• 17. Februar 2016 · 15:49 Uhr

Gary Anderson: Wie sich F1-Teams auf die Tests vorbereiten

Formel-1-Experte Gary Anderson erklärt, auf was man bei Testfahrten besonders achtet, welchen Stellenwert Tests bei Teams haben und was dabei genau passiert

(Motorsport-Total.com) - Es sind nur noch wenige Tage bis zum Beginn der Formel-1-Testfahrten in Barcelona. Die Teams arbeiten derzeit krampfhaft an den letzten Vorbereitungen. Als ehemaliger Technischer Direktor, der die Prozesse oft überwacht hat, beantworte ich Schlüsselfragen zur kritischen Phase der Saison.

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Formel-1-Experte Gary Anderson gibt Einblicke in den Testalltag Zoom Download


Zu welchem Zeitpunkt im Designprozess des Autos hat man erstmals etwas Physisches vor Augen? Für das bestmögliche Paket zum Start der Testfahrten beginnt man mit dem Datum, an dem das Auto in den Lkw geladen werden muss. Von dort kann man zurückrechnen, um einen exakten Zeitplan für den Bau des Boliden zu bekommen. Normalerweise dauert er eine Woche, mit 24-Stunden-Schichtarbeit lässt es sich dramatisch reduzieren.

So erhält man das Datum, an dem die Komponenten für den Zusammenbau fertiggestellt sein müssen. Die Herstellung der Komponenten diktiert den Zeitpunkt, wann die Zeichnungen von der Design-Abteilung geliefert werden müssen.

Natürlich müssen die Teile mit langen Vorlaufzeiten, wie Monocoque oder Getriebegehäuse, zuerst freigegeben werden. Ihre Herstellung benötigt bis zu zwölf Wochen. Wird das Auto also in der ersten Februarwoche zusammengebaut, müssen die Zeichnungen Ende Oktober fertig sein.


Wie besteht man einen verpflichtenden Crashtest? Crashtests können immer unerwartete Überraschungen bringen. Detaillierte Analysen reduzieren Risiken, jedoch ist jede Analyse nur so gut wie die Daten, die man verwendet. Um das richtige Verhältnis zwischen Steifheit, Festigkeit und Gewicht für die einzelnen Komponenten zu erhalten, muss man immer ans Limit gehen. Das ist nicht einfach.

Eine einzige Panne bei einem Chassis-Crashtest kann bis zu einem Monat kosten. Die Teams produzieren daher zwei Chassis-Formen und zwei mehr oder weniger hintereinander: eines für den Crashtest und eines für den Autobau. Nicht nur Crashtests können die Mannschaften zurückwerfen, denn es gibt auch andere Belastungs- und Verformungstests der Komponenten. Die Aufhängung, Vorder- und Heckflügel sowie Unterboden und Bodenwanne müssen ebenfalls auf den Prüfstand. Sollte ein Teil davon durchfallen, muss es neu designt und hergestellt werden. Das kann schnell ein Zeitpolster auffressen.


Warum ist das erste Anlassen des Motors so entscheidend? Das so genannte "Fire-up" ist ein Meilenstein. Die Mehrheit der Systeme - Öl, Wasser, Benzin, Hydraulik und die heutzutage besonders wichtige Elektronik - können abgesegnet werden. Ist das nicht möglich, können Probleme, die aufgetaucht sind, behoben werden. Passiert alles ohne Komplikationen, hat jeder ein kleines Lächeln auf den Lippen.

Es können viele Probleme auftreten. Eines, an das ich mich besonders gut erinnere: Jordan stieg von Hart-Motoren Ende 1994 auf Peugeot um. Wir haben das Auto angelassen, hatten aber keinen hydraulischen Druck. Die Hydraulikpumpe war am Ende der Nockenwellen befestigt, auf dem Prüfstand hatte noch alles wunderbar funktioniert.

Am Auto hatte es auch funktioniert. Nach längerem Überlegen und Überprüfen sind wir darauf gekommen, dass die Nockenwellen beim Peugeot-Motor in die andere Richtung rotierten als beim Hart-Motor. Wie dumm bin ich mir wohl vorgekommen?


Fotos: Pirelli-Reifentest in Le Castellet


Was war dein schwierigster Bau eines Autos? In der Vergangenheit stand der Bau eines Autos auf der Tagesordnung. Als ich in den Siebzigerjahren in der Formel 1 begann, war der Autobau auch tatsächlich der Bau des Autos - besser gesagt die Herstellung. Prinzipiell waren es zwei Mechaniker plus eine Handvoll Leute, die den Wagen produzierten.

Die Dinge haben sich in den vergangenen 40 Jahren dramatisch verändert. Nun geht es hauptsächlich um untergeordnete Baugruppen. Die Fertigung des Getriebes oder der Lenkung - alles kommt von verschiedenen Abteilungen, die zuvor verschiedene, unabhängige Prüfstandtests durchlaufen haben, bevor etwas ans Auto geschraubt wird.

Einer der frustrierendsten Autobaus war, als wir von Peugeot Ende 1997 auf Mugen-Honda-Motoren umgestellt haben. Das Auto wurde ohne gröbere Probleme gebaut, jedoch war das Elektronik-Paket, das von einem außenstehenden Unternehmen für Honda gefertigt wurde und Motor sowie Chassis kontrollierte, unzureichend.

Wir haben ein paar Testfahrten in Silverstone abgehalten, jedoch ohne Nutzen. Das System schien einen eigenen Sturkopf zu haben. In einer Nacht rief ich aus Verzweiflung bei TAG Electronics, die das Peugeot-System produzierten, an und innerhalb einer Woche hatten sie ein Paket geliefert, das den Vorgaben entsprach und schon fuhren wir.


Welche Ziele gibt es beim Testen? Beim Testen geht es darum, das Auto zu verstehen - mit allen positiven und negativen Eigenschaften. Jedes Auto hat seine eigene DNS. Sie kann man nicht ändern. Es ist allerdings sehr wichtig, sie zu verstehen, wenn man das Beste von dem herausholen möchte, was man zur Verfügung hat.

Bei den Testfahrten fuhr man meist blind auf die Strecke, dann ging man die verschiedensten Abstimmungen am Auto durch, um die Stärken und Schwächen herauszufinden.

Heute wird das bereits in den Simulatoren durchgespielt. Man könnte sagen, dass heute viel mehr getestet wird, weil die Teams ihre Simulatoren rund um die Uhr bedienen. Das erlaubt es ihnen, mit einem besseren Verständnis für die Anforderungen der Abstimmung zu den ersten Testfahrten zu fahren.


Fotostrecke: Formel-1-Test 2015: Jerez vs. Barcelona

Wie plant man die ersten Testfahrten? Beim ersten Test geht es darum, zu überprüfen, ob das Auto das leistet, was die Simulationen vorhergesagt haben. Die mechanische Grundabstimmung wurde optimiert. Es benötigt anschließend ein bisschen Feinabstimmung, sie hat in der ersten Woche aber nicht Priorität.

Wir hören viel von Aero-Tests, die der wichtigste Teil zur Optimierung der Leistung des Chassis sind. Die Teams haben allerlei Messinstrumente zur Ermittlung des Luftstroms und der Luftdrücke im Gepäck - viele von diesen Antennen, Sensoren und Fühlerchen kosten mehr als einige der Formel-1-Autos, die ich früher designt habe!

Sie führen Testfahrten mit konstanter Geschwindigkeit auf Geraden durch, bevorzugt mit zwei oder drei verschiedenen Richtungen auf jeder Runde, um den Einfluss des Windes zu reduzieren. Während dieser Testfahrten messen sie auch die Last auf den Teilen der Aufhängung. Die Daten werden mit den in der Theorie ermittelten verglichen, um sicherzustellen, dass das Auto keine ungewöhnlichen Charakteristiken aufweist. Im Laufe der Woche entdeckt man möglicherweise potenzielle aerodynamische Probleme. Die Zeit, um solche Ungereimtheiten vor dem ersten Rennen auszubessern, ist knapp, also muss man diese möglichst früh erkennen.


Wie fühlen sich diese ersten Runden an? Wie schnell merkt man, ob ein Auto gut oder schlecht ist? Diese ersten Runden mit einem neuen Auto fühlen sich ein bisschen an, als wäre man Zeuge einer Geburt. Es ist dein neues Baby und man weiß ziemlich schnell - eben wie bei einem Kind - ob alles okay ist. Oder nicht.

Kann der Fahrer einen Versuch über fünf gezeitete Runden fahren, wird er ungefähr wissen, wie sich das Auto anfühlt. Man kann das Auto nicht bändigen. Man muss ihm seinen eigenen Willen zugestehen. Beachtet man die Benzinmenge, mit der der Fahrer unterwegs ist, kann er ein gutes Gefühl von der Balance und der möglichen Rundenzeit bekommen. Beides lügt niemals. Man muss sich nur ansehen, als Brawn GP 2009 wie Phoenix aus der Asche kam . Die Truppe hatte sofort das Tempo - sie waren so schnell, dass die anderen Teams meinten, Brawn wäre unter dem Mindestgewicht.


Wie anstrengend sind Testfahrten im Vergleich zu Rennwochenenden? Testfahrten sind lange, harte Tage. Und am Ende beginnt eigentlich erst die Arbeit. Die Teams arbeiten mit einem Schichtsystem. Die Jungs, die das Auto am Tag in Stand halten, übergeben an eine zweite Gruppe, die die Arbeiten in der Nacht durchführt. Zehn Stunden pro Tag sind genug für jeden. Erwartet man vom Personal mehr, steigt das Risiko für Fehler stark.


Wie funktionieren Rennsimulationen und was nützen sie? Rennsimulationen sind eigentlich wichtiger als Tests mit einer schnellen Runde. Es sind die kleinen Dinge, die einen im Stich lassen können. Man muss ein komplettes Rennwochenende simulieren, das beinhaltet auch die Einwirkungen von Hitze beim Stehen in der Startaufstellung oder beim Boxenstopp. Außerdem entsteht ein besseres Verständnis dafür, wie das Prozedere abläuft und wie viel Zeit einzelne Dinge beanspruchen.


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Technikchefs behaupten oft, der Konkurrenz nicht zu viel Aufmerksamkeit zu widmen. Das ist aber bestimmt nicht ganz richtig, oder? Man muss alles berücksichtigen. Wenn jemand das behauptet, glaube ich ihm nicht. Dein Wettkampf ist dein Wettkampf. Es zählt nicht die Rundenzeit, sondern einzig und allein, dass man schneller und besser ist als die Konkurrenz.

Jedes Team hat ein, zwei Personen, die sich jede Rundenzeit, eigentlich jede Sektorenzeit der anderen Autos ansehen und daraus ein Leistungsmodell bauen. Das wird mit dem eigenen Auto verglichen und dann abgeleitet, wo man besser und wo man schlechter ist.

Außerdem misst man die Geschwindigkeit der anderen Autos an verschiedenen Stellen der Strecke. Die Daten werden dazu verwendet, die Beschleunigung einzuschätzen und von der Antriebseinheit abzuleiten. Das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der Testfahrten. Man weiß ziemlich genau Bescheid über die eigene Performance, aber erst durch die Tests kennt man auch jene der Konkurrenz.

Erzählt dir also jemand, dass man sich über die Leistung der anderen im Vergleich zur eigenen keine Gedanken macht und dass man einfach mit seinem eigenen Programm weitermacht, dann hat dieser jemand meist ein gravierendes Problem.

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