• 26. März 2020 · 16:02 Uhr

"Angeschlagen": Das erstaunliche Comeback-Debüt von Herbert 1989

Er kämpfte mit Unfallfolgen, war noch nicht fit und gab trotzdem sein Formel-1-Debüt: Die außergewöhnliche Geschichte von P4 für Johnny Herbert in Rio

(Motorsport-Total.com) - Eine Amputation schien notwendig zu sein. Doch Johnny Herbert hatte Glück. Er überstand nicht nur seine schweren Unfallverletzungen, sondern schaffte es in Rekordzeit ins Formel-1-Cockpit und unter Schmerzen sogar zu Platz vier in seinem ersten Grand Prix. Das hier ist die außergewöhnliche Geschichte seines bemerkenswerten Formel-1-Debüts.

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Brands Hatch 1988: Johnny Herbert (oben links) verletzt sich bei dem Crash schwer Zoom Download

Sie beginnt an einem heißen Sommertag in Brands Hatch, wo Herbert als einer der Titelfavoriten in der Formel 3000 versucht, nach einem schlechten Start von der Pole sofort wieder aufzuholen.

Im Streckenabschnitt "Pilgrim's Drop" aber kommt es zu einer Berührung mit Gregor Foitek - und es entwickelt sich ein Massenunfall, der neun Fahrzeuge aus dem Rennen reißt.

Monate später fährt Herbert in der Formel 1

Am schlimmsten erwischt es Herbert: Sein gelber Reynard-Cosworth schlägt erst links, dann rechts hart in die Streckenbegrenzung ein. Er wird zwar nicht lebensgefährlich, aber sehr schwer verletzt: Die Ärzte wissen zunächst nicht, ob eine Heilungschance für die mehrfach gebrochenen Beine besteht, eine Amputation steht als realistische Maßnahme im Raum.

Herbert aber beißt sich durch, lässt Operation nach Operation über sich ergehen und rettet damit nicht nur seine Beine, sondern auch seine Rennkarriere. Mehr noch: Es gelingt ihm, seinen bestätigten Platz als Formel-1-Stammfahrer bei Benetton für 1989 tatsächlich einzunehmen. Nur 217 Tage nach dem schweren Formel-3000-Crash in Brands Hatch bestreitet Herbert in Rio de Janeiro seinen ersten Grand Prix.

Er selbst gibt sich zuversichtlich, die Teamführung aber zweifelt. Allen voran der neue Benetton-Leader Flavio Briatore. "Er war damals neu im Geschäft", sagt Herbert rückblickend. "Flavio hatte die Sorge, ich würde es nicht packen."

Letzte Zweifel an der Fahrer-Fitness

Deshalb hat Briatore Herbert schon vorab auf die Probe gestellt: "Beim Testen vor Saisonbeginn bat man mich aus heiterem Himmel, eine Renndistanz zu absolvieren. Alle verschwanden dann in der Hospitality, weil sie glaubten, ich würde nur zehn Runden oder so durchhalten."


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Eineinhalb Stunden später rollte Herbert mit leerem Tank auf der Strecke aus. "Damit war der Beweis erbracht", meint er selbst. Ein letztes Treffen mit Luciano Benetton, Briatore und Manager Peter Collins direkt vor Ort in Rio besiegelt Herberts Formel-1-Debüt. "Sie hatten mir [nach dem erfolgreichen Ausdauertest] nichts entgegenzusetzen", sagt Herbert.

Der britische Rennfahrer, damals 24 Jahre alt, verheimlicht der Teamführung, dass er noch immer starke Schmerzen hat. Sein Zustand sei gut sieben Monate nach dem Unfall "noch immer nicht normal" gewesen, sagt er später. "Ich konnte nicht besonders hart bremsen, auch nicht mit den rechten Fuß."

Herberts Bodenwellen-"Trick"

Als besonders schlimm erweist sich aus seiner Sicht eine heftige Bodenwelle vor der Gegengeraden. "Mein linker Fuß war noch immer sehr empfindlich und der Knöchel so dick wie eine Melone", erklärt Herbert. "Als ich diese Bodenwelle erwischte, schlug mein Knöchel gegen das Chassis. Ich hatte irre Schmerzen."

Herbert lässt sich aber auch davon nicht beirren, sondern beißt sich durch: "Ich merkte, dass es ging, wenn ich erst einmal über die Schmerzgrenze hinweg war. Dazu musste ich den Fuß am Boden lassen, damit er zur Seite schlagen konnte, wenn ich über die Bodenwelle fuhr."

Diese besondere Herangehensweise hat jedoch einen Preis für den Formel-1-Debütanten: noch mehr Schmerzen. "Es tat höllisch weh", sagt Herbert. "Ich brüllte im Auto. Aber: Danach hatte ich für die restlichen Runden keine Schmerzen mehr. Deshalb machte ich genau das dann wieder vor der Einführungsrunde im Rennen."

Die Sensation ist zum Greifen nahe

Schon zu diesem Zeitpunkt hat sich Herbert gut in Szene gesetzt. Im Qualifying erzielte er Platz zehn unter 26 qualifizierten Fahrern, knapp zwei Zehntel vor seinem erfahrenen Benetton-Kollegen Alessandro Nannini und nur 2,3 Sekunden hinter Pole-Mann Senna.

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In der Formel 1 angekommen: Johnny Herbert 1989 im bunten Benetton Zoom Download

Dann folgen 61 beinharte Runden in brasilianischer Hitze, die Herbert angesichts seiner besonderen Umstände "gut" meistert, wie er rückblickend erklärt.

Doch das Beste, so glaubt er, kommt erst noch. Denn kurz vor Schluss hält er P4 hinter Nigel Mansell im Ferrari, Alain Prost im McLaren und Mauricio Gugelmin im March - und sieht gute Chancen auf einen Podestplatz im ersten Formel-1-Rennen!

Verwirrung in der Benetton-Box

Herbert schildert die Situation aus seiner Sicht: "Ich wähnte mich in der letzten Runde und hing im Getriebe von Gugelmin, der wiederum Alain direkt vor sich hatte. Ich bereitete mich [auf eine Attacke] vor und träumte schon vom Podium."

Dann die bittere Enttäuschung: "Das Rennen wurde abgewinkt, obwohl meine Boxentafel noch eine Runde anzeigte." Der Fehler ist laut Herbert rasch gefunden: "Meine Crew war so begeistert gewesen von meinem Rennen, dass sie die Boxentafel nicht aktualisiert hatten."

Ob Herbert mit einer weiteren Runde tatsächlich noch einen Podestplatz sichergestellt hätte? Seine guten Zeiten zu Rennende jedenfalls lassen ihn daran glauben. So oder so: Für ihn erweist sich der Brasilien-Grand-Prix 1989 als Meilenstein.

Ein Meilenstein für Herbert

"Niemand vergisst dieses Rennen", meint Herbert. Das Risiko, trotz nicht vollends ausgeheilter Verletzungen in der Formel 1 zu fahren, habe sich für ihn bezahlt gemacht. "Hätte ich mich ausgeklinkt, um später zurückzukehren, ich wäre als Ausschussware betrachtet worden. Denn da kamen Leute wie Jean Alesi oder Michael Schumacher neu dazu."

"Dieser vierte Platz", so sagt Herbert heute, "hat mir meine Karriere gerettet." Und nur wenige Monate später betätigt sich Herbert selbst als Retter. Zumindest startet er 1991 bei einem Sportwagen-Rennen in Fuji in Japan einen mutigen Hilfsversuch.

Denn unmittelbar vor Herbert ist Nissan-Fahrer Takao Wada am Ende der langen Zielgeraden verunglückt, das Auto liegt brennend auf dem Dach. "Niemand hielt an, er selbst war noch nicht heraus. Und weil ich glaubte, ich könnte schneller am Unfallort sein als die Sportwarte, [hielt ich an und] rannte hin", sagt Herbert.

Der Rennfahrer-Instinkt greift ein

"Mein Instinkt sagte mir, ich sollte helfen. Viele Fahrer haben das nicht getan. Sie wollten sich vielleicht nicht mit dem konfrontieren, was sie dort antreffen würden. Damit habe ich kein Problem. Ich hatte meinen eigenen Crash hinter mir. Wahrscheinlich habe ich es deshalb gemacht."

Bis Herbert das Wrack erreicht, hat es Wada aus eigener Kraft bereits verlassen. Die Auszeichnung "Sportsmann des Jahres" bei den Autosport-Awards 1991 gewinnt Herbert trotzdem, genau wie die 24 Stunden von Le Mans für Mazda im gleichen Jahr und insgesamt drei Formel-1-Grands-Prix für Benetton (beide 1995) und Stewart (1999).

Weltmeister wird Herbert nie, beendet seine Karriere aber ohne einen weiteren derart schweren Unfall. Heute ist er als Formel-1-Experte für das britische Fernsehen tätig.

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