• 22. Oktober 2020 · 09:24 Uhr

Hilfsmittel Simulation: So bereiten sich Formel-1-Teams auf neue Strecken vor

Noch bevor überhaupt ein Meter auf einer neuen Strecke gefahren wurde, haben sich die Teams detailliert mittels Simulationen vorbereitet

(Motorsport-Total.com) - Formel-1-Autos sind die komplexesten Automobile der Welt, ihre Erprobung auf der Rennstrecke und im Windkanal ist jedoch extrem stark eingeschränkt. Es gibt nur sechs Wintertesttage vor Saisonbeginn und an jedem Rennwochenende gibt es nur vier Trainingsstunden.

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Nicht nur bei Mercedes: Gute Vorbereitung auf ein Rennen ist alles Zoom Download

Deshalb verlassen sich die Formel-1-Teams mehr denn je darauf, Daten in der virtuellen Welt zu sammeln - ein großer Teil davon geschieht mittels Simulationen. Dieser Bereich ist in der Saison 2020 noch entscheidender, da es viele neue Strecken im Rennkalender gibt.


Welche Simulationstypen verwenden die Formel-1-Teams? Die Formel-1-Teams setzen verschiedene Simulationsbereiche ein, um sich auf ein Grand-Prix-Wochenende vorzubereiten, aber die beiden wichtigsten sind der "Driver-in-Loop"-Simulator und Computersimulationen.

Der "Driver-in-Loop"-Simulator (DiL) ist eine virtuelle Teststrecke, hierzu werden das Auto und die Rennstrecken unglaublich detailliert nachgebildet, um auf diese Weise das Auto weiterzuentwickeln, das richtige Set-up zu finden und den Fahrern zu helfen, sich in einem virtuellen Umfeld auf einer Strecke zurechtzufinden.

In diesem Rahmen verwendet etwa Mercedes eine individuell angefertigte Simulator-Anlage in der Fabrik. Der DiL ist vergleichbar mit einem professionellen Flugsimulator, mit dem Piloten trainiert werden. Der große Unterschied dabei ist, dass das "Cockpit" wie ein Formel-1-Auto aussieht. In einer typischen DiL-Session legen die Renn- und Simulatorfahrer locker mehr als eine volle Renndistanz zurück.

In der gleichen Zeit werden tausende Computersimulationen absolviert, da vom Computer simulierte Runden zu 100% virtuell durchgeführt werden können. Dadurch können sie beschleunigt werden und parallel zu anderen Simulationen laufen, um sowohl die Fahrzeugdynamik- als auch Strategiegruppen zu unterstützen. Der Wert dieser unterschiedlichen virtuellen Werkzeuge ist kritisch für ein Team, besonders wenn man noch nie zuvor auf einer Rennstrecke gefahren ist.


Wie genau ist der "Driver-in-Loop"-Simulator? Die verwendeten Streckenmodelle sind unheimlich detailliert. Sie werden mit Hilfe von Lidar-Scans erstellt, bei denen Laserbilder verwendet werden, um eine 3D-Karte der gesamten Strecke und all ihrer Charakteristiken zu erstellen - von der Streckenoberfläche über die Kerbs bis hin zur Umgebung.

Die Teams arbeiten zudem mit Gaming-Unternehmen zusammen, um die Streckenumgebung so realistisch wie möglich wiederzugeben, da visuelle Hinweise für die Fahrer wichtig sind, um Brems- und Einlenkpunkte zu erkennen. Der Markt für diese hochkomplexen Streckenmodelle ist sehr klein, deshalb basieren die Simulationen mehrerer Teams auf den gleichen Streckendaten und Informationen.


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Der Simulator selbst wird so realistisch wie möglich gebaut - mit dem gleichen Chassis, Cockpit, Lenkrad und Pedalen wie im richtigen Auto. Die Fahrer sitzen oft in voller Rennmontur im Simulator, um ein komplett immersives Erlebnis zu haben. Viel Zeit wird dafür aufgewendet, das virtuelle Fahrzeugmodell mit dem realen Auto abzugleichen, damit es sich im Simulator genauso verhält wie auf der echten Rennstrecke.

Auf diese Weise kann man im Simulator die gleichen Set-up-Einstellungen und Veränderungen durchspielen wie auf der richtigen Strecke und entsprechend sehen, wie sich die Balance oder die Performance dadurch verändern.


Warum ist der "Driver-in-Loop"-Simulator so wichtig und verändert sich die Herangehensweise bei neuen Strecken? Er ist ein unglaublich wichtiger Teil der Vorbereitung und besonders entscheidend, wenn man an eine neue Strecke kommt, auf der bislang noch keine Daten gesammelt werden konnten. Während die Herangehensweise identisch bleibt, führt es dazu, dass das Team mehr davon abhängig ist, Informationen im Simulator zu sammeln. Aus diesem Grund fällt das Programm bei neuen Strecken umfangreicher aus.

Auf einem Kurs, auf dem zuvor schon gefahren wurde, absolviert Mercedes normalerweise ein Zwei-Tages-Programm im Vorfeld eines Rennwochenendes. Das entspricht rund 450 Runden und grob acht Renndistanzen. Der Großteil davon wird vom Team an Simulator-Fahrern absolviert, aber auch Lewis Hamilton und Valtteri Bottas nutzen die Anlage.

Auf einer neuen Strecke gibt es viel mehr zu tun. Deshalb kommen zwei weitere Tage während der Vorbereitung hinzu sowie ein Tag, an dem die Einsatzfahrer das Streckenlayout lernen. Die meiste Arbeit wird im Vorfeld des Rennwochenendes erledigt, aber die Arbeit stoppt nicht, sobald das Team an der Rennstrecke angekommen ist.


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Die Simulator-Abteilung absolviert bei jedem Grand Prix auch ein Freitagsprogramm und unterstützt die Fahrer sowie Ingenieure an der Strecke dabei, die Lehren des Trainingstages optimal umzusetzen. Nach dem Wochenende wird der Simulator erneut angeworfen, um ein Post-Event-Programm abzuspulen.

Dabei versucht Mercedes, die Rennperformance besser zu verstehen und potenzielle Verbesserungen einzuschätzen. Diese entscheidende Vorbereitungsarbeit stellt sicher, dass das Team mit einem Auto an die Strecke reist, mit dem die Fahrer von der ersten Runde an pushen können.


Wie nutzen die Teams Computersimulationen, um Informationen zu sammeln? Neben dem DiL-Programm gibt es eine weitere virtuelle Teststrecke, die allerdings komplett in einem Computer existiert. Aus dem DiL wird eine Datei mit der Ideallinie generiert, die dann vor jedem Event für hunderttausende virtuelle Runden verwendet wird und Terrabytes an Daten produziert.

Die Ingenieure können diese Computersimulationen beschleunigen und sie parallel nebeneinander ablaufen lassen - auf diese Weise können in geringer Zeit enorme Mengen an Informationen gesammelt werden. Mit Blick auf die Fahrzeugdynamik konzentrierten sich die Ingenieure voll auf die Details - sowohl mit Blick auf Informationen zu ganz speziellen Teilen als auch darauf, wie das Auto auf sehr kleine Set-up-Veränderungen reagiert.

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Die Teams setzen auf Simulatoren und Computeranalysen Zoom Download

In den Simulationen wird eine riesige Anzahl an Set-up-Möglichkeiten durchgespielt und der Daten-Output (oft in Form von Graphen) kann nicht nur mit den anderen Computer-Versuchen, sondern auch mit den DiL-Daten oder Informationen aus dem echten Auto verglichen und überlagert werden.

Sobald die Daten analysiert wurden, entscheidet das Team, in welche Richtung das Set-up für die Freitagstrainings gehen soll. Dieses wird als Basis für die Weiterentwicklung des Autos auf der Strecke genutzt.


Welche anderen Bereiche des Teams nutzen Computersimulationen? Ein weiterer kritischer Bereich für Simulationsarbeiten ist die Strategie. Die Computermodelle, die für die Strategiesimulationen eingesetzt werden, enthalten alle Fahrer und Teams, aber auch Annahmen für Boxenstopp-Szenarien und Streckenvariablen, wie etwa den Zeitverlust bei einem Stopp, den Reifenabbau und die Konkurrenzfähigkeit der Autos.

Diese werden in Computersimulationen zusammengefasst, in denen realistische Schwankungen eine Vielzahl an Situationen darstellen. Auf diese Weise werden viele verschiedene Renn- und Qualifying-Szenarien simuliert, um die besten Strategieoptionen herauszufiltern - von den verwendeten Reifen über den Boxenstoppzeitpunkt bis hin zur Reaktion auf gewonnene oder verlorene Plätze am Start.

Diese umfangreichen Strategiesimulationen sind auch sehr nützlich für das Erstellen des Programms für die Freitagstrainings. Denn sie zeigen auf, welche Informationen gesammelt werden müssen oder auf welche Details das Team achten muss. Bevor wir überhaupt das erste Mal auf die Rennstrecke gefahren sind, haben wir bereits hunderttausende Strategiesimulationen hinter uns, um das Strategieteam in die bestmögliche Ausgangsposition für die Live-Sessions zu bringen.


Welche Herausforderungen mussten die Teams während dieser ungewöhnlichen Saison bislang meistern? Eine der offensichtlichsten Herausforderungen für die Teams ist in dieser Saison die hohe Anzahl an neuen Strecken, auf die sie sich vorbereiten müssen. Normalerweise gibt es pro Saison nur eine brandneue Strecke.

Die Simulationsarbeiten für diese unbekannten Kurse beginnt, sobald der Kalender bestätigt wurde, also im Normalfall sechs bis acht Monate vor dem Rennen. In dieser Saison hat sich der Kalender jedoch ständig verändert und die Rennen wurden erst zwei oder drei Monate vor ihrem Termin bestätigt.


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Und von den 17 bestätigten Rennen finden drei (Mugello, Portimao und der Bahrain Outer Circuit) auf Strecken statt, auf denen die Formel 1 vorher noch nie gefahren ist. Hinzukommen drei weitere Strecken (Nürburgring, Imola und die Türkei), auf denen die Formel 1 seit einiger Zeit kein Rennen ausgetragen hat. Dadurch ist es in diesem viel kürzeren Zeitraum auch viel schwieriger, die gleiche Informationsmenge wie gewöhnlich zu sammeln.


Kann man mit diesen Methoden alles simulieren? Die Teams versuchen, mit dem DiL und den Computersimulationen so genaue Daten wie möglich zu sammeln, um bis zum ersten Training in der bestmöglichen Ausgangslage zu sein. Aber natürlich können Simulationen nie 100 Prozent genau sein. Sie sind nur so gut wie die Daten, auf denen sie basieren.

Deshalb werden Simulationen nie dazu verwendet, um finale Entscheidungen zu treffen. Stattdessen werden sie als Hilfe eingesetzt, um die Richtung zu beeinflussen, für die sich die Ingenieure entscheiden. Sobald sie einen Weg eingeschlagen haben, liegt es an den Fahrern, reales Feedback zu geben, welches die Ingenieure dann weiterverarbeiten.

Das komplette Fahrzeugmodell kann niemals perfekt sein und man kann den Grip des Asphalts nicht nachmodellieren und genau sagen, wie die Reifen darauf reagieren werden. Für einige Aspekte des Fahrzeug-Set-ups, wie etwa die Flügeleinstellungen, lassen sich einfacher Informationen via Simulationen sammeln als für andere, wie zum Beispiel die Fahrzeugbalance oder das Gripniveau.

Bei diesen ist das schwieriger, weil sie von mehr Faktoren abhängig sind - einige davon liegen außerhalb unseres Einflussbereichs, etwa das Wetter. Die Teams können für die Simulationen Annahmen treffen, aber erst wenn das Auto auf der Strecke ist, wissen sie wirklich, wie all diese Elemente miteinander interagieren.

Das Wichtigste für die Renningenieure ist, zu verstehen, wie man die Informationen aus den Simulationen interpretieren muss und wie man unter Berücksichtigung der vorhandenen Einschränkungen die Daten mit jenen aus der realen Welt kombinieren und danach die richtigen Entscheidungen treffen kann.

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