• 10. November 2020 · 08:08 Uhr

Häkkinen über Adelaide 1995: "Wie in einem Horrorfilm!"

Mika Häkkinen erinnert sich an seinen schweren Unfall in Adelaide 1995, der heute vor 25 Jahren sein Leben verändert hat: "Ich sah aus wie ein Monster!"

(Motorsport-Total.com) - Der 10. November 1995 veränderte das Leben von Mika Häkkinen für immer. Der Finne könnte jenen entscheidenden Tag gar als zweiten Geburtstag feiern. Denn er überlebte einen der schwersten Unfälle der 1990er-Jahre. "Das war wie in einem Horrorfilm", erinnert er sich über 20 Jahre später noch an den heftigen Aufprall und die langen Monate danach.

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Adelaide 1995: Häkkinen verunfallt im Qualifying schwer Zoom Download

"Natürlich war das vor langer Zeit, aber ich erinnere mich noch an den Tag, an unsere Performance und auch an den Unfall selbst. Aber eher daran, wie ich im Auto sitze und mich nicht bewegen kann. Ich habe realisiert: 'Shit, ich kann meine Beine nicht bewegen und komme nicht aus dem Auto raus'", erzählt Häkkinen im Podcast 'Beyond the Grid'.

Was war geschehen? Am Freitagnachmittag trat der damals 27-Jährige im McLaren MP4/10 im Qualifying an, als auf einer schnellen Runde plötzlich sein linker Hinterreifen platzte. Häkkinen flog bei knapp 200 km/h in der schnellen Brewery-Bend-Rechtskurve ungebremst in die Reifenstapel.

Häkkinen: "Ich dachte: 'Das war's jetzt!'"

Noch wenige Tage zuvor freute sich der damalige Ferrari-Berater Niki Lauda darüber, dass die Saison 1995 glimpflich zu Ende ging und die Formel 1 nach dem Schock von Imola 1994 wieder zur Normalität zurückgefunden habe. "Das Schönste an dieser Formel-1-Saison ist, dass nichts Schlimmes passiert ist."

Im Nachhinein wirkten diese Worte wie eine selbstzerstörende Prophezeiung aus dem Mund des dreimaligen Weltmeisters. Denn Häkkinen war nach dem Aufprall in den Reifenstapeln nicht bei Bewusstsein, sein Kopf neigte sich leicht zur Seite. Sofort wurden die Erinnerungen an die schweren Unfälle des Vorjahres geweckt.

Das Saisonfinale 1995 war das letzte Rennen, bevor die neuen höheren Cockpit-Seitenwände eingeführt wurden. Das HANS war damals noch nicht erfunden. Sollte ausgerechnet an jenem Novembertag ein weiteres Talent zu früh von dieser Erde gehen, damit die Formel 1 ihre Lektion lernt?

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Die McLaren-Crew schickte Genesungswünsche an Häkkinen Zoom Download

"Ich dachte: 'Das war's!'", gibt Häkkinen zu. Der Finne hatte Glück im Unglück, denn die Rettungsmannschaft rund um Streckenarzt Sid Watkins war binnen weniger Minuten an der Unfallstelle. Der Brite erkannte den Ernst der Lage sofort. Häkkinen blutete stark aus dem Mund.

"Ich sagte mir: 'Bleib entspannt und mach einfach gar nichts'. Denn ich konnte sowieso nichts machen. Sie haben mich dann rausgeholt. Zunächst war ich noch bei Bewusstsein." Doch als Watkins noch am Ort des Geschehens einen Luftröhrenschnitt durchführte - Häkkinen hatte seine Zunge beim Aufprall verschluckt - verlor er sein Bewusstsein.

Das Problem war jedoch nicht die Zunge, sondern die schweren Kopfverletzungen. Die Frakturen des Schädels hatte sich Häkkinen deshalb zugezogen, weil sein Helm hart am Lenkrad aufprallte, danach noch an den Seitenwänden des Cockpits. Die Knöpfe des Lenkrades waren gar als Abdrücke am Helm sichtbar.

Die Zeit im Krankenhaus: "Einfach grausam"

Im Royal Adelaide Krankenhaus wurde sein Kopf schließlich untersucht und mehrere Brüche festgestellt, auf der Intensivstation konnte er erst am nächsten Tag wieder sein Bewusstsein erlangen. "Ich erinnere mich daran, wie ich im Krankenhaus aufgewacht bin und was dort alles passiert ist. Das waren wirklich grausame Dinge - wie in einem Horrorfilm!"

Sofort nachdem er aufgewacht war, erkundigte sich Häkkinen bei Teamchef Ron Dennis über die Unfallursache. Der Brite bestätigte ihm, dass ein Reifenschaden dafür verantwortlich gewesen sei. Der Finne war erleichtert, dass es kein Fahrfehler gewesen war.

An die Zeit im australischen Krankenhaus erinnert er sich nur ungern. "Alles ist einfach grau und dunkel gewesen. Und so war es die ganze Zeit. Obwohl ich sehr tolle Leute um mich herum hatte, war das eine wirklich düstere Zeit in meinem Leben."


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Häkkinen musste mehrere Operationen über sich ergehen lassen. "Verrückte" Test seien mit ihm durchgeführt worden, um sicherzustellen, dass sein Gehirn keinen großen Schaden davongetragen habe. Die Schmerzen seien aber das Schlimmste an dieser Zeit gewesen.

"Wenn man so etwas überlebt, und dann das erste Mal wieder aus dem Krankenhaus kommt und auf der Straße gehen kann, dann ist man all den Menschen sehr dankbar, die sich um einen gekümmert haben in dieser schrecklichen Zeit."

Zum Beispiel konnte er die Augenlieder nicht von selbst schließen, da diese Muskelpartie im Gesicht beim Unfall beschädigt wurde. Um in der Nacht ein paar Stunden Schlaf zu finden, mussten die Krankenschwestern seine Augen verbinden. Auch mit dem Schließen des Mundes hatte er Probleme, weshalb auch das Trinken schwierig gewesen sei.

"Ich musste in eine Druckkammer der Navy!"

"Es war einfach eine schreckliche Erfahrung." Häkkinen stellte sich die Frage, ob er jemals wieder ein normales Leben führen konnte. An Rennfahren war zu jenem Zeitpunkt im November 1995 nicht zu denken. "So etwas kann man nie ganz verarbeiten", gibt er zu.

"Zunächst habe ich daran gar nicht gedacht, [wieder Rennen zu fahren], weil es allein schon körperlich nicht möglich gewesen wäre. Ich wusste nicht einmal, ob ich wieder ein völlig normales Leben führen würde. Dann, als ich ein bisschen stärker wurde, haben wir darüber gesprochen, ob ich bald nach Europa fliegen könnte."

Vor Weihnachten wurde Häkkinen schließlich nach England in ein anderes Krankenhaus geflogen. Davor musste er aber weitere Tests absolvieren. "Um mich auf den Flug vorzubereiten, musste ich in eine Druckkammer der Navy! Dort haben sie mich reingesteckt, [um zu sehen, wie sich der Druck im Flugzeug auf meinen Körper auswirken würde]."

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Melbourne 1996: Häkkinen steht wieder am Start! Zoom Download

Kurz vor Weihnachten sei er schließlich wieder in Europa angekommen. "Ich hatte [in Australien] wirklich eine fantastische medizinische Betreuung. Ich kam dann nach England und wurde dort in London weiterhin betreut. Das war eine wirklich schwere Zeit."

Wog Häkkinen in seiner aktiven Zeit vor dem Unfall bei einer Körpergröße von 1,79 Meter schon nur 68 Kilogramm, so nahm er danach noch deutlich ab. "Ich habe dadurch noch viel Gewicht verloren. Ich sah aus wie ein Skelett, so dünn war ich. Die Ärzte haben mir nicht mal erlaubt, irgendwelche Übungen zu machen."

Um den Jahreswechsel 1995/96 war er schließlich wieder in seiner Wahlheimat Monaco angekommen. "Zuhause in Monaco saß ich dann auf der Terrasse und wartete auf den Anruf mit der Frage, ob ich wieder fahren will. Das war ein schlimmes Gefühl."

87 Tage danach: Geheimtest in Paul Ricard

Denn für den damals 27-Jährigen stand fest: "Ich wollte wieder Rennen fahren." Zwar wurde er von seinem Team nicht unter Druck gesetzt, jedoch wollte Häkkinen so schnell wie möglich zurück an die Rennstrecke. Er begann eine bemerkenswerte Rehabilitation. Jeder Tag sei ein Kampf gewesen, erinnert er sich - körperlich und mental.

Seine Schmerzen habe er einfach ignoriert. "Man muss sich auf das Racing konzentrieren. Aber so wirklich kann man das nicht verdauen. Man kann mit allen Spezialisten auf der Welt sprechen, aber man kann sich dem einfach nicht entziehen, was man erlebt hat. Man muss damit leben."

Häkkinen schildert, er habe härter denn je arbeiten müssen, um gesund zu bleiben und den Unfall mental verarbeiten zu können. "Ansonsten zieht es dich immer tiefer runter und du verfällst in Selbstmitleid. Das bringt dich im Leben aber auch nicht weiter. Das ist also eine große Herausforderung gewesen, aber ich hatte zum Glück großartige Menschen um mich herum."


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87 Tage nach dem Horrorunfall saß Häkkinen schließlich wieder im McLaren. Ein geheimer Test in Paul Ricard sollte feststellen, wie fit der Finne für die bevorstehende Saison ist. "Ich wusste, dass die Strecke einfach zu fahren ist. Als ich dorthin fuhr, wusste ich schon, dass ich Vollgas geben werde."

Angst kannte der "fliegende Finne" keine, Zweifel ebenso wenig. "Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob ich meine fahrerischen Fähigkeiten oder Talent verloren habe oder nicht. Ich hatte eher Angst davor, was die Mechaniker sagen würden. Denn ich sah aus, wie einer von der Adams Family, also wie ein Monster", lacht er.

Da seine Haare teilweise abrasiert waren und eine Seite seines Gesichts gelähmt war, sah er nicht wie der Häkkinen aus, den seine Mechaniker kannten. "Ich fragte mich daher, was wohl die Mechaniker sagen würden. Sie kannten mich schließlich schon aus meinen früheren Jahren, 1993 und 1994."

Lange Genesung: "Erst Ende 1997 wieder in Form"

"Ich dachte, sie würden geschockt sein. Aber zum Glück hatten sie viel Humor. Dennoch haben sie mir angesehen, dass ich durch die Hölle gegangen bin." Nach 63 Runden beendete er den Testtag - mit einer Bestzeit, die eine halbe Sekunde schneller war als Michael Schumachers Zeit im Ferrari vom Vortag.

"Als ich dann ins Auto eingestiegen bin, hatte ich das Gefühl, dass es gut sein würde." Es habe sich so angefühlt, als sei er nie im Krankenhaus gelegen. "Ich bin davor so viele Tests mit McLaren gefahren, ich kannte das Auto und fühlte mich sofort wieder wohl."

Jedoch hatte er körperlich noch lange nicht wieder zu alter Form zurückgefunden, als die Saison 1996 in Melbourne begann. "Ich wurde dann am Ende von 1997 wieder ein wenig stärker, erst da kam ich körperlich wieder in Form. Das hat lange gebraucht."

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Melbourne 1996: Häkkinen fährt im Comeback-Rennen auf Platz fünf Zoom Download

Seine Ansicht über die Sicherheit in der Königsklasse hat sich aber auch durch seinen Unfall nicht verändert. "Ich wusste, dass es schon vor mir schwere Unfälle gegeben hat. Motorsport ist gefährlich. Jeder Fahrer, der in diesem Sport antritt, weiß, dass das Risiko besteht. Danach kann man nicht weinen, wenn etwas passiert ist."

Er begrüßt die neuen Sicherheitsstandards, die als Antwort auf die schweren Unfälle eingeführt wurden. "Die Firmen würden außerdem nicht mehr im Motorsport involviert sein wollen, würde die FIA gemeinsam mit den Fahrern und Teams nichts für die Sicherheit unternehmen. Also musste etwas passieren und viel Gutes wurde bereits gemacht."

Nachsatz: "Aber es bleibt immer ein Restrisiko, denn schließlich fahren wir hier mit Hochgeschwindigkeitsboliden."

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