• 11. November 2020 · 17:04 Uhr

Wie hat sich die F1 seit ihrem letzten Türkei-Grand-Prix verändert?

Das Mercedes-Team vergleicht Istanbul 2011 mit Istanbul 2020 und rechnet mit einer um vier Sekunden schnelleren Pole-Position-Zeit

(Motorsport-Total.com) - Seit dem letzten Formel-1-Rennen auf dem Istanbul Park Circuit in der Türkei sind neun Jahre vergangen, und die Königsklasse des Motorsports hat sich im Vergleich zur Saison 2011 stark verändert.

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Nico Rosberg beim Grand Prix der Türkei in Istanbul im Jahr 2011 Zoom Download

Aber wie sehr haben sich die Fahrzeuge und die Technologien in diesem Zeitraum verändert? Es gibt offensichtliche visuelle Unterschiede, die vor allem den Regeländerungen geschuldet sind. So sind die Autos im Jahr 2020 breiter und länger, weisen größere Flügel, niedrigere Nasen und den Halo auf.

Aber die Unterschiede gehen noch viel tiefer. Deshalb wagen wir einen Blick unter die Haube, um herauszufinden, wie viel sich in weniger als einem Jahrzehnt in der Formel 1 verändert hat.

Wie hat sich die Motor-Technologie seit 2011 verändert?

Die Motoren haben sich komplett verändert. In der Saison 2011 kamen noch 2,4-Liter-V8 Saugmotoren zum Einsatz, die 18.000 Umdrehungen pro Minute leisteten und 95 Kilogramm wogen. Dazu gehörte die erste Hybridtechnologie mit einer KERS-Einheit, die kinetische Energie beim Bremsen zurückgewann.

Das verschaffte dem Fahrer für 6,7 Sekunden pro Runde eine Zusatzleistung von 80 PS, die er zu einem selbst gewählten Zeitpunkt einsetzen konnte. Dank KERS stieg die Höchstleistung der Motoren auf 815 PS.

Heute sieht das Herz der Formel-1-Autos gänzlich anders aus. Seit der Einführung des Hybridreglements im Jahr 2014 kommen in der Formel 1 1,6-Liter-V6-Turbo-Power-Units zum Einsatz, die 145 Kiloramm wiegen (Mindestgewicht) und 15.000 Umdrehungen pro Minute leisten.

Die Höchstleistung ist deutlich höher, da die Power-Units (PU) mehr als 100 PS mehr erzeugen als die V8-Motoren 2011. Gleichzeitig sind die PUs erheblich effizienter. Eine PU aus dem Jahr 2020 erreicht eine thermische Effizienz (Menge an Energie, die aus dem Kraftstoff in genutzte Arbeit umgewandelt wird) von mehr als 50 Prozent. Im Jahr 2011 waren es noch 30 Prozent.

Der Leistungsanstieg, die höhere Effizienz und das höhere Gewicht sind größtenteils auf das ausgeklügelte Hybridsystem zurückzuführen, das in der modernen Formel 1 zum Einsatz kommt. Dieses besteht aus dem Energiespeicher (ES), der Kontrollelektronik (CE) und zwei Quellen für zusätzliche Power.

Einer Motor-Generator-Einheit Kinetisch (Motor-Generator-Unit Kinetic, kurz MGU-K), die Energie beim Bremsen erzeugt, und der Motor-Generator-Einheit Hitze (Motor-Generator-Unit Heat, kurz MGU-H), die Leistung aus den Auspuffgasen gewinnt. Die zusätzliche elektrische Leistung aus dem ERS-System wird im Laufe einer Runde freigegeben und gibt dem Fahrer im Vergleich zur KERS-Einheit aus der Saison 2011 für einen längeren Zeitraum mehr Hybridpower.

Die modernen Hybridsysteme verbessern zudem die Fahrbarkeit der Autos, da das elektrische System sofort Drehmoment erzeugen kann. Dadurch lässt sich die Leistungskurve des Verbrennungsmotors (Internal Combustion-Engine, kurz ICE) glätten, zum Beispiel beim Hochschalten.

Die heutigen Motoren müssen auch viel haltbarer sein: Im Jahr 2011 standen für die 19 Rennen pro Auto acht Motoren zur Verfügung. Heute dürfen die Teams nur eine viel kleinere Menge an PU-Komponenten zurückgreifen: drei Verbrennungsmotoren, Turbolader und MGU-H-Einheiten sowie zwei Einheiten der MGU-K sowie der Kontrollelektronik.

Was hat sich unter der Haube sonst noch geändert?

Eine nicht ganz so offensichtliche Veränderung fand an der Elektronik der Fahrzeuge statt. In diesem Bereich hat sich die Technologie im zurückliegenden Jahrzehnt stark weiterentwickelt. Ein Beispiel dafür, wie stark sich die Elektronik in den Autos verändert hat, zeigt sich beim Blick in die Daten. In der Saison 2011 zeichnete ein F1-Auto rund 500 Datenkanäle auf. Die 2020er-Autos sind auf 1.500 Hochratenkanäle und mehrere tausend Hintergrundkanäle beschränkt.

Die verstärkte Datenaufzeichnung hat auch einen Einfluss auf die Menge an Daten, die ein einzelnes Auto im Laufe eines Rennwochenendes sammelt. Beim Grand Prix der Türkei 2011 kamen über das Wochenende 18 GB pro Auto zustande. Am kommenden Wochenende werden es knapp 70 GB sein.

Auch das Layout der Elektronik hat sich verändert. Rund um das Auto kommen immer mehr kleine Sensorknoten zum Einsatz. Jeder davon ist dazu in der Lage, Daten von vielen Sensoren zu sammeln und an ein zentrales Datenaufzeichnungsgerät zu übermitteln.


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Die kabellose Datenübertragungs-Technologie hat enorme Fortschritte gemacht und erlaubt den verstärkten Einsatz von kleinen, kabellosen Knoten zur Datensammlung und kabellosen Datenübertragung, die an Test- oder Trainingstagen gesammelt wurden.

Ein Beispiel dafür ist das Überwachungssystem für die Reifendrücke, das 2011 noch recht klobig war und im 400-MHz-Bereich sendete. Heute fallen die Sensoren viel kleiner aus, besitzen eine höhere Frequenz zur Übermittlung und verbrauchen weniger Energie. Die Elektronikabteilung des Mercedes-Teams vergleicht diesen Fortschritt mit dem Sprung von einem Funkgerät zu einem Smartphone!

Ein weiteres Beispiel ist die Art und Weise, wie die Teams Informationen über die Reifentemperatur sammeln. In der Saison 2011 wurden große, externe Infrarotkameras eingesetzt. Heute sind die Sensoren komplett integriert und geben dem Fahrer zu jeder Zeit Zugriff auf mehrere, verschiedene Informationen zur Reifentemperatur.

Wie unterschiedlich sind die Autos beim Blick auf die Zahlen?

Die Regeländerungen haben im Laufe der Jahre dazu geführt, dass die Formel-1-Autos im Jahr 2020 klobiger ausfallen. Die Fahrzeuglänge beträgt nun über 5.000 Millimeter (2011 waren es noch 4.800). Die heutigen Autos sind auch breiter: 2.000 Millimeter im Vergleich zu 1.800 im Jahr 2011.

Sie sind zudem schwerer, was zum Teil am höheren Gewicht der Hybrid Power-Units liegt. 2011 wogen die Autos noch 640 Kilogramm, in diesem Jahr sind sie 746 Kilogramm schwer.

Aber die Autos haben sich nicht nur in ihren Dimensionen verändert, sie produzieren auch deutlich mehr Abtrieb. Dadurch ist auch die Belastung der Reifen stark angestiegen. Auf einer Runde im Istanbul Park erwartet etwa Mercedes, dass die Vorder- und Hinterreifen rund 50 Prozent mehr belastet werden als noch in der Saison 2011. Alleine in Kurve 8 steigt die Belastung dort für die rechten Vorder- sowie Hinterreifen um 30 bis 40 Prozent an.


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Gleichzeitig haben sich auch die Reifen erheblich verändert. Der letzte Grand Prix der Türkei fand in der ersten Formel-1-Saison von Pirelli als Einheitsreifenhersteller statt. Seitdem haben sich die Konstruktion und die Struktur der Reifen verändert. Sie sind nun breiter und fallen durch die Regeländerungen aus dem Jahr 2017 rund 25 Prozent größer aus. Durch die größere Kontaktfläche mit der Strecke erzeugen die Reifen mehr Grip und dadurch schnellere Rundenzeiten.

Was bedeutet das für die Rundenzeiten?

Im Jahr 2011 fuhr Red-Bull-Pilot Sebastian Vettel beim Türkei-Grand-Prix in 1:25.049 Minuten auf die Pole-Position. Die 2020er Autos mit der höheren Leistung und mehr Abtrieb im Qualifying-Trimm werden rund vier Sekunden schneller sein. Während sich das Qualifying-Format seit 2011 nicht stark verändert hat, trifft dies sehr wohl auf einige Regeln und Technologien zu, die Auswirkungen auf die Qualifikation haben.

So ist Vettel seine Pole-Zeit in Istanbul 2011 mit unbegrenztem DRS-Einsatz gefahren. Heute gibt es nur zwei festgelegte DRS-Zonen auf der Strecke. Gleichzeitig hatten die Fahrer 2011 weniger KERS-Energie (nur 6,7 Sekunden pro Runde) zur Verfügung. In diesem Jahr kann die Energie aus dem ERS auf der gesamten Runde eingesetzt werden.

Was kann man im Jahr 2020 von der Strecke erwarten?

Die höheren Kurvengeschwindigkeiten und die dadurch höheren seitlichen g-Kräfte machen die Strecke in diesem Jahr zu einer physisch anstrengenderen Aufgabe für die Fahrer. Beim Bremsen und Durchfahren von Kurven können sie bis zu 5g erreichen. Vor neun Jahren waren es noch rund 4g, und die stärkeren g-Kräfte summieren sich auf.

In diesem Jahr kommen die drei härtesten Reifenmischungen von Pirelli zum Einsatz. Mercedes geht davon aus, dass es schwierig wird, die Reifen mit den modernen Autos auf Temperatur zu bringen. Das ist das genaue Gegenteil zu dem, was die Formel-1-Teams 2011 in der Türkei erlebt haben.

Aufgrund des erhöhten Abtriebs wird die berüchtigte Kurve 8 weniger im Fokus stehen als bisher. Sie wurde schon 2011 beinahe mit Vollgas durchfahren und mit den 2020er-Boliden sollte sie eine noch geringere Herausforderung darstellen. Deshalb müssen die Teams keinen Set-up-Kompromiss dafür eingehen.

Anders als bei einigen anderen unbekannten Rennen im diesjährigen Rennkalender besitzen die meisten Teams einige historische Daten vom Grand Prix der Türkei. Allerdings haben sich die Autos seitdem sehr stark verändert und auch die Strecke wurde kürzlich neu asphaltiert, sodass diese Daten nur als Referenz genutzt werden können.

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