• 23. Mai 2020 · 12:10 Uhr

Wie Niki Lauda Lewis Hamiltons Wechsel zu Mercedes fast verhindert hätte

Die Legende besagt, dass Niki Lauda Lewis Hamilton in einem Hotelzimmer in Singapur von Mercedes überzeugt hat, doch es gibt auch eine ganz andere Story ...

(Motorsport-Total.com) - Lewis Hamiltons Wechsel von McLaren zu Mercedes für die Saison 2013 ist in der Formel 1 auch sieben Jahre später noch ein sagenumwobenes Thema. In einem neuen Buch wird die bisher geläufigste Darstellung, wonach Niki Lauda die Schlüsselfigur bei dem Millionentransfer gewesen sein soll, untermauert. Doch es gibt auch eine ganz andere Version der Story ...

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Niki Lauda behauptet, Lewis Hamilton 2012 zu Mercedes geholt zu haben Zoom Download

Die bekannte Version geht so: Hamilton, ohnehin schon zerstritten mit McLaren-Teamchef Ron Dennis, war stinksauer, als er in Singapur 2012 in Führung liegend mit Getriebeschaden ausfiel. Lauda, so die Legende, soll geahnt haben, dass das die große Chance ist, den Superstar von Mercedes zu überzeugen, und besuchte ihn auf dessen Hotelzimmer. Der Rest ist Geschichte.

Tatsächlich war die Story von Hamiltons Wechsel zu Mercedes deutlich komplexer und vor allem auch langwieriger.

In der neuen Niki-Lauda-Biografie von Maurice Hamilton (Sponsored Link: Jetzt online bestellen und kontaktlos nach Hause liefern lassen!) wird beschrieben, dass Lauda schon bei seiner allerersten Aufsichtsratssitzung im September 2012 die Idee in den Raum gestellt haben soll, sich von Michael Schumacher zu trennen und stattdessen Hamilton zu verpflichten.

Norbert Haug wollte mit Rosberg-Schumacher weitermachen

"Als ich fragte, wer 2013 fahren soll", wird Lauda im Buch zitiert, "schien Haug das für eine blöde Frage zu halten und antwortete: 'Schumacher und Rosberg.' Ich antwortete: 'Okay, aber was, wenn Michael sich zurückziehen will?' Man versicherte mir, dass er das nicht wolle, aber er musste das Team auch nicht vor Oktober informieren."

Das Problem daran: "Dann würden alle neuen Fahrerverträge schon unter Dach und Fach sein", so Lauda. "Ich hielt es für keine gute Idee abzuwarten und sagte das auch laut. Man erlaubte mir, mit Lewis zu sprechen, weil ich wusste, dass es der einzige große Name war, der frei sein könnte. Er war bei McLaren und hätte da noch verlängern können."

"Nach dem Rennen in Singapur ging ich zu Lewis, und da fing das Ganze an. Das erste Mal war ich um 2:00 Uhr morgens in seinem Hotelzimmer - ich muss dazusagen, dass ich noch nie um 2:00 Uhr morgens mit einem Mann in seinem Hotelzimmer gewesen war! Ich kannte ihn überhaupt nicht, aber wir schienen uns von Anfang an gut zu verstehen. Damit begannen meine Versuche, ihn zu Mercedes zu holen."


Schumacher vs. Hamilton: Der große Vergleich

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Die Lauda-Story war schon längst als historische Wahrheit akzeptiert, als Hamilton selbst 2018 verriet, dass es eher ein Gespräch mit Ross Brawn in der Küche seiner Mutter war, das ihn davon überzeugte, McLaren zu verlassen und ins Mercedes-Werksteam zu kommen. Lauda hatte nur die Vorarbeit für Brawns Verhandlungen geleistet.

Und Nick Fry, ehemaliger Geschäftsführer des Brawn- und späteren Mercedes-Teams, geht in seinem Buch "Drive. Survive. Win." (Sponsored Link: Jetzt online bestellen und kontaktlos nach Hause liefern lassen!) sogar so weit zu behaupten, dass Lauda den Hamilton-Deal nicht möglich gemacht, sondern beinahe verhindert hätte! Und zwar mit einem unbeholfenen Anruf bei Hamiltons damaligem Manager Simon Fuller.

Fry hat dem Megatransfer in seinem Buch sogar ein eigenes Kapitel gewidmet: "The long road to hiring Lewis Hamilton". Denn den ersten Kontakt hatte es schon 2006 gegeben, als das heutige Mercedes-Team noch Honda hieß und Fry und Gil de Ferran im Teammanagement das Sagen hatten.

Erstes Treffen zwischen Fry und Hamilton schon 2006

Hamilton war gerade drauf und dran, die GP2-Meisterschaft zu gewinnen, und galt als heißer Kandidat auf ein McLaren-Cockpit. Doch einen Rookie in einen McLaren zu setzen, das schien Dennis ein zu großes Risiko zu sein. Also schmiss de Ferran in seinem Haus den Grill an, lud Fry, Hamilton und dessen Vater Anthony ein - und bot den Hamiltons ein Cockpit an.

"Es war ein Dreijahresvertrag mit, für Formel-1-Verhältnisse, relativ moderaten Zahlen. Wir boten ihm ein Basisgehalt von einer Million Pfund pro Saison an", erinnert sich Fry. Dazu kam: "Es wäre schön gewesen, der Konkurrenz eins auszuwischen, und es wäre für Ron Dennis ein Schlag ins Gesicht gewesen."

Aber es kam anders - und es dauerte Jahre, bis Fry den Kontakt zum Hamilton-Lager wieder aufnahm. Im Sommer 2011, lange bevor Lauda Aufsichtsratsvorsitzender und Anteilseigner des Mercedes-Teams wurde, traf sich Fry (samt Gattin) in New York mit Hamiltons Manager Fuller (einem Popstar-Macher, der unter anderem die Spice Girls vermarktet hatte) und dessen Frau Natalie.

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Lewis Hamilton und sein Popstar-Manager Simon Fuller im März 2012 Zoom Download

"Wir tranken ein paar Bloody Marys und zogen uns nach dem Mittagessen in Simons Appartement zurück, von dem aus man einen herrlichen Ausblick auf den Central Park hatte", schreibt Fry. "Dabei kam Lewis' Zukunft erstmals zur Sprache, und ich brachte mein Interesse [...] zum Ausdruck."

Fry begann, an dem Deal zu arbeiten, stieß aber in Stuttgart auf Widerstand: "Ich konnte Mercedes anfangs nicht von Lewis überzeugen. Mehr als einmal wurde ich zurückgeschickt, um mir etwas anderes auszudenken."

"Aus irgendeinem Grund wurde mir aufgetragen, mich erneut mit abwegigen Fahrern wie Nick Heidfeld auseinanderzusetzen, der regelrecht auf das Cockpit brannte und mir immer wieder Fotos von sich selbst, seiner Familie und seinem Hund schickte, um mein Interesse an ihm zu wecken."

Fry: Peinlicher Anruf von Jacques Villeneuve

"Wir schauten uns auch Paul di Resta an, der damals für Force India fuhr. Und ich erhielt einen leidenschaftlichen Anruf von Jacques Villeneuve, der mich damit volllaberte, wie wunderbar er nicht sein würde und wie schnell er nach drei Jahren ohne Formel 1 mit ein paar NASCAR-Rennen immer noch ist."

"Jacques", so Fry, "hatte mich damals schon nicht sonderlich beeindruckt, als er noch für BAR-Honda gefahren ist, weder im Cockpit noch außerhalb. Angesichts unserer früheren Zusammenarbeit musste ich mich bei dem Anruf ganz schön zusammenreißen, um ihn nicht auszulachen. Es bestand nicht die geringste Chance, dass wir Jacques in Betracht ziehen würden."

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Borbert Haug wollte 2013 am liebsten einen Deutschen im Cockpit sehen Zoom Download

Also landeten Fry und Brawn doch wieder bei Wunschkandidat Hamilton. Die beiden waren sich einig: "Jemanden wie Nick Heidfeld mit Lewis zu vergleichen, das ist so, als würdest du den halbstarken Kerl aus dem Fitnessstudio im Dorf neben Muhammad Ali stellen."

In seinen Memoiren räumt Fry ein, dass tatsächlich Lauda ein entscheidender Impuls war, die Heidfeld-Idee aufzugeben und sich um Hamilton zu bemühen. Denn Lauda war von Hamilton überzeugt - und sagte Fry gleich an seinem ersten Arbeitstag: "Nick, geh und erledige das! Ich bitte Mercedes dann nachher um Verzeihung."

Fry und Fuller nahmen konkrete Verhandlungen auf. Weil Hamiltons Verhältnis zu McLaren immer schlechter wurde, roch es im Juni 2012 schon sehr nach einem Wechsel. Bis im Juli plötzlich in der 'Sun' ein Artikel auftauchte, in dem über eine wilde Partynacht von Hamilton mit zehn Frauen berichtet wurde, sehr zum Missfallen seiner damaligen Freundin Nicole Scherzinger.

Dennis' verzweifelter Versuch, Hamilton bei McLaren zu halten ...

Die Story hatte, das wurde ein Jahr später von der 'Daily Mail' recherchiert, McLaren-Teamchef Dennis lanciert. Der flog, bewaffnet mit der Partygeschichte, zu Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche nach Stuttgart, um Zetsche zu erklären, wie rufschädigend Partylöwe Hamilton für eine seriöse Marke wie Mercedes sein würde.

Doch Dennis' verzweifelter Versuch, Hamilton zu halten, ging spektakulär nach hinten los: "Dieter rief Ross an und erzählte ihm, was ihm gerade gesagt wurde", erinnert sich Fry. "Ross kam daraufhin sofort in mein Büro und erzählte es mir, und ich rief Lewis' Anwältin Sue Thackeray an, im Wissen, dass das der Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringen kann."


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Von da an beginnt die Fry-Version des Hamilton-Deals von der Lauda-Darstellung abzuweichen. Denn Fry beschreibt, dass der Vertrag schon vor Singapur, also vor Laudas Hotelzimmer-Treffen mit Hamilton, "ziemlich fertig" war. Und dass Lauda es ganz im Gegenteil beinahe sogar zustande gebracht hätte, diesen noch scheitern zu lassen.

Dazu muss man wissen: Die im Vertrag vereinbarte Gage lag bei 30 Millionen Pfund (umgerechnet knapp 34 Millionen Euro). Doch Daimler war nur bedingt investitionsbereit, auch nicht für Hamilton, und so fehlten Fry drei bis vier Millionen, um die Finanzierung zu bewerkstelligen. Fuller hatte er über diese Entwicklungen natürlich informiert.

Am Rande des Grand Prix von Singapur traf sich Fry mit Verantwortlichen von Titelsponsor Petronas, um die fehlende Finanzierung zu klären - was letztendlich auch klappte: Gegen die Erlaubnis zur Nutzung von Hamiltons Bildrechten für Werbung und ein paar zusätzliche Aufkleber am Auto willigte der Mineralölkonzern ein, die fehlenden Millionen beizusteuern.

Lauda wusste davon nichts. Fry erinnert sich: "Aus Gründen, die nur er selbst kennt, vielleicht wegen eines Missverständnisses oder des fehlgeleiteten Wunschs, den Deal voranzubringen, nahm es Niki selbst in die Hand, Simon in Los Angeles anzurufen, ein paar Tage bevor wir die Dinge geklärt hatten. Und sagte ihm, der Deal sei erledigt und Mercedes habe das Geld zugesagt."

Fuller: "Sag Lauda, der Deal ist tot!"

"Das Problem war, dass Simon ganz genau wusste, dass das Geld noch nicht zugesagt war und die internen Verhandlungen bei Mercedes noch weitergingen, weil er ja täglich mit mir sprach. Simon war richtig sauer. Ich hatte bis dahin nie erlebt, dass er die Fassung verliert, aber in der Nacht rief er mich in Singapur an und schrie mich übers Telefon an."


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Fry erinnert sich an Fullers Worte: "Sag Lauda, dass er sich den Deal abschminken kann! Und du kannst allen ausrichten, dass sie sich verpissen sollen. Der Deal ist tot!" Was dazukam, dass Lauda eine Notlüge einsetzte, um Fuller zu überzeugen, war: "Es hat nicht geholfen, dass Niki Simon für den Anruf aus einer sehr wichtigen Dinnerparty holen ließ", so Fry.

Das entscheidende Gespräch fand dann, so schreibt es der damalige Mercedes-Geschäftsführer in seinem Buch, bei einem Treffen zwischen Hamilton und Brawn in London statt. Brawn legte großen Wert auf Diskretion, um Hamilton nicht in weitere Probleme mit seinem Noch-Arbeitgeber McLaren zu bringen.

Doch Hamilton war das ziemlich egal, wie Fry erklärt: "Ross hat sich dann kaputtgelacht, als Lewis zu dem Treffen in einem zentral gelegenen Hotel mit einem knallbunten Supersportwagen kam, mit einem Auspuffsystem, mit dem man das halbe West End aufwecken konnte!"

Wenig später war der Deal endlich unterschrieben, Schumachers Formel-1-Karriere zum zweiten Mal unfreiwillig beendet und Hamilton offiziell Mercedes-Werksfahrer. Der Rest ist Geschichte: Fünf WM-Titel später dürfen alle Beteiligten ein wenig stolz sein, die den Hamilton-Mercedes-Deal möglich gemacht haben ...

Lesetipps zu dieser Story (sponsored): "Drive. Survive. Win." von Nick Fry (erschienen 2019 bei Atlantic Books), "Niki Lauda - Die Biografie" von Maurice Hamilton (erschienen 2020 bei Edel Books) und "Total Competition - Lessons in Strategy from Formula One" von Ross Brawn und Adam Parr (erschienen 2016 bei Simon & Schuster).

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