• 03. September 2022 · 08:22 Uhr

Vertrag verschlampt: Die wahre Geschichte hinter "Piastrigate"

"Für uns war der Fall ziemlich klar", sagt McLaren-Teamchef Andreas Seidl und wird durch Details aus der Urteilsbegründung des CRB gestützt

(Motorsport-Total.com) - Oscar Piastri war in den vergangenen Wochen Gegenstand von Kritik. Alpine-Teamchef Otmar Szafnauer etwa erklärte, er habe sich "mehr Integrität" vom jungen Australier gewünscht, und Mercedes-Teamchef Toto Wolff sagte: "Ich glaube an Karma, ich glaube an Integrität."

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Oscar Piastri muss 2023 nicht für Alpine fahren, sondern darf zu McLaren wechseln Zoom Download

Auch McLaren wurde teilweise dafür kritisiert, ausgerechnet jenen Fisch aus dem Teich geangelt zu haben, der jahrelang für teures Geld von Alpine gefüttert wurde. Ein Vorwurf, den Teamchef Andreas Seidl nicht nachvollziehen kann. Piastri sei für 2023 vertragsfrei gewesen, also war es nur logisch, ihn zu den Kandidaten für ein McLaren-Cockpit zu zählen.

"Für ein Team wie unseres ist klar: Wenn du die Möglichkeit hast, ein Talent wie Oscar unter Vertrag zu nehmen, mit dem Speed, den er hat, und mit der Persönlichkeit, die er ist, dann willst du so jemanden haben", erklärt Seidl. "Und er war frei verfügbar, also haben wir Gespräche mit ihm aufgenommen, ob wir nicht einen Vertrag machen können."

"Es ist meine Aufgabe, gemeinsam mit Zak den Überblick über den Fahrermarkt zu haben, wie die vertragliche Situation aller Fahrer im Paddock ist, und auch die vertragliche Situation der Fahrer in der Formel 2 und in anderen Kategorien. Das ist ganz normal und gehört zu unserer Verantwortung. Und das hat letztendlich dazu geführt, dass wir Oscar unter Vertrag genommen haben."

Vereinbarung von November 2021 war kein richtiger Vertrag

Dass Alpine glaubte, man habe seit November 2021 einen bestehenden Vertrag mit Piastri für 2023 und darüber hinaus, wie Szafnauer behauptet, war für McLaren offenbar kein Grund, die Finger von Piastri zu lassen. Sein Manager Mark Webber habe klar kommuniziert, was Sache ist, und so war McLaren früh klar, was das Contract-Recognition-Board (CRB) inzwischen bestätigt hat, nämlich dass Piastri ein "free Agent" war.

"Für uns war der Fall ziemlich klar", erklärt Seidl. "Es gibt zwei Dinge, die du brauchst, wenn du einen Formel-1-Fahrer zu dir holen willst, nämlich einen Vertrag und die Registrierung des Vertrags beim Contract-Recognition-Board. Das haben wir im Juli erledigt."

McLaren hat den Rennfahrervertrag mit Piastri am 4. Juli, also am Montag nach Silverstone, unterzeichnet. Bereits am 3. Juni hatte man eine sogenannte "Fahrervereinbarung" getroffen, mit dem Zusatz, dass dieser nur gültig sei, wenn etwaige Vereinbarungen mit anderen Teams nicht länger in Kraft seien. Das wurde seitens McLaren geprüft und letztendlich als zutreffend befunden.

Jener "Vertrag", auf den sich Szafnauer öffentlich berufen hat, der im November unterschrieben wurde, war in Wahrheit lediglich ein "Termsheet", also ein (laut Wikipedia-Definition) Dokument, "das die Kernpunkte der zwischen den Vertragsparteien ausgehandelten Vertragsbestandteile beinhaltet und verbindliche Grundlage für die Formulierung des späteren Vertrags bildet".

So steht das in der ausführlichen Begründung des CRB-Urteils, die von 'RacingNews365' zuerst exklusiv veröffentlicht und deren Inhalte inzwischen von mit der Situation vertrauten Quellen gegenüber 'Motorsport-Total.com' bestätigt wurden.

Webber von Alpine-Hängepartie genervt

Piastri-Manager Webber wurde demnach von Alpine-CEO Laurent Rossi informiert, dass man den eigentlichen Vertrag innerhalb von zehn Tagen aufsetzen werde, also bis zum 26. November 2021. Doch das passierte nicht, weshalb Webber ungeduldig wurde. Er ließ Alpine wissen, er könne Piastri und dessen Vater nicht länger vertrösten.

Seitens Alpine entschuldigte sich die zuständige Chefjuristin bei Webber. Sie sei der Flaschenhals in der Angelegenheit, weil ihre Rechtsabteilung unterbesetzt sei. So vergingen Monate, ohne den Vertrag festzuzurren, und erst am 4. März 2022, wenige Tage vor Saisonbeginn, erhielt Webber endlich einen Entwurf für den Test- und Ersatzfahrervertrag 2022.

Dieser wurde beim CRB hinterlegt, beinhaltete aber keinerlei Optionen auf einen Rennfahrervertrag für 2023. Am 15. März sendete Alpine den Rennfahrervertrag. Weil es ohne Vertrag keine Superlizenz gibt, herrschte bereits Zeitdruck. Also beging Alpine einen Kardinalfehler und hinterlegte den "Termsheet" von November 2021 als vermeintlich rechtlich bindenden Vertrag beim CRB.

Plan sah vor: 2023 und vielleicht auch 2024 bei Williams

Erst am 19. Mai erhielt Webber dann von Alpine eine schriftlich festgehaltene Roadmap, wie es 2023 bis 2026 mit seinem Schützling weitergehen soll. Darin war vorgesehen, dass Piastri 2023 und 2024 für Williams fahren würde - mit der Option (Frist bis 31. Juli 2023), ihn bei Bedarf schon Ende 2023 zu Alpine zurückzuholen.

Doch diese Roadmap war für das Piastri-Lager nicht attraktiv genug. Webber, längst genervt von der Hängepartie rund um die nicht erledigten Verträge, stand inzwischen in Kontakt mit einem alten Bekannten aus seiner Porsche-WEC-Zeit, McLaren-Teamchef Andreas Seidl. Der war mit Daniel Ricciardo unzufrieden - und eine Lösung rasch gefunden.

Angesichts dieser rechtlich eindeutigen Ausgangslage wundert sich Seidl "über einige der Kommentare, die ich gelesen habe, die offensichtlich nicht im Detail wussten, was wirklich passiert war. Ich finde, dass einige dieser Kommentare nicht angemessen und fair waren. Wenn ich nicht weiß, was Sache ist, dann kommentiere ich etwas nicht."

Fährt Piastri schon 2022 Tests und Trainings für McLaren?

Ob Piastri schon 2022 für McLaren fahren darf, zum Beispiel als Testfahrer oder auch in Freien Trainings, ist derzeit übrigens noch nicht entschieden. Vorerst bleibt Piastri als dritter Pilot an Alpine gebunden. Ohne Einverständnis von Alpine gibt's also vermutlich keine vorzeitigen McLaren-Einsätze.

Seidl kann zu dem Thema vorerst noch nichts sagen: "Das Wichtigste für uns war heute erstmal die Bekanntgabe, dass Oscar ab nächstem Jahr für uns fahren wird. Was die Pläne für dieses Jahr betrifft: Dem werden wir uns jetzt dann widmen und in naher Zukunft kommunizieren, wie es weitergeht."

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