• 06. Juni 2016 · 18:39 Uhr

FIA veröffentlicht Datenmaterial: Der Alonso-Unfall analysiert

Die FIA hat den Unfall von Fernando Alonso in Melbourne eingehend analysiert: Was beim Crash des Spaniers genau passiert ist und wie die Sicherheit verbessert wird

(Motorsport-Total.com) - Der Unfall von Fernando Alonso beim Formel-1-Saisonauftakt 2016 in Australien war ein bedeutender Moment in der Geschichte des Motorsports - und nicht nur, weil der Spanier fast unversehrt einem großen Crash bei 300 km/h entkommen konnte. Dieser Fakt an sich ist schon bemerkenswert, aber auch die Analyse des Unfalls ist eine Premiere für den Sport. Zum ersten Mal kamen alle neuen Sicherheitsmesssysteme für ein forensisches Bild zum Einsatz, das zeigen soll, was dem Fahrer und dem Auto bei einem solchen großen Unfall passiert.

Foto zur News: FIA veröffentlicht Datenmaterial: Der Alonso-Unfall analysiert

Der Unfall von Fernando Alonso in Melbourne wurde eingehend analysiert Zoom Download

Eine Highspeed-Kamera, die immer auf den Fahrer gerichtet ist, wurde vom ersten Rennen der Saison an in jedem Auto verbaut. Diese arbeitet nun in Verbindung mit einem kleinen Beschleunigungsmesser im Ohr des Fahrers, der die Kräfte am Kopf misst. Diese arbeiten wiederum mit einem Unfalldatenschreiber - im Grunde die Black Box der Formel 1 -, der alle externen Kräfte misst.

Kombiniert mit den verschiedenen Kameraperspektiven um die Strecke haben Sicherheitsforscher mehr Informationen als je zuvor, um zu bestimmen, was bei jeder Millisekunde eines Unfalls passiert. Dies ist bei der Entscheidung über zukünftige Bereiche der Sicherheitsentwicklung und -forschung von enormer Bedeutung.

Die Analyse des Alonso-Unfalls

Im Fall von Alonsos Unfall sind die gesammelten Daten sowohl in Sachen Details wie auch in Sachen Rückschlüsse bemerkenswert. Der McLaren-Pilot fuhr am Ende der DRS-Zone zwischen den Kurven 2 und 3 des Albert Parks in Melbourne auf das Heck von Esteban Gutierrez' Haas auf. Zu Beginn des Überholmanövers hatte er 313 km/h drauf und verzögerte beim Einschlag unmerklich auf 305 km/h, als sein rechter Vorderreifen auf das linke Hinterrad von Gutierrez knallte.

Foto zur News: FIA veröffentlicht Datenmaterial: Der Alonso-Unfall analysiert

Der Spanier blieb trotz des heftigen Unfalls beinahe unverletzt Zoom Download

Nach dem ersten Einschlag war Alonso rechte Vorderradaufhängung zerstört, und das Auto lenkte nach links in die äußere Wand. Der Aufprall auf die Mauer geschah mit dem vorderen linken Teil des Autos und führte zu einer lateralen Verzögerung von bis zu 45G, bei der hohe Beschleunigungskräfte auch bei den Messgeräten im Ohr aufgezeichnet wurden, was die Kräfte auf den Kopf des Fahrers demonstriert.

Die Highspeed-Kamera, die Videobilder des Fahrers in jeder Hundertstelsekunde aufzeichnet, hat gezeigt, dass Alonsos Helm während des Einschlags zweimal auf die linke innere Seite der Kopfstütze prallte. Dies stimmt mit zwei Spitzen überein, die auf dem Beschleunigungsmesser im Ohr erfasst wurden.

Das Auto prallte ab und schlitterte über den Kurs in Richtung Kiesbett. Da die vordere linke, vordere rechte und hintere rechte Aufhängung zerstört wurden, lehnte sich das Auto bei der Fahrt über das Gras heftig auf die linke Seite. Diese linke Seite grub sich in das Kiesbett ein, wodurch sich das Auto überschlug und in die Luft katapultiert wurde. Eine laterale Verzögerung von 46G wurde dabei aufgezeichnet.

Das Auto flog durch die Luft, rotierte um rund 540 Grad (1,5 Mal) und war dabei für 0,9 Sekunden ohne Bodenkontakt. Beim Landen wurde der erste Kontakt auf dem Boden durch die hintere Crashstruktur vorgenommen, wobei eine Längsbeschleunigung von 20G gemessen wurde. Das Auto drehte sich anschließend um sein Heck, bevor es fiel und auf der linken Motorenabdeckung kurz vor dem Reifenstapel zum Stehen kam. Alonso konnte aussteigen.


Fotostrecke: Horrorcrash in Melbourne: Alonso & Gutierrez

Dass er dabei relativ unversehrt blieb und nur kleinere Verletzungen erlitt, die seine Teilnahme am nächsten Grand Prix verhinderten, ist ein Zeugnis der Sicherheitsfeatures im Auto, die über die letzten 20 Jahre entwickelt wurden. Ein Bericht über den Unfall vom Institut für Motorsportsicherheit (Global Institute for Motor Sport Safety), einem Forschungspartner des FIA-Instituts, schließt: "Nach dem ersten Aufprall mit 305 km/h konnte Alonsos Auto drei Verzögerungen mit hohen G-Kräften und einer Flugphase ohne große Verletzungen für den Fahrer überstehen, was vornehmlich darauf zurückzuführen ist, dass eine Reihe von Sicherheitssystemen im Auto ihren Zweck gut erfüllt haben."

Sicherheit im Einsatz

Die gesammelten Daten des Unfalls werden dabei helfen zu versichern, dass andere Fahrer bei ähnlich schweren Unfällen ebenfalls davonkommen. Wie man es von einer Hightech-Meisterschaft erwartet, so wurde ein Großteil der Daten an Mediziner und Forscher an der Strecke in Echtzeit übermittelt. "Wir bekommen die Daten in Echtzeit während das Auto fährt. Wenn es verunfallt, dann kann uns der Unfalldatenschreiber ein Signal senden, um uns eine ungefähre Einschätzung von der Härte des Unfalls zu übermitteln", sagt Laurent Mekies, der Generaldirektor des Bereiches Forschung im Institut für Motorsportsicherheit.

"Wir bekommen dies im gleichen Zeitabschnitt wie alle anderen Parameter, damit wir es auf eine Linie mit der Geschwindigkeit des Autos, dem Bremspunkt des Fahrers und alles andere, was vom Auto aufgenommen wird, setzen können, was uns erlaubt, ein vernünftiges Verständnis der Dynamik des Autos vom Zeitpunkt des Kontrollverlustes bis zum eigentlichen Unfall und Aufprall zu bekommen."

Der Beschleunigungsmesser im Ohrstück des Fahrers ist mit einem Kabel mit der Elektronischen Kontrolleinheit (ECU) des Autos verbunden - zusammen mit dem Kabel des Unfalldatenschreibers. "Das ist die Schönheit des Systems", sagt Mekies. "Man bekommt alle Informationen auf einem für die Fahrer nicht-invasiven Weg, weil wir keine Extraverbindungen hinzufügen. Wir nutzen einfach das vorhandene Material und fügen unser eigenes hinzu. Das war im Grunde das Konzept, wie wir das Datensystem implementieren wollten."

Auf ähnliche Weise ist die Highspeed-Kamera im Cockpit hinter dem Lenkrad versteckt. Die Aufnahmen dieser Kamera können jedoch nicht in Echtzeit übermittelt werden, weil große Datenmengen bei 400 Frames pro Sekunde aufgenommen werden. Um jegliche Verluste zu vermeiden, werden diese Daten zweifach aufgezeichnet: auf der Kamera selbst und an die ECU übermittelt. Das Material hat sich für Sicherheitsforscher bereits als unbezahlbar herausgestellt.

Mekies sagt: "Wir wollen die genaue Dynamik auf Kopf, Hals und Schultern bei einem Crash mit hohen G-Kräften verstehen und wie diese mit anderen Teilen der Cockpitumgebung interagieren - also der Polsterung, dem HANS, den Gurten und allem anderen, was im Bereich des Fahrers sein kann. Die Kamera ermöglicht uns ein besseres Verständnis der exakten Kräfte auf den Kopf bei einer Dislokation oder der Dehnung des Halses, wie dies mit der Kopfstütze verbunden ist, wie die Kopfstütze performt und was wir tun müssen, um die nächste Generation an Cockpiteinrichtung zu produzieren."

Bei jedem großen Unfall werden alle Daten von der FIA ausgewertet und an die Forscher des Global Institute zur weiteren Analyse gesendet. "Eine der Hauptaufgaben des Global Institute ist die Untersuchung von Unfällen", sagt Mekies. "Das bedeutet, dass wir auf der einen Seite Unfälle untersuchen und auf der anderen Seite forschen, wie wir die Konsequenzen der analysierten Unfälle abmildern können. Das gibt uns einen vollen 360-Grad-Ansatz."

"Es ist auch sehr wichtig, dass alle vollständig verstehen, was wir erreichen wollen und warum wir all diese Sensoren an den Autos benötigen. Charlie Whiting gibt uns unschätzbare Unterstützung, indem er den Kommunikationsfluss mit Fahrern und Teams aufrecht hält und uns immer antreibt, den nächsten Schritt anzuvisieren." Diese Arbeit ist aber nicht nur auf die Formel 1 beschränkt. Die FIA hat kürzlich eine weltweite Unfalldatenbank gestartet, bei der jede Serie Daten von großen Unfällen einspeisen kann. Das Global Institute analysiert die Daten und gibt Empfehlungen an zugehörige Meisterschaften.

Analysetools

Beschleunigungsmesser im Ohr Diese kleinen Akzelerometer sind in Silikongel untergebracht und designt, um im Gehörgang des Fahrers bei einem Unfall präzise die Beschleunigung auf den Kopf zu messen. 2014 in der Formel 1 eingeführt, arbeiten sie in Kombination mit den Unfalldatenschreibern, die die Kräfte auf das Auto messen und enorm wichtige Informationen bereitstellen. Nach wenigen Jahren der Forschung - in denen man die Beschleunigungsmesser dazu gebracht hat, Kräfte bis zu 400G zu messen - wurden die Geräte ausprobiert und im Spitzenmotorsport eingeführt.


Highspeed-Kamera Diese Kamera im Cockpit wurde 2016 eingeführt und filmt den Fahrer mit bis zu 400 Frames pro Sekunde. Die aufgenommenen Daten geben akkurate Informationen wieder, was mit einem Fahrer bei einem Unfall passiert, die von der vorherigen Technologie vielleicht verpasst wurden. Diese können dabei helfen, das medizinische Personal über mögliche Verletzungen zu informieren.

Das Forschungsteam beim Global Institute hat mit Formel-1-Ingenieuren und dem Automobilzulieferer Magneti Marelli zusammengearbeitet, um ein Prototyp-System zu erschaffen, das Bilder in Echtzeit auf den Speicher der Black Box aufnimmt. Dieser wurde extra designt, um die Kapazität und Verarbeitungskraft zu besitzen, um Videodaten aufzunehmen und zu speichern. Die entwickelte Kamera ist zwölf Millimeter breit, 25 Millimeter hoch und rund 80 Millimeter lang - ungefähr halb so groß wie ein Smartphone. Die Spezifikationen wurden so designt, sodass die Kamera nahtlos in das Cockpit eines Formelboliden passt.


Unfalldatenschreiber Unfalldatenschreiber nehmen Daten über die Performance des Autos bei einem Unfall auf. Diese können von Forschern heruntergeladen und interpretiert werden, um zu untersuchen, wie die Sicherheitsgeräte während eines Aufpralls reagiert haben. Sie helfen Forschern dabei zu verstehen, wie das Sicherheitsequipment arbeitet, und ermöglichen ihnen, die Grenzen der Verletzungstoleranz eines Fahrers vollständiger zu erfassen. Durch die Zusammenarbeit mit Beschleunigungsmessern und Highspeed-Kameras werden größere und vollständigere Daten erfasst, was ein besseres Bild des Unfalls gibt. Alle Daten werden dann in die weltweite Datenbank gespeist.

Obwohl die Formel 1, die Rallye-WM und weitere große Serien bereits seit einiger Zeit Unfalldatenschreiber benutzen, haben die hohen Kosten einen weitläufigen Einsatz in kleineren Serien bislang verhindert. Aber nach Untersuchungen durch das FIA-Institut, die die Kosten erfolgreich senken konnten, wurde das System ab 2015 in allen Formel-4-Meisterschaften auf der Welt vorgeschrieben.

Foto zur News: FIA veröffentlicht Datenmaterial: Der Alonso-Unfall analysiert

In Zukunft könnten Fahrer im Auto noch weiter verkabelt werden Zoom Download

Wie Mekies in Relation zu den Highspeed-Kameras sagt: "Ich spreche ungern von einem kompletten Bild, weil wir zwar einen weiteren Schritt gemacht haben, es aber danach noch weitere Schritte geben wird. Das ist eine Aufgabe, die niemals aufhört. Dennoch haben wir einen wirklich entscheidenden Schritt gemacht." Der nächste Punkt sieht Biometrie vor: Fahrerdaten wie Herzfrequenz, Körperwärme und sogar Schweißlevel. "Ich hoffe, dass wir noch vor Ende der Saison etwas an den Fahrer machen können - zumindest testweise. Biometrische Daten werden uns dabei helfen, den Zustand des Fahrers vor, während und nach dem Unfall zu bewerten."

Zudem gibt es Pläne, in Zukunft mehr Kameras auf den Fahrer zu richten. Die Formel 1 wird einen Cockpitschutz einführen, der weitere Möglichkeiten für eine Kamera über dem Fahrer schafft. Die Nützlichkeit dieser Daten für die Fahrer wird kein Ende nehmen. "Man könnte sich morgen eine Million Dinge vorstellen", so Mekies. "Man könnte sich etwa vorstellen, dass wir die Belastungen auf den Oberkörper der Fahrer durch die Sicherheitsgurte schätzen. Es wird niemals aufhören, genau wie Sicherheitsforschung niemals aufhören wird. Wir werden die Grenzen weiter verschieben, um ein tiefergehendes Verständnis zu bekommen."

Fotos & Fotostrecken
Foto zur News: Formel-1-Mittelfeld-WM: So spannend wäre es  2024 ohne die fünf Topteams ...
Formel-1-Mittelfeld-WM: So spannend wäre es 2024 ohne die fünf Topteams ...
Foto zur News: Schanghai: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion
Schanghai: Die Fahrernoten von Marc Surer und der Redaktion

Foto zur News: Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1
Alle Sieger von Sprintrennen in der Formel 1

Foto zur News: F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
Samstag

Foto zur News: Formel-1-Qualifying: Modus im Wandel der Zeit
Formel-1-Qualifying: Modus im Wandel der Zeit
Folge Formel1.de
Videos
Foto zur News: Stroll & Seargant fahren F1, Mick nicht: Ist das unfair, Ralf Schumacher?
Stroll & Seargant fahren F1, Mick nicht: Ist das unfair, Ralf Schumacher?
Foto zur News: Charlie Wurz: Der nächste Österreicher in der Formel 1?
Charlie Wurz: Der nächste Österreicher in der Formel 1?

Foto zur News: Würde Red Bull auch mit dem 2023er-Auto gewinnen?
Würde Red Bull auch mit dem 2023er-Auto gewinnen?

Foto zur News: Danner: "Was Toto sehr fehlt, ist Niki Lauda"
Danner: "Was Toto sehr fehlt, ist Niki Lauda"
Formel1.de auf Facebook

Werde jetzt Teil der großen Community von Formel1.de auf Facebook, diskutiere mit tausenden Fans über die Formel 1 und bleibe auf dem Laufenden!

formel-1-countdown
Anzeige InsideEVs