• 25. Juli 2019 · 11:16 Uhr

Hockenheim 1994: Das legendäre Bild hinter Jos Verstappens Feuerunfall

Bei Jos Verstappen Feuerunfall vor 25 Jahren ist ein legendäres Bild entstanden - Der Niederländer, Fotograf Steven Tee und Mechaniker Paul Seaby erinnern sich

(Motorsport-Total.com) - Wenn unter Motorsportfans über Tankstopps in der Formel 1 gesprochen wird, dann fällt irgendwann unweigerlich der Name Jos Verstappen. 25 Jahre ist es mittlerweile her, dass der damalige Benetton-Pilot in Hockenheim unfreiwillig zum Protagonisten des größten Formel-1-Feuerunfalls der Neuzeit wurde. Und noch heute schießen jedem sofort wieder die Bilder in den Kopf (hier durch die Fotostrecke klicken!).

Eine der berühmtesten Fotoaufnahmen des Zwischenfalls zeigt allerdings nicht Verstappen selbst sondern den Mechaniker Paul Seaby. Der damalige Mitarbeiter der Benetton-Boxencrew stand mitten in den Flammen, als sich das Feuer entzündete. Wir haben mit Verstappen, Seaby und Steven Tee, dem Fotografen des Bildes, über diesen feurigen Moment der Formel-1-Geschichte gesprochen.

"Ich erinnere mich daran, dass es ein ganz normaler Boxenstopp werden sollte", erinnert sich Verstappen an die 15. Runde des Großen Preises von Deutschland 1994 zurück. Bereits zwei Umläufe zuvor war sein Teamkollege Michael Schumacher an der Box gewesen - ohne Zwischenfall. Ein ganz normaler Tankstopp eben. Beim Niederländer kam es anders.

"Ich öffnete immer mein Visier, wenn ich [in der Box] stand. Denn ich schwitze sehr, also öffnete ich meinen Helm, um etwas frische Luft zu bekommen, wenn ich anhielt", erinnert sich Verstappen an die ersten Sekunden des Stopps zurück. "Dann sah ich, dass Flüssigkeit kam. Ich konnte noch nichts riechen, daher wedelte ich mit meinem Arm. Dann ging alles [in Flammen] auf."

"Ich dachte erst, es ist Wasser ..."

"Plötzlich war es schwarz und dunkel, und ich konnte nicht mehr atmen. Es war eine Situation, an die man normalerweise nicht denkt", berichtet Verstappen, der zu diesem Zeitpunkt nur noch aus dem Auto raus wollte. Doch das war gar nicht so einfach. "Ich hatte Probleme, das Lenkrad abzubekommen. Es hat ein paar Sekunden gedauert", erinnert er sich zurück.

"Dann musste ich noch den Gurt lösen. Ich musste also einige Dinge erledigen, bevor ich aufstehen konnte und realisierte, was passiert war", so Verstappen. Was er nicht sehen konnte: Aus dem Tankschlauch war so viel Benzin gespritzt, dass fast das komplette Auto damit bedeckt war. Rund 2,5 Sekunden später stand das Auto in Flammen - mit Verstappen im Cockpit.

Mechaniker Paul Seaby bekam davon zunächst ebenfalls nichts mit. "Mein Job war der rechte Vorderreifen, daher war mein Rücken zur Tankcrew gedreht", erinnert er sich. Das umherspritzende Benzin erwischt ihn voll am Rücken. Er hielt es im ersten Moment für Wasser. "Ich dachte mir: 'Das ist aber ungewöhnlich, dass hier Wasser spritzt.' Dann realisierte ich, dass es Benzin war."

"An diesem Punkt habe ich mich entschieden, abzuhauen", so Seaby. Doch da war es schon zu spät, und die Flammen entzündeten sich. "Ich rannte in die Garage, was der schnellste Weg vom Auto weg war", berichtet er. Dort stand bereits Fotograf Steven Tee - der ebenfalls mit einem regulären Boxenstopp rechnete. "Wir arbeiteten damals mit Benetton zusammen, und ich entschied mich, beim Rennen aus dem Infield zu arbeiten", so Tee.

"Ich erledigte den Start, und anschließend wollte ich sehen, was passiert. Ich wollte für das Finish im Infield sein, denn ich dachte mir, wenn Michael gewinnt, dann würde es überall Flaggen geben", verrät Tee. Es wäre in der Formel 1 der erste Sieg eines deutschen Piloten in Deutschland überhaupt gewesen. Stattdessen bekam Tee in Runde 15 ein anderes denkwürdiges Motiv.

"Ich knipste einfach weiter!"

"Der Mittelteil des Rennens war etwas langweilig. Daher ging ich zurück, um einige Boxenstopps aufzunehmen", erinnert er sich und ergänzt: "Ich ging in die Benetton-Garage, und sie machten sich gerade für den Boxenstopp bereit." Aus der Garage heraus machte er seine Aufnahmen, als auch er bemerkte, dass Benzin ausgetreten war. "Ich beachtete das aber kaum", verrät er.

Plötzlich habe er nur noch einen "großen orangen [Feuer-]Ball" gesehen. "Aber ich knipste einfach weiter", erinnert er sich und berichtet: "Ich sah, dass die Mechaniker zurück in die Garage rannten. Einige von ihnen hatten Feuer gefangen. Ich ging ein bisschen zurück, um Platz zu machen. Ich dachte gar nicht mehr daran, was ich aufgenommen hatte, denn damals knipsten wir noch auf Film."


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Anders als heute, wenn die Aufnahmen auf Digitalkameras sofort einsehbar sind, hatte Tee keine Ahnung, was er in dem ganzen Chaos überhaupt fotografiert hatte. Erst am nächsten Morgen, als er seinen Film in London entwickelte, konnte er seine eigenen Bilder sehen. Das Feuer selbst dauerte derweil nur wenige Sekunden, ehe es dank der vorhandenen Feuerlöscher unter Kontrolle war.

"Ich erinnere mich, dass das Team Wasser auf mein Gesicht schüttete und es später eincremte", verrät Verstappen. Anschließend musste er noch ins Krankenhaus, wo aber glücklicherweise "alles ziemlich okay" gewesen sei. "Ich konnte auch normal atmen. Ich glaube auch nicht, dass ich währenddessen viel geatmet habe", so Verstappen, der noch einmal mit dem Schrecken davonkam.

"Man riecht das Benzin und das Öl und bekommt Angst. Aber wenn es in der Boxengasse passiert, dann ist das eigentlich der sicherste Ort dafür", blickt er zurück und erklärt: "Daher hatte ich auch nie Probleme, das Geschehene mental zu verarbeiten." Für Seaby lief alles "ein bisschen wild" ab. "Wir haben etwas Wasser gefunden und es auf mein Gesicht gespritzt", erinnert er sich.

Eigentlich stand noch ein weiterer Stopp an

Während das Rennen für Verstappen damit natürlich beendet war, wäre Seabys Arbeitstag eigentlich noch weitergegangen - denn das zweite Auto war noch im Rennen. "Die Jungs machten sich sauber, denn Joan [Villadelprat, Teammanager] rief in die Garage, dass es noch einen weiteren Boxenstopp geben könnte. Er ging herum und fragte: 'Denkst du, dass du das hinbekommst?'"

"Wir sagten: 'Ja, natürlich!' Wir zogen unsere Overalls wieder an, um wieder rauszugehen und Michaels Stopp zu erledigen", berichtet Seaby. Zu dem Stopp kam es aber schließlich nicht mehr, weil Schumacher mit einem Motorenproblem aufgeben musste. "Wir gingen [anschließend] alle ins Medical Centre und konnten darüber lachen, während wir unsere Verbrennungen kühlten", erinnert er sich.

"Drei von uns hatten Verbrennungen: ich, Simon Morley und Wayne Bennett. Ich und Simon hatten welche im Gesicht. Simon war schlimmer dran, aber damals wirkte es nicht so heftig. [...] Wayne hatte seinen Knöchel und seinen Fuß verbrannt und war beim Duschen als Letzter dran. Letztendlich musste er seinen Fuß in die Toilette stecken und abspülen, um genug kaltes Wasser über seinen Knöchel laufen zu lassen."

"Davon abgesehen gab es keine bleibenden Schäden. Bei den nächsten Rennen war ich mit dem Kopf nicht immer ganz da, aber es musste ja weitergehen", zuckt er die Schultern. Gegen Benetton gab es anschließend eine Untersuchung, weil das Team einen Filter aus dem Tanksystem entfernt hatte. Der Rennstall betonte allerdings stets, dass das Teil keinen Unterschied gemacht hätte.

Letztendlich sind den Menschen vor allem die Bilder in den Köpfen geblieben. "Deswegen erinnern sich die meisten Leute an mich", lacht Verstappen und verrät: "Ich habe keine bleibenden Probleme. Nur manchmal, wenn ich Alkohol trinke, [...] spüre ich plötzlich ein Brennen. Dann werden auch die Stellen in meinem Gesicht rot, die verbrannt waren. [...] Ich kenne den Grund nicht. Ich denke, es ist eine Art Reaktion."

Plötzlich war das Bild überall ...

"Ich habe nur bemerkt, dass meine linke Wange an einer Stelle etwas röter ist", verrät Seaby währenddessen. Über das legendäre Bild von ihm in Flammen freut er sich heute. "Als ich das Foto zum ersten Mal sah, da habe ich zu Steve Tee gesagt: 'Du hättest mich auch löschen können, statt Fotos zu knipsen!' Aber ich bin froh, dass er sie gemacht hat", verrät er.

In der Situation habe er selbst kaum mitbekommen, was eigentlich passiert sei. Daher sei es gut, die Bilder zu haben, um die Szene noch einmal rekonstruieren zu können. "Ohne das Video und das Foto hätte man es schnell vergessen. Nicht viele Leute sprechen zum Bespiel über das Jordan-Feuer in Spa [1995]", erklärt er. Vor allem in seinem Bekanntenkreis wurde das Bild schnell ein Hit.

"Als ich gerade meine Frau kennengelernt hatte, da hatte [meine Schwiegermutter] nur dieses Bild von mir", lacht er und ergänzt: "An ihrer Wand hingen Bilder von meinem Schwager und meiner Schwägerin bei ihren Hochzeiten - und daneben war ein Bild von mir in Flammen." Und auch Steven Tee lässt das Bild bis heute nicht mehr los. "Paul und ich haben über die Jahre immer darüber gewitzelt", verrät er.

"Irgendwann war das Bild irgendwo auf einigen Bierdeckeln zu finden! Es wurde überall verwendet", berichtet er und verrät: "Es gab auch noch einen anderen Blickwinkel des Feuers, den jemand von der Boxenmauer aufgenommen hatte. Das wurde in den Zeitungen auch ziemlich häufig verwendet. Aber es hatte nicht die gleiche Wucht wie dieses von Seaby."

Das Rennen gewann damals übrigens Gerhard Berger im Ferrari vor den beiden Ligier-Piloten Olivier Panis und Eric Bernard. Daran erinnern sich heute aber wohl nur noch die wenigsten. An die Bilder des Benetton-Feuers werden sich die meisten aber wohl bis an ihr Lebensende erinnern - ganz besonders Jos Verstappen, Paul Seaby und Steven Tee.

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