• 05. Juli 2015 · 10:03 Uhr

Johnny Herberts Durchbruch in der Formel 1

Vor 20 Jahren gewann Johnny Herbert beim Großbritannien-Grand-Prix 1995 sein erstes Formel-1-Rennen - Wir hören uns die Geschichte des Benetton-Fahrers an

(Motorsport-Total.com) - Als Damon Hill in Runde 46 des Grand Prix von Großbritannien 1995 in der Linkskurve Priory mit seinem Williams innen neben dem Benetton von Michael Schumacher hineinstach, dachte er, damit würde er sich einen umjubelten Heimsieg sichern. Als beide Autos nach der ebenso unvermeidlichen wie berühmten Kollision durch das Kiesbett flogen, wird Hill sicherlich keine Sekunde daran gedacht haben, dass er damit für einen britischen Sieg gesorgt hat - nur halt nicht durch ihn.

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Johnny Herbert gelang beim Heimrennen der erste Grand-Prix-Sieg Zoom Download

40 Sekunden dahinter machte Johnny Herbert im zweiten Benetton-Renault auf Platz drei fahrend sein eigenes Ding und wusste noch nicht, dass es der größte Tag in seiner Rennfahrerkarriere werden wird. Doch nun war er nur noch 16 Runden von einem Sieg in Silverstone entfernt. Eine Leistung, die nach seinem furchterregenden Formel-3000-Unfall sieben Jahre zuvor in Brands Hatch unmöglich erschien.

"Der Rückstand zu der ersten beiden war da, aber ich lag auf einem sicheren dritten Platz", erinnert sich Herbert. "Mein Tempo war gut, und dann passierte der Unfall zwischen Damon und Michael. Ich habe in diesem Moment aber nicht gedacht: 'Jetzt bin ich Erster.' Erst nachdem mich Ross (Brawn; Anm. d. Red.) angefunkt hatte, habe ich realisiert, dass ich führe."

Herbert schreit vor Schmerzen im Auto

Der Williams von David Coulthard lag nicht weit hinter Herbert, doch "DC" würde noch weitere vier Jahre auf seinen Sieg beim britischen Grand Prix warten müssen, denn wegen zu schnellem Fahrens in der Boxengasse erhielt er eine Stopp-and-go-Strafe. Herbert wurde über die Strafe informiert und wehrte sich daher nicht, als Coulthard ihn in Runde 49 in Stowe angriff. Eineinhalb Runden später übernahm er erneut die Führung und fuhr zu seinem ersten Grand-Prix-Sieg. Doch das war nicht einfach.

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Der Unfall zwischen Hill und Schumacher spülte Herbert an die Spitze Zoom Download

"Bei meinem Unfall hatte ich einen Zeh verloren, der mit anschließend wieder angenäht worden war. Dadurch hatte ich hatte ich unter meinem Gasfuß eine große Narbe. Die bereitete mir zwar nicht in jedem, aber doch in einigen Rennen Beschwerden. In den letzten 14 Runden hat sie so sehr geschmerzt, dass ich mit dem linken Fuß bremsen musste. Das konnte ich normalerweise nicht, denn da ich meinen Knöchel kaum bewegen kann, musste alles mit dem Knie und der Hüfte machen."

"Ich habe eine Runde lang mit links gebremst und dann zwei Runden lang normal, damit ich mich erholen konnte. Glücklicherweise wurde mein Tempo nicht langsamer, aber ich hatte zu kämpfen und habe im Auto vor Schmerzen geschrieen. Ich habe meinen Teams nie davon erzählt, denn sonst hätten sie mich sofort rausgeschmissen. Glücklicherweise bekam DC die Strafe, sodass ich nicht mehr gegen ihn kämpfen musste und keinen Druck mehr hatte."

Ein Sieg gegen den drohenden Rauswurf

Herbert überquerte die Ziellinie 16,5 Sekunden von dem Ferrari von Jean Alesi, während Coulthard sich mit dem dritten Platz zufrieden geben musste. "Als ich in der letzten Runde über die Ziellinie fuhr, musste vor allem daran denken, was ich alles hatte durchmachen müssen, bis ich in der Lage war, zu gewinnen", sagt Herbert. "All die Probleme, nach dem Unfall zurückzukommen. Zum Glück hat mir Peter Collins 1989 bei Benetton gleich eine Chance gegeben. Wäre ich nicht in Rio gefahren und Vierter geworden, wäre meine Karriere zu Ende gewesen, bevor sie angefangen hat."


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Großbritannien

"Ist der Sieg beim britischen Grand Prix wirklich eine so große Sache, wie man erwartet? Aber hallo! Es war eine unglaubliche Erfahrung, dort vor tausenden von Fans zu fahren. Während der letzten fünf Runden wurden die Flaggen rund um die Strecke unermüdlich geschwenkt. Diese Unterstützung aller britischen Fahrer ist das Tolle, die Stimmung war wirklich klasse. Während der Auslaufrunde hatte ich das Gefühl, sie würde einen Monat lang dauern, denn ich musste diese ganze spektakuläre Szene in mich aufsaugen. Ich habe die Bilder noch heute vor Augen, das ist wirklich schön."

Herberts Sieg hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Das Verhältnis zwischen ihm und Teamchef Flavio Briatore bestand nur noch auf dem Papier. Schon seit dem zweiten Saisonrennen in Argentinien erhielt Herbert keinen Zugriff mehr auf Schumachers Daten. Vor dem Großbritannien-Grand-Prix machten Gerüchte die Runde, Herbert könne durch den ehemaligen Benetton-Fahrer Jos Verstappen ersetzt werden, der immer noch von Briatore gemanagt wurde, nach dem Rückzug des Simtek-Teams aber ohne Cockpit dastand.

Beziehung zu Flavio Briatore auf dem Tiefpunkt

"Die Beziehung zu Flavio hat sich nie mehr gebessert, seitdem ich von der Sache mit den Daten erfahren habe", sagt Herbert. "Ich wurde beim Doppelerfolg in Spanien Zweiter, aber wir haben nicht mehr miteinander gesprochen. Und dann gibt es die Fotos aus Silverstone, auf denen er mich umarmt."

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Flavio Briatore habe Michael Schumacher klar bevorzugt, meint Herbert Zoom Download

"Das schlimmste war: Er hat mich gefragt, ob er meine Kappe haben darf, und ich Idiot war auch noch so nett und habe sie ihm gegeben. So dumm, das habe ich bereut. Als ich später im Jahr in Monza gewonnen habe, kam er aufs Podium, nahm den Pokal für den Konstrukteur in Empfang und hat sich dann verpisst. Für ihn ging es immer nur um Michael, und ich musste sehen, wo ich bleibe."

"Es war schwierig, denn ich wusste, dass ich im Qualifying keine Chance habe. Mein Setup hat da nicht richtig funktioniert, aber im Rennen war es besser. Ich musste mich konzentrieren und im Auto das Beste machen. Michael hat scharf, extrem scharf eingelenkt, was nie mein Fall war. Ich konnte aber auch nicht einfach den Frontflügel flacher stellen, denn dann hätte ich Untersteuern bekommen. Es war beeindruckend zu sehen, was Michael mit dem Auto gemacht hat."

Herbert fühlt sich vom Teamchef verraten

"Beim Fahren geht es vor allem darum, wo die Rotationsachse des Autos ist. Bei meinem Fahrstil war sie in der Mitte des Autos, aber bei Michael lag sie fünf Meter davor! Ich brauchte das Lenkrad nur scharf ansehen, und schon lenkte das Auto ein." Unter dem Strich baute Briatore Benetton rund um Schumacher auf, und der zweite Fahrer spielte nur eine Nebenrolle. Rückblickend betrachtet muss Herbert erkennen, dass es bei Benetton nie so hätte laufen können, wie er erwartet hatte.

"Als ich zum ersten Mal mit Flavio zusammengesessen habe, war dem Team vor allem die Konstrukteursmeisterschaft wichtig", sagt Herbert. "Als dann in Argentinien die Sache mit den Daten passierte, habe ich begriffen, dass es keinen fairen Kampf zwischen mir und Michael geben wird."

"Vor der Saison habe ich in einem Interview gesagt, dass das meine Chance sei, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Dann gab es in Deutschland einen Artikel. Dort hat Michael gesagt, er habe gehört, ich wolle um die Weltmeisterschaft fahren. Damit hätte ich mich aber gewaltig geirrt. Und er hatte recht, ich hatte mich gewaltig geirrt."

Gleiches Schicksal wie Turlli, Fisichella und Button

"Ich habe Flavios Einstellung lange nicht verstanden, bis ich eines Tages realisiert habe, wie er dieser Ergebnisse mit Michael und später mit Fernando Alonso erreicht hat. Es ging nicht nur mir so, auch Jarno Trulli, Giancarlo Fisichella und Jenson Button hatten so ihre Probleme."

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Der Zweikampf gegen David Coulthard wurde durch eine Strafe entschieden Zoom Download

"Als ich 1989 bei Benetton gefeuert wurde, war Flavio schon da. Er hat aber nicht selber mit mir gesprochen, seine Sekretärin musste mich anrufen. 1995 haben wir weder miteinander telefoniert noch bei den Rennen miteinander gesprochen. Ich respektiere, was er alles erreicht hat, auch wenn es leider nicht zu meinem Nutzen war."

Nachdem Herbert in den beiden Rennen vor Silverstone zunächst eine Strafe für einen Frühstart und dann eine Geldstrafe von 10.000 britischen Pfund wegen einer Kollision mit Jean Alesi erhalten hatte, war die Beziehung auf dem Nullpunkt angelangt. Doch umso süßer schmeckte der Sieg. "Im meinem Hinterkopf hätte ich Flavio am liebsten ein Messer in den Rücken gerammt und gesagt 'nimm das', denn die Bilder, auf denen er feiert, waren einfach ein Fake", so Herbert. "Das war schade, denn unser Miteinander war nie so gut, wie es zu Beginn den Anschein hatte."

1996 Neustart bei Sauber

Mit dem Sieg in Silverstone rettete Herbert seinen Platz für die restliche Saison. Er wurde Vierter in der Meisterschaft (Karrierebestleistung) und half Benetton, den Konstrukteurstitel zu gewinnen. Außerdem siegte er in Monza, nachdem Hill erneut mit Schumacher kollidiert war. Doch schon lange vor Monza war klar, dass er nicht im Team bleiben würde. Eine Aussage des damaligen Benetton-Ingenieurs Tom Walkinshaw sprach schon Ende August Bände darüber, wie es um Herberts Ruf im Team bestellt war.

"Er hat eine Menge Talent", sagte Walkinshaw. "Er bekommt auf jeden Fall eine Runde zusammen, aber ich denke, er weiß nicht wie er es macht und ist auch nicht wirklich daran interessiert, es herauszufinden. Wenn er nächstes Jahr nicht mehr für Benetton fährt, ist das seine eigene Schuld. Wir haben stundenlang versucht, ihm klarzumachen, was von einem Spitzenfahrer erwartet wird. Wenn er diese Ratschläge nicht annehmen will, können wir nichts mehr für ihn tun."

Herbert fand 1996 bei Sauber eine neue Heimat. Wie gut er sich bei Benetton geschlagen hatte, zeigte sich im Jahr darauf, als Jean Alesi in einem Auto, das immer noch so fuhr, wie Schumacher es wollte, nur zwei Punkte mehr als Herbert gewann. "Als Gerhard Berger im nächsten Jahr für Benetton fuhr, kam er bei einem Test zu mir und sagte: 'Jetzt verstehe ich, warum zur Hölle du das Ding nicht fahren konntest, es reagiert unglaublich spitz'", erinnert sich Herbert. Aber in Silverstone ermöglichte das Auto Herberts großen Tag. Und jeder, der dabei war, wird ihn nie vergessen.

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