• 30. Juni 2021 · 09:49 Uhr

Wolff: Werden in zehn Jahren sehen, ob unsere Entscheidung richtig war

Weshalb Mercedes an seinem Beschluss festhält, den aktuellen W12 nicht mehr weiterzuentwickeln und sich technisch voll auf 2022 zu konzentrieren

(Motorsport-Total.com) - "Es braucht irgendein Upgrade." So lautet das Fazit von Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton nach dem Steiermark-Grand-Prix 2021 in Spielberg. Denn Hamilton sieht sein Team im Hintertreffen: Red Bull hat die zurückliegenden vier Formel-1-Rennen gewonnen und Mercedes damit eine Niederlagen-Serie zugefügt, wie sie der Rennstall seit Beginn der Turbo-Hybrid-Ära 2014 noch nicht erlebt hat.

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Max Verstappen im Red Bull RB16B vor Lewis Hamilton im Mercedes W12 Zoom Download

Und damit steht Mercedes vor einem Dilemma: Sowohl in der Fahrerwertung als auch in der Konstrukteurswertung hat man zuletzt Boden verloren auf Red Bull und ist aktuell wohl nur zweite Kraft in der Formel 1. Gleichzeitig aber will man sich technisch ausschließlich auf den Neuwagen für die Saison 2022 unter dem dann neuen Formel-1-Reglement konzentrieren.

An dieser Haltung, so betont Mercedes-Teamchef Toto Wolff, werde sich trotz der neuen Situation in der Gesamtwertung nichts ändern. Mercedes wolle mit Blick auf die neue Ära ab 2022 keine Kompromisse machen.

Mercedes' Fokus liegt klar auf 2022, aber ...

Wolff selbst bezeichnet die aktuelle Lage bei 'Sky' daher als "sicherlich sehr schwierig" und spricht von einer "Balance", die es zu wahren gelte: Einerseits in diesem Jahr noch möglichst erfolgreich abschneiden, andererseits die bestmöglichen Grundlagen für 2022 schaffen. Und Mercedes' Fokus liege im Zweifel auf der Zukunft.

"Die Zeit wird es zeigen, ob es die richtige Entscheidung war, wenn man in fünf oder zehn Jahren zurückschaut", sagt Wolff. Er betont aber auch: "Noch ist es nicht vorbei. Wir sind total angestachelt. Dass uns die Pace gefehlt hat, das ist keine vollendete Tatsache. Das war nur der Sonntag im ersten Rennen in Österreich."

In der Formel-1-Saison 2021 seien noch 15 weitere Rennen zu bestreiten und Mercedes werde sein Bestes versuchen im Titelkampf gegen Red Bull. "Wir werden noch Polepositions holen und Siege erzielen. Wir werden zurückschlagen", sagt Wolff.

Toto Wolff: Red Bull ist derzeit besser

Allerdings müsse man anerkennen, dass Red Bull mit Max Verstappen derzeit die Oberhand habe. Der Steiermark-Grand-Prix habe gezeigt: "Max war immer dazu in der Lage, noch einmal etwas nachzulegen. Wir hingegen hatten nicht das Material, um zu gewinnen. Und wenn man eine Kämpfernatur hat, ist sowas schwierig wegzustecken."


Warum Hamilton in einem dicken Dilemma steckt

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Die großen Schlagzeilen unserer Analyse am Montag nach dem Rennen in Spielberg sind - wie könnte es anders sein - Max Verstappen und Lewis Hamilton. Weitere Formel-1-Videos

Für Mercedes sei es eine fast schon historische Niederlage gewesen, meint Wolff. Er erklärt bei 'ServusTV': "Es ist zum ersten Mal ein Rennen gewesen in diesen sieben oder acht Jahren, wo du merkst, dein Paket ist einfach nicht stark genug."

Der Mercedes W12 verhalte sich prinzipiell "gut", so der Mercedes-Teamchef weiter. "Aber unsere Waffe, auf den Geraden heranzukommen, die haben wir im Moment nicht. Die ist seit ein paar Rennen nicht mehr da. Und Abtrieb fehlt einfach auch. Man sieht, [Red Bull] kann einen kleineren Flügel drauftun und fährt trotzdem gleich schnell um die Ecken."

Lewis Hamilton fordert ein Mercedes-Upgrade

Unterm Strich, zu dieser Erkenntnis kommt Hamilton, sei Red Bull im Moment "einfach schneller" als Mercedes. "Ich versuche aber, mir keine Sorgen zu machen", sagt der WM-Titelverteidiger. Ihm seien ohnehin die Hände gebunden: "Ich kann nur probieren, jedes Wochenende mein Bestmögliches zu tun."

Darüber hinaus brauche es technische Unterstützung seitens des Teams, sagt Hamilton. Tenor: "Wir müssen Leistung finden. Es braucht irgendein Upgrade. Wir müssen Druck machen. Keine Ahnung, ob es nur am Heckflügel liegt oder an einem Upgrade beim Antrieb oder was auch immer. Klar ist nur: Wir müssen irgendwie mehr Leistung finden."

Doch Hamilton weiß natürlich um Mercedes' Haltung zur Weiterentwicklung in der laufenden Saison. Und er meint: "Natürlich hätten wir gerne Upgrades und Verbesserungen, ich glaube nur nicht, dass das im Moment zur Debatte steht."

Hamilton: Bleibt es beim Status quo, dann ...

Mercedes wisse genug "intelligente, starke und herausragende Personen" in seinen Reihen, die für die strategische Ausrichtung verantwortlich zeichnen, so Hamilton. "Und angesichts der Budgetobergrenze muss man abwägen."


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Was aber nicht heißen soll, dass er sich mit der Situation abfinde. "Ich akzeptiere gar nichts", sagt Hamilton. "Da liegen noch immer viele Rennen vor uns und wir müssen weiter am Ball bleiben. Wir sind die Weltmeister. Und wenn wir es uns vornehmen, dann können wir uns garantiert noch steigern."

Eine Einschränkung aber macht Hamilton doch: "Wenn wir das Auto bis Jahresende nicht mehr entwickeln oder verbessern, dann bleibt es bei diesen Ergebnissen. Denn Red Bull hat in den jüngsten Rennen wirklich was rausgehauen: In Frankreich mit dem Antrieb oder dem neuen Flügel, was auch immer."

Hamilton setzt eine Spitze gegen die Konkurrenz

Mercedes wiederum könne nicht einfach ebenfalls kleinere Flügel montieren, um den gleichen Effekt zu erzielen wie Red Bull. In Spielberg "wären wir damit nur in den Kurven noch langsamer gewesen und hätten damit wohl auch mehr Verschleiß gehabt", meint Hamilton.

Außerdem sei der Red-Bull-Vorteil nicht im Schnellschuss-Verfahren entwickelt worden, sondern das Ergebnis einer gezielten Weiterentwicklung, die über "geraume Zeit" stattgefunden habe."

Dann setzt Hamilton noch eine verbale Spitze gegen die Konkurrenz, indem er sagt: "Sie haben halt den wirklich guten Flügel, der sich verbiegt. Den haben sie praktisch das ganze Jahr verwendet." Damit spielt der Weltmeister natürlich auf die "Flexiwings"-Thematik der vergangenen Wochen an und auf einen vermeintlich illegalen Vorteil von Red Bull.

Hamilton warnt vor Perez-Form bei Red Bull

Dergleichen dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Mercedes Defizite habe: "Es fehlt uns in ein paar Bereichen. Zu Saisonbeginn war es eng gewesen. In den ersten Rennen hatten Red Bull und wir praktisch die gleiche Leistung. Dann haben sie aber einen ordentlichen Schritt nach vorne gemacht", erklärt Hamilton.

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Lewis Hamilton im Mercedes W12 beim Frankreich-Grand-Prix in Le Castellet Zoom Download

"Wir werden so hart wie möglich arbeiten, um damit klarzukommen, aber das ist nun mal die Grundgeschwindigkeit, die wir haben. Und es könnte noch schwieriger werden, sobald Sergio [Perez] mal ein besseres Wochenende erwischt." Der zweite Red-Bull-Fahrer könnte Mercedes nämlich weitere wichtige Punkte kosten und die Situation zusätzlich verschärfen.

Mercedes-Teamchef Wolff plädiert dennoch fürs Durchhalten. "Diese Meisterschaft ist noch lange nicht verloren. Es wird gute Rennen für uns geben und gute Strecken."

Wie viel investiert Red Bull noch in die Saison 2021?

Das Ziel müsse sein, den Schaden an schlechten Tagen möglichst gering zu halten. So wie beim ersten Rennen in Spielberg: "Wir waren gut genug für Platz zwei und vier von der reinen Performance, aber wir haben Platz zwei und drei gemacht. Und damit haben wir uns eigentlich outperformt", meint Wolff.

Generell aber fühle man sich bei Mercedes "ein klein wenig in der Situation, dass du wenig dagegensetzen kannst", so Wolff weiter. Er glaube aber, auch Red Bull werde es sich nicht leisten können, auf lange Sicht ein Parallelprogramm 2021/2022 zu fahren.

"Weil wenn das so wäre, würden die nächstes Jahr zwei Sekunden hinten sein", meint Wolff. "Und deswegen würde ich sagen, dass die meisten Teams 100 Prozent auf 2022 sind. Und dann gibt es wahrscheinlich auch Outlier wie Red Bull, die noch Teile bringen und das noch ziemlich substanziell. Aber das wird nicht ewig so gehen."

Verstappen: Red Bull macht weiter Druck

Zumindest auf absehbare Zeit allerdings wird Red Bull an dieser Strategie festhalten. Das deutet zumindest Verstappen selbst an. Sein Team verbessere den RB16B "praktisch in jedem Rennen", erklärt er. "Ich halte das für sehr wichtig, denn wir haben eine gute Gelegenheit auf eine gute Saison."

Ob das ein schlechter Kompromiss mit Blick auf 2022 sein könnte? Verstappen winkt ab und spricht Red Bull sein Vertrauen aus, "dass wir uns auch zu hundert Prozent auf 2022 konzentrieren", so sagt er. "Bisher sehe ich keinen Kompromiss. Die Zeit wird es zeigen, nächstes Jahr. Ich bin völlig einverstanden mit unserer Herangehensweise in diesem Jahr."

Wolff aber warnt vor dem "radikalen Reglementsschnitt" vor der nächsten Saison und vergleicht die Neuerungen mit der Umstellung auf das aktuelle Turbo-Hybrid-Reglement zur Saison 2014. Damals hatte Red Bull als das bestimmende Team unter dem alten Reglement zu Beginn unter dem neuen Reglement kein konkurrenzfähiges Paket mehr.

Wolff betont erneut: Keine Taktik-Änderung!

Fährt Mercedes mit seiner Taktik besser? "Das wird sich erst in vielen Jahren zeigen", sagt Wolff. "Wir stehen voll dazu, dass wir gesagt haben, wir müssen einfach stark aufs nächste Jahr schauen und einfach in diesem Jahr alles hineinschmeißen, was wir haben."

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Die neuen Unterboden-Regelungen: Seit 2021 fehlt der markierte Bereich vor den Hinterrädern Zoom Download

Die zur Saison 2021 eingeführte Unterboden-Regelung habe Mercedes dieses Jahr "wirklich gebissen", so Wolff. "Wir sind schon mit einem richtigen Defizit gestartet und haben alles dagegengestellt, was wir hatten, und über unserer Gewichtsklasse gefightet in den ersten Rennen. Und jetzt wenn die einfach weiter Teile bringen und einen richtig guten Motor, dann wird es irgendwann einmal schwierig."

Die sportliche Aussicht in der aktuellen Saison und die Formel-1-Zukunft ab 2022 gelte es in Einklang zu bringen. "Und die Entwicklungskurve, die das neue Reglement im Moment mit sich bringt, ist einfach um ein Vielfaches höher als das jetzige Reglement", meint Wolff.

Hamilton sei da "voll dabei mit dem Mindset", erklärt der Mercedes-Teamchef weiter. "Wir haben es auch besprochen, aber es ist natürlich frustrierend."

"Wir gehen alle an so einem Sonntag nach Hause und denken uns: Was müssen wir jetzt tun, um da dagegenzuhalten? Die Lösung ist aber nicht, das Modell wieder in den Windkanal zu stellen und da ein Zehntel zu finden."

Die Losung laute vielmehr: "Wir leben immer im Hier und Jetzt und wollen so gut wie möglich performen. Keine Frage. Aber gleichzeitig muss man auch an die nächsten Jahre denken." Und so bleiben Hamiltons Upgrade-Wünsche womöglich unerfüllt.

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