunden, ungefähr "bis Mittag", zusammen. Welche Themen sie sonst noch besprechen, ist nicht überliefert. Wahrscheinlich eins: Wie man eine letzte gemeinsame Saison managt, bevor der Fahrer zu einem der Erzrivalen abhaut, und wie man das sportlich fair regeln kann, ohne dass sensibles Mercedes-Wissen nach Maranello abfließt.

Wolff: Nach dem ersten Schock kommt gleich der Blick nach vorn

"Aber dann habe ich gleich nach vorn geschaut", erinnert sich Wolff. "Wie managen wir die Kommunikation am besten? Wie sieht's mit dem Timing aus? Wie können wir das Team am besten schützen? Und wie kommen wir mit unseren beiden Fahrern am besten durch eine hoffentlich erfolgreiche Saison 2024, ohne dass es zu unangenehmen Situationen kommt?"

"Unser Gespräch hat am Mittwoch zu Mittag geendet. Dann bin ich zurück in die Firma", schildert Wolff. Vermutlich zu diesem Zeitpunkt wird Mercedes' Kommunikationschef Bradley Lord eingebunden. Außerdem sprich sich Wolff "mit dem Fred ab", mit Ferrari-Teamchef Frederic Vasseur - ein Mann, den er von früher gut kennt: Als die beiden im Motorsport noch kleinere Lichter waren, blieb Vasseur oft bei Wolff über Nacht.

Jetzt wissen sowohl auf Ferrari- als auch auf Mercedes-Seite zumindest eine Handvoll Personen über Hamiltons Wechsel Bescheid. Ein paar Stunden später tauchen auf einer italienischen Website die ersten Gerüchte darüber auf, die zunächst noch von kaum jemandem wahrgenommen werden.

Übrigens nicht das erste Mal, dass Ferraris löchrige Kommunikationsabteilung die hauseigenen Leaks nicht im Griff hat. Wenn's bei Ferrari gute Nachrichten gibt, greift immer irgendeiner zum Telefon und ruft einen Journalistenspezi an.

Erst als englischsprachige Journalisten (darunter auch Adam Cooper von Motorsport Network) am Donnerstagmorgen anfangen, darüber zu twittern, verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. "Man kann nicht verhindern, dass so etwas leakt", winkt Wolff ab. "So ist es dann auch passiert."

Warum Wolff am Donnerstag nicht in der Fabrik war

Unglücklich: Am Donnerstag muss Wolff nach Mailand, wo, so hört man, ein Meeting mit Pirelli angesetzt ist. Am frühen Nachmittag englischer Zeit hatte der Pay-TV-Sender Sky schon die Reporterin Rachel Brookes nach Brackley geschickt, um vor der Fabrik live zu senden. Dort verdichten sich die Gerüchte, und Sky meldet jetzt: Hamilton-Wechsel ist fix!

Wolff schafft es trotz seiner Dienstreise, "mich dazwischen hinzusetzen und den einen oder anderen anzurufen und vorher abzuholen". Um 15 Uhr Mailänder Zeit spricht er via Online-Meeting zu den Belegschaften in Brackley und Brixworth. Viele, die eigentlich frei haben, kommen dafür extra in die Firma. Und beim Rausgehen steckt der eine oder andere der Reporterin, was Wolff gerade erzählt hat.

Der hat nach dem Pirelli-Meeting endlich Zeit, mal in Ruhe nachzudenken. Schon wieder ein "Black Swan", ein, wie Wikipedia es formuliert, "Anglizismus für unerwartete und unwahrscheinliche zukünftige Ereignisse mit erheblichen Auswirkungen". Schwarze Schwäne, daher kommt die Redewendung, konnte man sich im 18. Jahrhundert noch nicht vorstellen. Damals glaubte man, Schwäne seien ausschließlich weiß.

Wolff sagt von sich, er habe schon viele "Black Swans" erlebt. Die Wirtschaftskrise als Finanzinvestor, den völlig überraschenden Rücktritt von Nico Rosberg am Ende der Saison 2016. Jetzt also Lewis Hamiltons Wechsel zu Ferrari. Mit dem siebenmaligen Weltmeister verliert der Mercedes-Teamchef nicht nur seinen erfolgreichsten Fahrer, sondern auch einen Freund.

Arbeitskollegen wechseln den Job, Freunde bleiben ewig

Freunde, das sei an der Stelle festgehalten, verliert man nicht, nur weil sie sich einen neuen Job suchen. Eine Aussage, der sowohl Wolff als auch Hamilton sicher energisch zustimmen würden. Aber dass Hamilton Mercedes so unerwartet vor vollendete Tatsachen gestellt hat, bezeichnen manche englische Medien als "Betrayal": Untreue.

"Jetzt, wo ich zweimal drüber geschlafen habe, sehe ich es so: Unsere professionelle Reise ist zu Ende, unsere Zusammenarbeit auch - aber unsere Freundschaft nicht", sagt Wolff. "Wir hatten in den letzten zehn Jahren eine sehr enge Beziehung, und es muss für ihn eine ungemein schwierige Situation gewesen sein, zum ersten Mal seit zehn Jahren allein darüber zu entscheiden, wie es für ihn weitergeht, ohne mit mir darüber brainstormen zu können."

Worte, die großes Verständnis darüber zum Ausdruck bringen, dass es keine Böswilligkeit war, die Hamilton dazu bewogen hat, der Verlockung Ferrari zu erliegen. Wolff fährt fort: "Ich respektiere die Schwere der Situation, in der er sich befand, und irgendwann in Zukunft werden wir mal drüber reden, ob er das anders hätte machen können oder nicht. Aber ich hege keinen Groll auf ihn."

Wehtun, sagt Wolff, würde Hamiltons Abschied ihm auch nicht, "denn ich muss ruhig bleiben und mir überlegen, wie wir die Saison 2024 am besten managen, und welche Entscheidungen es dafür jetzt braucht. Und es ist ja nicht so, dass jemand, den ich mag, plötzlich verschwindet. Er wechselt nur in ein anderes Team."

Wolff: Wechsel zu Ferrari war immer eine Möglichkeit

"Mir war immer klar, dass das eines Tages passieren könnte. Vielleicht war das Timing ein bisschen überraschend für mich. Aber ich habe in meinem Leben schon viele 'Black Swans' gesehen, die an mir vorbeigeschwommen sind, und in der Formel 1 ist immer am wichtigsten, dass man gut und schnell darauf reagiert, wenn sich die Rahmenbedingungen unerwarteterweise ändern."


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Auf schwarze Schwäne müsse man sich einstellen, "und das habe ich", sagt Wolff. Fünf Minuten habe er gebraucht, um zu verstehen, was da gerade passiert - doch dann hätte er seine Gedanken gleich in die Zukunft gerichtet. Und er sagt augenzwinkernd: "Ich kann jetzt meine Meinung dazu haben, ob ich das alles gut oder schlecht finde. Aber er hat sicher darüber länger nachgedacht als ich!"

Wolff ist übrigens überzeugt davon, dass Hamilton aus sportlichen Gründen bei Mercedes am besten aufgehoben gewesen wäre: "Ich weiß, was bei uns kommt. Wir haben eine unglaubliche Truppe, mit so viel Motivation wie schon lange nicht mehr, und eine tolle Pipeline an Entwicklungen. Nicht nur in diesem Jahr, sondern vor allem langfristig."

Übrigens: Toto Wolffs komplette Pressekonferenz in deutscher Sprache gibt's bereits seit heute Nachmittag auf dem YouTube-Kanal von Formel1.de zu sehen. In dem 22-minütigen Video beantwortet der Mercedes-Teamchef unter anderem auch die Frage, ob Max Verstappen jetzt Nachfolger von Lewis Hamilton werden könnte.

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