• 17. Dezember 2018 · 05:57 Uhr

Konspirative Formel-1-Thesen: Was die Experten sagen (1/2)

Hat Alonso bei seinem Rücktritt geflunkert? Warum hat Jean Todt RTL kritisiert? Marc Surer & Co. gehen den streitbarsten Themen des Jahres 2018 auf den Grund ...

(Motorsport-Total.com) - Was war das nicht für eine tolle Formel-1-Saison? Das packende WM-Duell zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel, der vielleicht letzte Sieg von Kimi Räikkönen, dazu Kracher-Grands-Prix wie jener in Baku: Selten war die Königsklasse des Motorsports so spannend wie im Jahr 2018.

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Fernando Alonso geht angeblich aus freien Stücken - oder etwa doch nicht? Zoom Download

Grund genug für uns, am Jahresende wieder das beliebte Format der "konspirativen Thesen" auszupacken. Und das sieht so aus: Wir stellen als Redaktion Behauptungen auf, sogenannte Thesen, deren Intention es ist, zur Diskussion anzuregen. Die Thesen bilden (ganz wichtig!) nicht zwangsläufig die Redaktionsmeinung ab.

Teil 1 unserer Thesen befasst sich mit allem, was neben dem Duell Hamilton vs. Vettel sonst noch passiert ist. Unser Experte Marc Surer, unser Vor-Ort-Reporter Dieter Rencken sowie unser Chefredakteur Christian Nimmervoll haben alle Thesen im Formel-1-Podcast "Starting Grid" gemeinsam aufgearbeitet und leidenschaftlich diskutiert.

Die Thesen-Show gibt's jetzt in unserem Radioplayer auch zum Nachhören in voller Länge. Die besten Auszüge haben wir natürlich aufgeschrieben. Viel Spaß beim Lesen von Teil 1!

These: Der Formel-1-Abschied von Fernando Alonso war nicht so freiwillig, wie er es darstellt. Hätte er ein Siegerauto bekommen, wäre er geblieben.

Alonso sagt, er ist müde von der aktuellen Formel 1, in der nur drei Teams gewinnen können. Dass er geht, sei seine eigene Entscheidung. Aber wäre er auch gegangen, wenn er in einem Siegerauto wie dem Mercedes sitzen würde? Es gibt viele, die das bezweifeln. Selbst sein Manager Flavio Briatore gibt zu, dass das Thema Formel 1 keineswegs auf immer und ewig ad acta gelegt ist: "Vielleicht kommen wir 2020 zurück."

Experte Surer hält die Darstellung vom freiwilligen Abschied für "Selbstschutz" seitens Alonso: "Er will nicht zugeben, dass ihn keiner mehr will. Zumindest von den Topteams." Ein Argument, das für die Richtigkeit der These spricht.

Fachmann Rencken verweist darüber hinaus auf eine interessante Facette von Alonsos Karriere: Bei allen Teams, für die der Spanier gefahren ist, ist der Teamchef rausgeflogen: "Flavio bei Renault, Domenicali und Mattiacci bei Ferrari, Dennis, Whitmarsh und Boullier bei McLaren. Alle weg." Ob "Spygate" 2007 bei McLaren oder "Crashgate" 2008 bei Renault: Alonso, argumentiert Rencken, "stand bei jedem Skandal im Zentrum".

Nur Zufall? "Kann sein", räumt Rencken ein. Aber er versteht, dass Red Bull an Alonso nicht interessiert war: "Wenn ich Christian Horner wäre, würde ich mir die Sache auch ganz genau überlegen."

These: McLaren wäre 2018 mit Honda-Motoren konkurrenzfähiger gewesen als mit Renault.

Jahrelang hat McLaren behauptet, eines der besten Chassis (wenn nicht das beste) der Formel 1 zu haben. Nur der Honda-Motor habe bessere Ergebnisse verhindert. Gleichzeitig schaffte Toro Rosso 2018 nach dem Wechsel von Renault zu Honda sehr achtbare Ergebnisse. Das lässt den Schluss zu, dass der Honda-Motor kaum schlechter sein kann als der Renault.

Surer kann der These etwas abgewinnen, denn: "Sie mussten einen anderen Motor ein- und das Auto damit umbauen. Hätten sie auf der Erfahrungsbasis weitermachen können, hätte das sicher besser ausgesehen."

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Dieter Rencken im Gespräch mit Ex-McLaren-Rennleiter Eric Boullier Zoom Download

Rencken findet, dass der Motor ohnehin nie das einzige Problem war, das McLaren hatte. Für ihn hat "in der Führung des Teams etwas nicht gestimmt". Allerdings glaubt er, dass Honda als McLaren-Partner nicht die gleichen Fortschritte wie mit Toro Rosso erzielt hätte: "McLaren hätte Honda nicht erlaubt, die Saison effektiv als Entwicklungsjahr zu nutzen, wie es Honda mit Toro Rosso machen konnte."

Weil 2018 bei Red Bull als Übergangsjahr für 2019 gesehen wurde. Dann wird bekanntlich auch Red Bull Racing mit Honda-Power an den Start gehen.

"In Melbourne", ergänzt Nimmervoll über McLaren, "haben sie gesagt: 'Das war unser schlechtestes Wochenende, von hier an kann es nur besser werden.' Genau das Gegenteil war der Fall. Von Melbourne an ging es nur noch rückwärts."

"Der McLaren-Mythos, dass man eines der besten Chassis hat und nur der Honda-Motor gebremst hat, der wurde dieses Jahr eindeutig entzaubert."

Der Niedergang von McLaren und Williams hat auch und vor allem damit zu tun, dass diese beiden Teams sich nicht mehr nur auf das Thema Formel 1 konzentrieren.

"Das sehe ich hundertprozentig so", stimmt Rencken zu. "McLaren hat in den 90ern, als sie den F1-Straßenwagen gebaut haben, sofort aufgehört zu gewinnen. Und sie haben nicht wieder gewonnen, bis die Produktion eingestellt wurde."

"Williams hat beschlossen, Williams Advanced Engineering zu gründen, und sofort haben sie aufgehört zu gewinnen. Als sie dann den Standort Katar geschlossen haben, hat Maldonado sofort in Spanien gewonnen. Ist das nur Zufall oder nicht? Ich glaube, in der Formel 1 muss man total fokussiert sein. Und das ist mit den ganzen Schwester- und Tochterfirmen schwieriger."

Der Gedanke, der hinter der These steckt: Jahrzehntelang haben sich McLaren und Williams auf ihr Kerngeschäft konzentriert: Formel-1-Rennen zu gewinnen. Aber McLaren baut inzwischen Sportwagen (mit McLaren Automotive), Tour-de-France-Fahrräder, die NASCAR-Einheitselektronik und sogar Solarpanele (mit McLaren Applied Technologies). Während Williams mit Williams Advanced Engineering, Williams Hybrid Power und Williams Heritage drei neue Geschäftsfelder erschlossen hat.

Die große Frage ist, ob die Diversifikation der einzige Grund für den sportlichen Niedergang ist. Surer glaubt nicht: "Ich sehe bei beiden Teams eine Führungsschwäche. Frank Williams ist nicht mehr hundertprozentig fit. Seine Tochter kriegt ein Kind. Ich glaube, da fehlt es an Führung. Und die zwei Amerikaner bei McLaren, die jetzt da sind (Zak Brown und Gil de Ferran; Anm. d. Red.): Ich weiß nicht, ob das die richtige Führung ist", sagt er.

Der Aufstieg des Sauber-Teams ist vor allem ein Verdienst von Frederic Vasseur.

Monisha Kaltenborn raus, Frederic Vasseur rein: Schon ging's bei Sauber aufwärts! Aber hängt das wirklich nur an dieser einen Personalie? "Tatsache ist, dass mit diesem Management-Wechsel von Kaltenborn zu Vasseur etwas passiert ist bei Sauber, dass sich Dinge geändert haben", meint Nimmervoll.

In einem Punkt stimmen alle drei Experten überein: Ein weiterer Schlüsselfaktor war die Partnerschaft mit Alfa Romeo und die damit einhergehende enge Verbindung zu Ferrari. Eigentlich - das haben viele längst vergessen - hätte Sauber 2018 ja mit Honda-Motoren an den Start gehen sollen.

"Vasseur hat beschlossen, er möchte nicht mit Honda fahren, hat seinen Vorstand überredet, den Honda-Vertrag zu kündigen und zu Ferrari zu gehen", erklärt Rencken. Eine Entscheidung, die sowohl das Titelsponsoring durch Alfa Romeo als auch die Verpflichtung von Supertalent Charles Leclerc zur Folge hatte. "Alles hing von dieser einen Entscheidung ab. Wenn Sauber bei Honda geblieben wäre, hätten sie das alles nicht geschafft", ist Rencken überzeugt.

Dazu kommt laut Surer: "Vasseur hat zu mir mal gesagt: 'Wir haben den besten Windkanal - aber keine Leute, die damit arbeiten können.' Das hat man im Laufe des Jahres einfach gesehen. Er hat gute aerodynamische Leute eingestellt, die teilweise erst während des Jahres angefangen haben zu arbeiten. Bei den ersten Rennen stand der Sauber immer noch hinten, hat dann aber während der Saison eine Steigerung erfahren."

Die These hält also: Ohne Management-Wechsel wäre der Sauber-Aufschwung nicht möglich gewesen.

Nico Hülkenberg hat bewiesen, dass Carlos Sainz bisher überschätzt wurde.

Experte Martin Brundle hat in der Vergangenheit mehrmals erklärt, dass Carlos Sainz seiner Meinung nach fast ebenbürtig mit Max Verstappen ist und eigentlich in ein Topteam gehört. Und mit dieser Meinung steht er nicht alleine da. Die nüchternen Fakten des Vergleichs mit Nico Hülkenberg sagen aber: 78:59 Punkte und 16:9 Qualifyings für den Deutschen.

"Hülkenberg hat Sainz gezeigt, wer der Meister ist."Marc Surer
Das kann zweierlei bedeuten. Entweder ist Sainz schlechter als angenommen - oder "Hülkenberg doch stärker, als der eine oder andere glaubt", wirft Nimmervoll ein. Surer nickt zustimmend: "Hülkenberg hat Sainz wirklich gezeigt, wer der Meister ist. Sainz ist ein guter Fahrer, aber kein Überflieger. Das wissen wir jetzt. Und an Hülkenberg sind schon viele gescheitert. Er ist eine Messlatte."

"Letztendlich", ergänzt Nimmervoll, "werden wir die Antwort darauf spätestens nächstes Jahr bekommen, wenn er dann Daniel Ricciardo als Teamkollege hat."

2018 hat Renault nicht auf die Ergebnisse geachtet, sondern im Hintergrund das Team aufgebaut. 2019 wird es mit neuer Fahrerpaarung richtig vorwärts gehen.

Dass ein relativ junges Werksteam ein bevorstehendes neues Reglement nutzt, um die aktuelle Saison mit Halbgas zu Ende zu fahren, dafür aber alle Weichen für die Zukunft richtig zu stellen, hat sich in der Geschichte der Formel 1 schon mehrmals gelohnt. Zuletzt 2013/14 für Mercedes - auch wenn die Regeländerung damals viel signifikanter war als das, was sich 2019 ändern wird.

Trotzdem: "Sie haben dieses Jahr kräftig aufgestockt, was Personal und so weiter angeht", sagt Surer. "Aber es braucht natürlich immer eine Weile, bis es greift. So gesehen kann die Tendenz eigentlich nur nach oben gehen. Ich traue denen das wirklich zu."


Fotostrecke: Top 10 2018: Die spektakulärsten Crashes

Rencken sieht indes den Bedarf nach einer "starken Führung". Weil seiner Meinung nach sonst die Gefahr besteht, dass es zu Spannungen zwischen Hülkenberg und Ricciardo kommen könnte.

Ob die These nun richtig ist oder falsch, kann nur die Zukunft zeigen.

Nachdem klar war, dass Red Bull 2019 zu Honda wechseln würde, hat Renault dem langjährigen Partner nur noch "B-Ware" geliefert. Das erklärt die vielen Motorprobleme, vor allem bei Daniel Ricciardo.

Helmut Marko war stets der Erste, der auch öffentlich gegen Renault gepoltert hat. Als serienweise Motoren verraucht sind, äußerten dann auch mal die Fahrer ihren Unmut. Da könnte man den Verdacht hegen, dass Renault mit Red Bull ein mieses Spiel gespielt hat, weil die Partnerschaft Ende 2018 ohnehin zu Ende gegangen ist. Eine Verschwörungstheorie, die der Prüfung der Experten standhalten kann?

Eher nicht. "Das sehe ich überhaupt nicht so", winkt Rencken ab. "Es gibt ein FIA-Reglement. Alle Kundenteams müssen den gleichen Motor bekommen wie das Werksteam - es sei denn, es wird explizit anders gewünscht. Red Bull hat beschlossen, welche Ausbaustufe sie zu welchem Zeitpunkt haben möchten. Das war eine freiwillige Entscheidung."


Fotostrecke: Die Erfolgsbilanz von Red-Bull-Renault

Surer kann sich sogar vorstellen, dass nicht alle technischen Defekte auf Renaults Kappe gehen: "Wenn ich mich recht erinnere, war es immer was anderes. Es sind verschiedene Dinge kaputtgegangen. Ich frage mich manchmal, ob man vielleicht auch beim Einbau geschlampt hat. Es sind zu viele Dinge schiefgegangen, die eigentlich nicht schiefgehen durften. Ich würde nicht eindeutig Renault die Schuld geben."

Was theoretisch eine Rolle spielen könnte: Früher fuhren sowohl Renault als auch Red Bull mit Benzin und Schmierstoffen von Total. Doch Red Bull ist jetzt bei ExxonMobil und Renault bei BP. "Kann sein, dass das eine Rolle gespielt hat", vermutet Rencken. "Wir wissen, dass diese Motoren sehr empfindlich sind, wenn es um Benzin und Öl geht."

Max Verstappens Trainingscrash in Monaco war in seiner persönlichen Entwicklung ein wichtiger Wendepunkt.

Kurz nachdem Max Verstappen im dritten Freien Training in Monaco am Schwimmbad in der Mauer gelandet ist, tauchten auf YouTube schon die ersten Videos auf, die zeigten, dass er den gleichen Fehler 2016 schon einmal gemacht hat. Der zu dem Zeitpunkt 20-Jährige wirkte in jener Phase der Saison ziemlich beratungsresistent, obwohl er sich schon ein paar Schnitzer geleistet hatte. Zum Beispiel eine ziemlich übermotiviert anmutende Kollision mit Sebastian Vettel in China.

"Zuerst", erinnert Nimmervoll, "hat er immer eine Abwehrhaltung eingenommen. Dann ist aber Monaco passiert. Und Monaco war relativ peinlich, denn ihm ist genau der gleiche Unfall zwei Jahre davor in genau der gleichen Session und genau der gleichen Kurve schon einmal passiert. Ich glaube tatsächlich, dass der Unfall in Monaco ein Punkt war, wo man intern dann zu ihm durchgedrungen ist und er einsichtiger wurde."

Zufall oder nicht, aber beim nächsten Rennen in Kanada musste die Verstappen-Entourage (Papa Jos und Manager Raymond Vermeulen) zu Hause bleiben. Das war angeblich schon lange so geplant. Tatsache ist: Von da an fuhr Verstappen viel abgeklärter - und lieferte eine astreine Saison ab. Was für unsere These spricht.

"Irgendwann musste er einsehen, dass seine Crasherei am Jahresanfang nicht gut war", sagt Surer - und ergänzt: "Mich erinnert Verstappen ein bisschen an Senna. Der hatte auch unnötige Unfälle, weil er einfach emotional gefahren ist." Aber: "Wenn der anfängt, perfekt zu fahren, mein Gott, dann wird er alles gewinnen!"

Der teaminterne Crash in Baku war Beleg dafür, dass Max Verstappen bei Red Bull etwas höher im Kurs stand als Daniel Ricciardo. Ansonsten hätte man es nicht so weit kommen lassen.

Mark Webber, so sagt man, wurde bei Red Bull nie ganz so heiß geliebt wie Sebastian Vettel. Weil das deutsche Wunderkind ganz hoch stand in der Gunst des mächtigen Motorsportkonsulenten Helmut Marko. Und es wird vermutet, dass sich die Vettel-Geschichte mit Max Verstappen wiederholt. Neben dem pfeilschnellen Holländer, so sagt man, gibt es keinen Platz für eine zweite Nummer 1 im Team.

"Ich finde, Christian Horner hätte eingreifen müssen."Dieter Rencken
Unsere These wirft in Wahrheit eine Frage auf: Hätte es beim Grand Prix von Aserbaidschan vor der verheerenden Teamkollegen-Kollision eine Anweisung zum Platztausch gegeben, wenn Ricciardo und nicht Verstappen vorne gelegen wäre? Viele vermuten das; unsere Experten wollen sich allerdings nicht hundertprozentig festnageln lassen.

In einem sind sich aber alle einig: "Da lag das Problem an der Boxenmauer", analysiert Rencken. "Ich finde, Christian Horner hätte eingreifen müssen."

Surer ist allerdings froh, dass er es nicht getan hat: "Für den Unterhaltungswert war es gut. Und sie sind nicht wirklich um die Weltmeisterschaft gefahren. Also wieso soll man dann Teamorder machen? Die Boxenmauer hätte eingreifen und den Crash verhindern können. Auf der anderen Seite bin ich sehr froh, dass sie eben keine Teamorder gemacht haben."

Esteban Ocon hat mit Toto Wolff bereits vereinbart, dass er 2020 im Mercedes sitzen wird, und nimmt sein zwischenzeitliches Formel-1-Aus deshalb so gelassen.

Dass sich Ocon wünscht, 2020 den Mercedes zu fahren, ist ebenso kein Geheimnis wie dass Wolff dem Franzosen eine große Karriere in der Formel 1 zutraut. Die große Frage ist: Wurde der Vertrag hinter den Kulissen bereits unterschrieben, und steht damit schon fest, dass Valtteri Bottas sein Cockpit am Ende der Saison 2019 räumen muss?

"Ich glaube nicht, dass die beiden schon einen Vertrag haben", betont Nimmervoll. Aber: "Man führt ihn ganz klar dahin. Was diese Konstellation verhindern kann, ist, wenn Bottas plötzlich aus seinem Dauerwinterschlaf erwachen und nächstes Jahr wie durch ein Wunder Kopf an Kopf mit Hamilton fahren sollte. Dann könnte das wackeln."

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Toto Wolff und Esteban Ocon: Ist alles längst unterschrieben für 2020? Zoom Download

Kollege Rencken indes glaubt "schon, dass etwas versprochen wurde". Vielleicht mit leistungsbezogenen Klauseln. So, wie es Ron Dennis 1993 mit Mika Häkkinen gemacht hat: "'Komm zu uns als Testfahrer. Du bist ins Team eingebunden. Und nächstes Jahr bist du garantiert Stammfahrer.' Das ist dann auch geschehen, und Häkkinen ist dann jahrelang bei McLaren geblieben." Und zweimal Weltmeister geworden.

Surer geht sogar noch einen Schritt weiter: Für ihn ist nicht ausgeschlossen, dass Ocon schon 2019 das eine oder andere Formel-1-Rennen fahren wird. Nicht gleich in Melbourne, aber vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt. Bottas hätte es seiner Meinung nach schon dieses Jahr verdient gehabt, rausgeschmissen zu werden.

"Dass Ocon da auf der Ersatzbank sitzt, ist für mich absolut ein Hinweis, dass sie ihn in einem Jahr einsetzen wollen. Oder vielleicht schon im nächsten Jahr. Wer weiß, was noch kommt", spekuliert der Schweizer.

FIA-Präsident Jean Todt hat RTL nicht "zufällig" in einem Interview kritisiert. Dahinter steckt ein Masterplan, entweder mehr Geld aus RTL rauszuquetschen oder einen neuen TV-Partner für Deutschland zu finden.

Das Interview des FIA-Präsidenten mit der 'Welt am Sonntag', in der er RTL für zu viel Werbung während der Formel-1-Übertragungen scharf kritisiert hat, war in Deutschland einer der großen Aufreger des Motorsport-Jahres 2018. Und viele fragen sich: Hat da wirklich nur der frustrierte Fan gesprochen, der das Rennen in Brasilien in Michael Schumachers Anwesen in der Schweiz gesehen hat - oder wollte der Präsident der FIA RTL aus irgendeinem Grund ganz bewusst einen Schuss vor den Bug setzen?

"Mir fällt schwer zu glauben, dass Todt, diesem intelligenten Mann, in einem Zeitungsinterview sowas, was in Deutschland für große Aufregung gesorgt hat, einfach rausrutscht", sagt Nimmervoll. Rencken ist anderer Meinung: "Ich glaube nicht, dass das so geplant war. Ich kann mir schon vorstellen, dass Todt einfach genervt war." Weil er die Formel 1 sonst, wenn er nicht gerade bei Michael Schumacher zu Besuch ist, werbefrei sehen kann.

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Jean Todt: Rutscht diesem Mann in einem Interview wirklich was heraus? Zoom Download

Fakt ist aber auch: "Todt hat mit den TV-Verträgen herzlich wenig zu tun", hält Nimmervoll fest. "Das ist nicht sein Entscheidungsbereich." Sondern jener von Liberty Media. Aber dort sitzt mit Ross Brawn ein alter Vertrauter des heutigen FIA-Präsidenten ...

Surer, der bei einem Sky-Comeback mutmaßlich als Co-Kommentator und Experte in den Paddock zurückkehren würde, versteht, warum viele Fans die Todt-Kritik als richtig empfinden: "RTL alleine ist für die eingefleischten Fans schwierig. Ich habe dieses Jahr auch ein paar Mal RTL geschaut, und ich muss schon sagen, die langen Werbepausen nerven einfach. Deswegen braucht es eine zweite Lösung in Deutschland. Für die wahren Fans, die alle Details sehen wollen."

Liberty Media hat die Formel 1 als Sport noch nicht dramatisch nach vorne gebracht. Aber Bernie Ecclestone hat damit wenigstens mehr Geld verdient.

"Das stimmt zu 100 Prozent", analysiert Rencken, auf dem kommerziellen Terrain der Formel 1 einer der weltweit führenden Experten. Der Hintergrund ist: Der Formel-1-Zirkus wird von Liberty zwar weiterentwickelt, und dafür sind Investitionen nötig. Aber große Ergebnisse dieser Investitionen sind noch nicht zu sehen, und unterm Strich bleibt erstmal weniger auf der finanziellen Einnahmenseite übrig. Was übrigens auch weniger Preisgeld für die Teams bedeutet.

"Sie bezahlen den Teams pro Quartal um etwa vier Prozent weniger als Bernie", rechnet Rencken vor. Er ist von Liberty "wirklich enttäuscht", denn: "Sie besitzen seit zwei Jahren die kommerziellen Rechte - und haben ehrlich gesagt absolut nichts geändert, außer dass Teams jetzt endlich ihre eigenen Videos auf Social Media stellen dürfen."

"Liberty bezahlt den Teams pro Quartal um etwa vier Prozent weniger als Bernie."Dieter Rencken
Es sei noch nicht einmal gelungen, neue Grands Prix unter Dach und Fach zu bringen: "Hanoi kommt erst übernächstes Jahr, aber an Hanoi war Bernie auch schon dran. Miami konnten sie nicht zum Abschluss bringen. Also was haben sie eigentlich geschafft? Sehr, sehr wenig." Und in Brasilien verdient die Formel 1 erstmal gar nichts mehr, weil die Verantwortlichen einen Formalfehler übersehen haben. Das kostet Millionen.

Surer plädiert für mehr Gnade mit Chase Carey & Co.: "Man muss ihnen schon ein bisschen mehr Zeit geben." Und er unterstreicht: "Wir haben mehr Zuschauer. Das ist vielleicht nicht zuletzt Libertys Verdienst." Außerdem ist er "überzeugt davon, dass sie mit Ross Brawn den besten Mann im Team haben, den man haben kann. Der wird das schon richten."

Nimmervoll fasst pragmatisch zusammen: "Die Worte und Absichten sind gut. Taten haben wir bisher noch nicht viele gesehen." Was, zugegeben, schwierig war, weil man das Grundgerüst aus der Ecclestone-Ära geerbt hat. "Spätestens 2021", sagt der Chefredakteur, "wird man Liberty an dem messen können, was sie getan haben."

Das sind unsere Experten:

Marc Surer: Der 67-jährige Schweizer ist vielen Fans als fachkundiger Co-Kommentator und Experte der Sky-Formel-1-Übertragungen bekannt. In seiner aktiven Karriere hat er 82 Grands Prix für Teams wie Ensign, ATS, Theodore, Arrows und Brabham bestritten, unter anderem als Teamkollege des dreimaligen Weltmeisters Nelson Piquet. Später war er außerdem Rennleiter für BMW im Tourenwagensport.

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Marc Surer führt als ehemaliger Formel-1-Fahrer unser Experten-Panel 2018 an Zoom Download

Dieter Rencken: Der 65-jährige gebürtige Südafrikaner, inzwischen mit belgischem Reisepass wohnhaft in Belgien (und trotzdem fließend in der deutschen Sprache), arbeitet seit 2007 als Vor-Ort-Reporter für Motorsport-Total.com. Seine internationale Reputation als Top-Journalist insbesondere für sportpolitische und kommerzielle Themen der Formel 1 erarbeitete er sich in den vergangenen drei Jahrzehnten bei weiteren renommierten Fachpublikationen wie Autosport und F1 Racing. Derzeit ist er außerdem für die Website RaceFans tätig.


Christian Nimmervoll: Der 36-jährige Österreicher ist seit 2003 als Chefredakteur für Motorsport-Total.com (plus Schwesterportale) verantwortlich. Davor war er (ab 1999) als Chefredakteur und später auch Gesellschafter bei der Internetplattform Daily F1 engagiert. In diesen Funktionen hat er die Portal-Berichterstattung von bisher 364 Grands Prix leitend koordiniert, zum Teil vor Ort an der Rennstrecke.

Der zweite Teil der konspirativen Thesen zur Formel-1-Saison 2018 erscheint am 19. Dezember.

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