• 20. Oktober 2022 · 08:59 Uhr

Hat sich Ferrari im F1-Entwicklungsrennen 2022 verlaufen?

Ferrari gibt zu, dass man während der Formel-1-Saison 2022 einen Schritt zurück gehen musste, um sicherzustellen, dass man noch auf dem richtigen Weg ist

(Motorsport-Total.com) - Auf den ersten Blick waren die letzten Monate nicht gut für das Ferrari-Formel-1-Team, zumindest was die Rennergebnisse angeht. Der letzte Grand-Prix-Sieg wurde Anfang Juli in Österreich errungen, und alle sieben seither ausgetragenen Rennen, angefangen mit Frankreich, gingen an Red Bull.

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Charles Leclerc während des Rennens in Japan Zoom Download

In der Zwischenzeit haben die Autos aus Maranello weiterhin eine starke Pace im Qualifying gezeigt, die seit Beginn des Jahres zu beobachten war, wobei Charles Leclerc und Carlos Sainz in diesen sieben Rennen zusammen vier Polepositions einfuhren.

Das Team war jedoch frustriert, als man mit ansehen musste, wie die Hoffnungen auf einen der beiden WM-Titel 2022 unaufhaltsam schwanden, während Max Verstappen und Red Bull immer mehr Punkte sammelten.

Ferrari: Haben uns mit Entwicklung verirrt

Es geht aber auch darum, den Schwung für die nächste Saison zu erhalten. Und trotz der kurzfristigen Enttäuschungen haben die Rennwochenenden seit der Sommerpause dem Team eine gewisse Zuversicht gegeben, während man am Projekt für 2023 arbeitet. In der Tat war es eine Zeit der Bestandsaufnahme.

"Es war wichtig, zu bestätigen, dass wir in die richtige Richtung gehen", sagt der leitende Performanceingenieur Jock Clear. "Und sobald man sich fragt: 'Okay, haben wir den falschen Weg eingeschlagen?', muss man sehr mutig sein."

"Man muss verstehen, wo man steht und kann es sich nicht leisten, so weiterzumachen. Wenn man sich verirrt hat, ist das Letzte, was man tun sollte, einfach die Straße entlang zu rasen und zu sagen: 'Mal sehen, was später passiert.' Man muss anhalten und auf die Karte schauen. Und genau das haben wir getan, wir haben angehalten und auf die Karte geschaut", so Clear.

Ferrari mit Fragezeichen nach Unterboden-Einführung in Frankreich

"Und man könnte sagen, dass uns das in diesen fünf Rennen wertvolle Leistung gekostet hat. Aber es wäre unklug, das nicht zu tun, denn die Zukunft ist wichtiger. Man darf nie die Tatsache ignorieren, dass man immer genau im Auge behalten muss, in welche Richtung man sich entwickelt. Und das haben wir getan. Wir haben innegehalten und wir haben uns die Karte angeschaut. Und jetzt haben wir bestätigt, dass wir in die richtige Richtung gehen."


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Ein Teil dieser Überprüfung zeigte sich darin, dass im Training regelmäßig zwischen dem in Paul Ricard eingeführten aktualisierten Unterboden und der früheren Version gewechselt wurde. Es ging dem Team darum, sich zu vergewissern, dass es auf dem richtigen Weg ist und sich nicht verwirren lässt.

"Wir haben uns die Gesamtsituation angeschaut", sagt Clear. "Und natürlich ist es ein relativer Sport. Man schaut sich an, wo man steht, und denkt, dass es so aussieht, als ob wir seit Frankreich einen Schritt zurück gemacht hat. Und das Offensichtliche, was wir in Frankreich gemacht haben, war der neue Unterboden."

Ferrari ist sich jetzt sicher: Frankreich-Unterboden funktioniert!

"Wir haben also den vorherigen Unterboden wieder eingebaut. Und eigentlich waren wir uns einig, dass der neue trotzdem besser war, also kehrten wir zu ihm zurück. Wir haben also ein bisschen A/B, A/B, A/B gemacht, nur um sicherzugehen, dass wir nicht etwas ins Auto eingebaut hatten, das nicht funktionierte. Aber eigentlich hat der Unterboden gut funktioniert."

Das Team treibt die Entwicklung weiter voran, und in Japan wurde eine weitere neue Version des Unterbodens an den Autos verwendet. Das schlechte Wetter am Wochenende trübte die Sache zwar ein wenig, aber man war sich einig, dass er so funktionierte, wie er sollte.

"Dieser Unterboden war in Singapur verfügbar", sagt Clear. "Aber es ist ein Unterboden, der im Grunde genommen eine Menge Abtrieb bei hohen Geschwindigkeiten erzeugt. Daher war er in Singapur nicht besonders geeignet. Es ist kein großer Unterschied. Und ich denke, wenn man die beiden nicht nebeneinander legt - was wir auch nicht zulassen - wird man die Details nicht wirklich bemerken!"

Clear: Suzuka-Qualifying zeigt die Fortschritte bei Ferrari

"Und um brutal ehrlich zu sein, es ist teuer. Wir sind mit neuen Teilen so weit um die Welt gereist. Und natürlich mussten wir auch alle alten Teile mitnehmen, für den Fall, dass es nicht funktioniert. Da muss man schon sehr zuversichtlich sein. Und wir waren sehr zuversichtlich, dass dies der richtige Weg ist."

"Und er funktioniert. Der Beweis dafür ist, dass wir haben erwartet, dass Red Bull [in Suzuka] sehr stark sein würde. Spa ist eine ähnliche Strecke, und dort haben sie uns ein bisschen verprügelt. Und wir waren sehr froh, dass wir [im Qualifying zum GP von Japan] so nah dran waren."

Es war eines der engsten Qualifyings der Formel-1-Geschichte. Auf Polesetter Max Verstappen fehlte Charles Leclerc nur eine Hundertstelsekunde, während Ferrari-Teamkollege Carlos Sainz auch nur 57 Tausendstel hinter der Poleposition-Zeit des Niederländers lag.


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"Eigentlich waren wir sehr frustriert, nicht auf der Pole zu stehen, denn die Pole war für jeden unserer Fahrer zum Greifen nah", so Clear, der davon ausgeht, dass der Suzuka-Unterboden für den Rest der Saison zum Einsatz kommen wird: "Wenn man sich die kommenden Strecken ansieht, werden sie alle von einem gewissen Maß an Hochgeschwindigkeit profitieren."

"Dieser Unterboden war, wie ich schon sagte, in Singapur verfügbar. Aber diese Strecke ist ein bisschen wie Monaco. Aber für alle Rennen von jetzt an wird dieser Unterboden passen."

Clear: "P2 in der WM halten, wird eine große Herausforderung"

Die Entwicklung neuer Teile geht weiter, auch wenn man für die letzten Rennen der Saison nichts allzu Revolutionäres mehr von Ferrari erwarten kann. Die Budgetobergrenze sorgt dafür, dass insbesondere die Top-Teams weniger Updates bringen können als sie eigentlich finanziell in der Lage wären.

"Um diese Zeit im Jahr, bei Rennen 17 oder 18, geht es jetzt um die Feinabstimmung", fügt Clear hinzu. "Und offensichtlich sind wir in einer Situation, in der die Meisterschaft eine große Herausforderung ist, um P2 zu halten." Auf Mercedes hat Ferrari mit 67 Punkten allerdings einen relativ komfortablen Vorsprung.


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"Natürlich wollen wir zu den Rennen kommen und gewinnen. Diese Motivation ist immer noch da, die Entwicklung voranzutreiben, und man kann nicht aufhören zu entwickeln. Man kann nicht sagen: 'Lasst uns unser Geld für nächstes Jahr sparen', denn man muss das Rad weiter drehen."

Ferrari will letzten Saisonrennen für 2023 nutzen

Es wurden zwar einige Änderungen an den Unterbodenregeln vorgenommen, um das "Porpoising" zu bekämpfen, aber so ziemlich alles, was 2022 eingeführt wird, ist auch eine wertvolle Vorbereitung für das Projekt 2023. Es ist immer besser, Dinge auf der Strecke zu testen, wenn man es kann.

"Die Entwicklung ist organisch", sagt Clear. "Denn alle Teams haben bereits das nächste Jahr im Blick. Und natürlich wollen wir nächstes Jahr genauso wettbewerbsfähig sein, wenn nicht sogar noch wettbewerbsfähiger. Und sobald die Autos Ende November nicht mehr fahren, ist man wieder im Windkanal und im Simulator, aber das ist nicht ganz dasselbe."

"Wir müssen diese letzten Rennen also wirklich optimal nutzen, um das Auto weiterzuentwickeln und auf ein neues Niveau zu bringen. Ja, wir wissen, dass die Meisterschaft in weite Ferne gerückt ist. Aber wir müssen vor Mercedes bleiben, und deshalb werden wir gerne mehr Leistung bringen, um das zu erreichen."

"Aber wir müssen auch mehr und mehr organische Entwicklung generieren. Und das wird uns Selbstvertrauen für das nächste Jahr geben", erklärt der leitende Performanceingenieur bei Ferrari.

Ferrari hält an Seitenkastendesign fest

Apropos Zuversicht: Es hat Einiges zu sagen, dass Ferrari bei seinem grundlegenden Aero-Konzept geblieben ist und nicht die Richtung gewechselt hat. Das Team scheint also immer noch an seine ursprünglichen Ideen zu glauben.

"Absolut, vor allem nach dem großen Tohuwabohu bei den Vorsaisontests", sagt Clear. "In dem Moment, als wir von den 'no pods' von Mercedes hörten, bevor sie überhaupt angekommen waren, gerieten die Aero-Abteilungen natürlich in Panik und warfen die Seitenkästen vom Auto und sagten: 'Oh mein Gott, der Mercedes wird eine Sekunde pro Runde schneller sein als wir!'"

"In dem Moment, als das Auto in Bahrain ausrollte, dachten wir natürlich: 'Okay, wir haben das Richtige getan.' Die Aufgabe von uns Formel-1-Ingenieuren ist es, zu schauen, was die anderen machen, und zu sagen: 'Hat jemand etwas gefunden?'"


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"Aber ich glaube, unsere Aero-Abteilung war sehr, sehr schnell davon überzeugt, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben. Und das haben wir eindeutig. Wir haben eine etwas andere Lösung als Red Bull. Aber ich denke, man hat gesehen, dass die allgemeine DNA von Red Bull und Ferrari unterschiedlich ist."

"Wir werden also nicht ihre Seitenkasten-Lösung verfolgen, einfach weil das für unser Auto wahrscheinlich nicht funktionieren wird, genauso wie sie unsere nicht verfolgt haben, weil die beiden Teams aus leicht unterschiedlichen Richtungen an die Sache herangegangen sind."

Leclerc ab Austin wieder mit voller Leistung unterwegs?

Ermutigend für Ferrari ist auch, dass sich die Zuverlässigkeit der Antriebseinheit in den letzten Rennen verbessert zu haben scheint, zumindest bei den Werksautos, nachdem es zu Beginn der Saison einige Frustrationen gab. Das ist sicherlich ein gutes Zeichen für 2023.

Gerüchten zufolge lag dies jedoch daran, dass man nach den umfangreichen Problemen im ersten Saisondrittel die Leistung drosseln musste. Mit dem neuen Motor, den Charles Leclerc in Austin bekommen wird, wird Ferrari jedoch wieder versuchen, das komplette Leistungspotenzial auszuschöpfen.

"Wir haben gesehen, dass sich alle Teams bei ihren Entscheidungen, wie mutig sie mit den Motoren umgehen, wahrscheinlich selbst herausgefordert haben", sagt Clear. "Und wir haben gesehen, dass alle Motorenhersteller die ursprünglich im Reglement festgelegten Zahlen überschreiten, und wir müssen dafür Strafen hinnehmen."

Ferrari bereut Vorgehensweise beim Motor nicht

"Aber ich denke, das ist eine Entscheidung, die alle Motorenhersteller getroffen haben, denn man muss sich einfach weiterentwickeln, und man kann die Zuverlässigkeit erhöhen. Wenn man einen leistungsstarken Motor hat, der etwas mehr Zuverlässigkeit braucht, ist jeder gerne bereit, daran zu arbeiten, und das ist für das ganze Team eine Motivation."


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"Wenn man einen zuverlässigen Motor hat, der aber keine Leistung hat, verlieren die Leute das Vertrauen! Ich denke also, wir haben die richtige Entscheidung getroffen. Und ich denke, dass wir eine ähnliche Entscheidung wie die anderen Motorenhersteller getroffen haben, und auch hier sind wir froh, dass sich das alles langsam einpendelt."

Eine konsequente Aero-Philosophie und eine starke Power-Unit sind eine gute Grundlage für einen Titelkampf 2023, aber sie sind nur ein Teil des Pakets. Was Ferrari auch ganz offensichtlich braucht, ist die Art von nahezu fehlerfreien Leistungen in der Garage und an der Boxenmauer, die Red Bull in diesem Jahr als Sprungbrett zum Erfolg genutzt hat - und das könnte das Schwierigste sein, das zu erreichen.

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