• 27. Oktober 2015 · 08:11 Uhr

1964: Ein Mexiko-Grand-Prix für die Ewigkeit

Was für ein Showdown: Jim Clark verliert die WM auf den letzten Metern, John Surtees wird erster Champ auf zwei und vier Rädern und hält Ferrari in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Die dritte Ausgabe war nicht nur der aufregendste Grand Prix von Mexiko der Geschichte, sondern auch eine der denkwürdigsten Titelentscheidungen der Formel 1: das WM-Finale in Mexiko-Stadt im Jahr 1964. Von Kennern des Grand-Prix-Sports wird es noch heute in einem Atemzug mit Interlagos 2008 genannt, als sich Felipe Massa bei der Zieldurchfahrt als Weltmeister wähnte, dann aber Lewis Hamilton auf den letzten Metern doch noch alles klar machte.

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Ex-Motorrad-Champion John Surtees holt im blau-weißen Ferrari den Formel-1-Titel Zoom Download

Oder mit Adelaide 1986, als bei Williams-Pechvogel Nigel Mansell der Reifen platzte und Teamkollege Nelson Piquet einen Sicherheitsstopp einlegen musste, wodurch McLaren-Ass Alain Prost überraschend den Titel abstaubte.

Nur war die Formel 1 damals noch einen Tick verwegener, und die Piloten wurden nicht über Boxenfunk ferngelenkt. Und mit John Surtees schrieb ein 30-jähriger Brite an dem Ort Geschichte, an den die Königsklasse des Motorsports nun nach 23 Jahren Pause zurückkehrt. Er krönte sich zum ersten und bislang einzigen Piloten, der sowohl Motorrad- als auch Formel-1-Champion wurde.

Dreier-Stechen um den Titel: Surtees gegen Hill und Clark

Dabei geht der als Technikfuchs und akribischer Arbeiter bekannte Surtees gar nicht als absoluter Top-Favorit in das Finale. Als der gilt nämlich der britische Gentleman Graham Hill, der für BRM startet und die WM fünf Punkte vor Ferrari-Pilot Surtees anführt. Der Schotte Jim Clark liegt als Außenseiter neun Punkte zurück. Er braucht einen Sieg, für den es genau neun Zähler gibt, und etwas Mithilfe seiner Rivalen für die Titelverteidigung.

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High Noon in Mexiko-Stadt: Graham Hill (l.) führt in der WM vor John Surtees Zoom Download

Trotz seiner schwierigen Ausgangssituation läuft zunächst alles für Clark: Das Ausnahmetalent zeigt sich in bestechender Form und setzt mit der Pole-Position seine Rivalen unter Druck - er ist um eine Sekunde schneller als der Zweitplatzierte Dan Gurney im Brabham. Alles andere als gut läuft es hingegen für Surtees, der an einem grippalen Infekt leidet und hinter seinem Teamkollegen Lorenzo Bandini nur Vierter wird. Sein Ferrari-V8-Motor kommt auf 2.000 Metern Seehöhe nicht recht auf Touren. Hill kommt gar über Rang sechs nicht hinaus.

Die Spannung ist enorm - und Hill appeliert vor dem Rennen noch einmal an seine Kameraden. "Ich fahre bereits fünf Jahre lang gegen Jim Clark und John Surtees", schreibt der damals 35-Jährige im 'Daily Express'. "Wir wirken vielleicht wie Todfeinde, aber nach der Zielflagge sind wir in Wahrheit gute Freunde. Immer wieder liegt unser Leben in der Hand des anderen, denn wenn es eng wird, müssen wir uns auf die Fähigkeiten des anderen verlassen."

Hill erlebt Brillendrama, bei Surtees streikt der Motor

Im Rennen erlebt Lotus-Pilot Clark dann einen Auftakt nach Maß: Er nutzt die Pole und setzt sich an der Spitze ab, während sich dahinter bereits Dramen abspielen. Top-Favorit Hill reißt unmittelbar vor dem Start das Band seiner Brille, wodurch er den Start komplett verpatzt und auf Rang zehn zurückfällt.

Auch Surtees fiel das Herz in der ersten Runde beinahe in die Hose. "Beim Start des Rennens lief der Motor plötzlich nicht mehr auf acht Zylindern", erinnert sich der heute 81-Jährige gegenüber 'auto motor und sport'. "Ich fiel bis auf die 13. Stelle zurück." Als das Triebwerk dann auch noch überhitzt, scheint das Rennen für ihn gelaufen.

Doch es geschieht ein kleines Wunder: Durch das Überhitzen läuft der Motor plötzlich wieder auf allen acht Zylindern, und Surtees kommt wieder in Schuss. "Dann begann ich mit meiner Aufholjagd, die mich hinter meinen Teamkollegen Lorenzo Bandini und Graham Hill brachte", erzählt er. Vor ihm tobt ein heißes Duell, das er irgendwie überwinden muss, denn Hill liegt zu diesem Zeitpunkt bereits wieder auf der dritten Position, wäre also zu diesem Zeitpunkt Weltmeister.

Surtees-Teamkollege Bandini zerstört Hills Rennen

Erneut ist das Schicksal auf Surtees' Seite: Hill und Verfolger Bandini kollidieren in der Haarnadelkurve - der italienische Ferrari-Pilot erweist seinem Teamkollegen Surtees dabei hervorragende Dienste und demoliert die Auspuffanlage von Hills BRM. Der Brite muss zu mehreren Reparaturstopps an die Box und wird aussichtslos zurückgeworfen. Jetzt müssten schon Clark und Surtees in größere Probleme geraten, damit der Vater von Michael Schumachers späterem Rivalen Damon Hill doch noch seinen zweiten Titel sichern kann.

War es ein absichtliches Manöver, mit dem sich Bandini zum Ferrari-Helden aufschwingen wollte? Surtees nimmt seinen Teamkollegen in Schutz und schildert die heikle Situation, die ihm in die Hände spielte: "Graham hatte zwei Ferrari im Rückspiegel. Er wusste gar nicht, wo er zuerst hinschauen sollte und hat versucht, seine Linie so zu wählen, dass ihn keiner von uns austricksen konnte."

Surtees saß beim Crash in der ersten Reihe: "Als wir im Dreierpack auf die Haarnadel zuflogen, konnte ich sehen, wie Graham die Innenspur blockierte und Lorenzo außen angriff. Am Kurvenausgang kreuzten sich ihre Wege, weil Graham nach außen getragen wurde und Lorenzo innen in die Lücke stoßen wollte. Sie stießen zusammen, und ich tauchte innen durch."

Clark verpasst um wenige Kilometer den WM-Titel

Trotz der glücklichen Fügung hat Surtees nach wie vor ein großes Problem vor sich: Jim Clark. Der Schotte führt mit 17 Sekunden Vorsprung auf Gurney, während er selbst hinter seinem Teamkollegen Bandini nur Vierter ist. Nun kommt ihm der Defektteufel zur Hilfe: Clarks Motor läuft neun Runden vor Schluss plötzlich unrund, er verliert Öl.

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Jim Clark sah bis wenige Kilometer vor dem Ziel wie der sichere Champ aus Zoom Download

Der Leader kämpft, versucht irgendwie, seinen Lotus-Boliden ins Ziel zu tragen - aber vergebens: In der letzten Runde bleibt der damals 28-Jährige am Streckenrand liegen. Jetzt überschlagen sich die Ereignisse: Plötzlich scheint der Titel dem außerhalb der Punkteränge liegenden Hill in die Hände zu fallen, doch an der Boxenmauer erfasst die Ferrari-Crew die Situation blitzschnell. Als Bandini durchfährt, geben ihm die Mechaniker hektische Handzeichen, er solle Surtees vorbeilassen. Und der Italiener spielt erneut den Helden für Enzo Ferrari.

Er lässt seinen Teamkollegen Surtees vorbei, der hinter Gurney Zweiter wird und wegen der Steichresultate Hills um ein Pünktchen den Titel holt. Dieser beweist in der düsteren Stunde Ironie. "Lorenzo Bandini war heute jede Lira seines Gehalts wert", richtet er dem Ferrari-Teams aus. Und wird dem Italiener - ganz der Gentleman - zu Weihnachten per Post ein Fahrlehrbuch schicken.

Wie Bandini endgültig zum Königsmacher wird

Surtees ist zum Zeitpunkt, als er die Ziellinie passiert, nicht einmal bewusst, dass er gerade eben seinen einzigen Formel-1-WM-Titel holte. "Erst als ich an die Boxen zurückkam, sah ich meinen Chefmechaniker Borsari mit einem breiten Grinsen und der Ferrari-Flagge", erzählt Surtees. "Da wusste ich, dass ich den Titel hatte."

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Hektische Schlussphase: Es dauert eine Weile, ehe Surtees den Triumph realisiert Zoom Download

Als Tüpfelchen auf dem i befindet sich Prinz Phillip bei diesem denkwürdigen britischen Titelduell im Fahrerlager von Mexiko-Stadt, weil er durch Zufall gerade einen Staatsbesuch in Mexiko abhält - und ist einer der ersten Gratulanten des ersten Weltmeisters auf zwei und vier Rädern.

Der Prinzgemahl von Englands Königin Elizabeth II. tröstet aber auch die traurigen Verlierer. "In diesem Geschäft benötigt man viel Glück", sagt er zu Clark, der niedergeschlagen antwortet: "Mehr Pech kann man nicht haben. Ich bin der moralische Sieger, aber mit moralischen Siegen gewinnt man keine Weltmeisterschaft."

Verhinderte Weltmeister Surtees Ferrari-Ausstieg?

Surtees, der den 50. Jahrestages des größten Triumphs seiner Karriere 2014 mit einer Flasche Champagner feiert, sieht sich ebenfalls als verdienter Champion. Sein Titel hatte möglicherweise sogar historische Auswirkungen: Der legendäre Ferrari-Boss Enzo Ferrari hatte nach zwei mäßig erfolgreichen Jahren mit nur einem Sieg immer wieder mit einem Rückzug aus der Formel 1 gedroht - sein Herz schlug damals mehr für die 24 Stunden von Le Mans.

Zudem zerstritt er sich mit dem italienischen Motorsportverband, weshalb Surtees' Bolide beim WM-Finale im unüblichen blau-weißen Farbschema des US-amerikanischen Teams von Luigi Chinetti an den Start gegangen war. Mit dem WM-Titel versöhnte Surtees den "Commendatore" wieder mit der Königsklasse des Motorsports. Die Ausstiegsdrohungen verstummten daraufhin wieder.

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