• 27. März 2015 · 16:03 Uhr

Technikchef James Allison: Wie Ferrari die Kurve kratzte

Technikchef James Allison erklärt ausführlich, wieso Ferrari dieses Jahr deutlich stärker als 2014 ist, wer welchen Anteil hat und wieso Mercedes nicht unerreichbar ist

(Motorsport-Total.com) - Bei Ferrari weht ein frischer Wind. Das ist überall spürbar - bei den Fahrern, bei den Bossen, bei der Mannschaft und auch bei Technikchef James Allison. Der Brite wirkt nach dem gelungenen Saisonstart gelassen und offen wie noch selten in seiner etwas mehr als eineinhalbjährigen Amtszeit bei der Scuderia.

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Ferrari hat sich diese Saison zum ersten Mercedes-Jäger gemausert Zoom Download

Kein Wunder, denn nach den Turbulenzen des vergangenen Jahres ist nun endlich Ruhe in Maranello eingekehrt. Und laut der 'Gazzetta dello Sport' investierte der Konzern soeben 100 Millionen Euro ins Team, damit Mercedes abgefangen werden kann. Vor einigen Jahren hatte Niki Lauda beim Daimler-Vorstand das Budget für das stagnierende Silberpfeil-Team aufstocken lassen, der Rest ist Geschichte...

"Von den Investitionen haben wir zuletzt stark profitiert", sagt Technikchef Allison auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com'. In den vergangenen Jahren war man nach Köln zu TMG und dann nach Hinwil zu Sauber ausgewichen, damit der Windkanal in Maranello generalüberholt werden konnte.

Umstrukturierung abgeschlossen

Offensichtlich mit Erfolg. "Der Windkanal, der jetzt bei uns so gut funktioniert, ging im November 2013 wieder in Betrieb", blickt Allison zurück. "Durch das neue Antriebsreglement haben wir viel in die Prüfstände investiert, und diese Investition hält weiter an, denn dafür wird man belohnt. Ferrari wird also weiterhin ein gutes Budget haben, und das ist eine der Grundlagen, um in der Formel 1 konkurrenzfähig zu sein."

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James Allison kam in einer Zeit des Umbruchs zu Ferrari Zoom Download

Auf Personal-Ebene sind laut Allison keine Änderungen geplant, "solange wir Leistung bringen". Und davon geht der Technikchef aus. "Der Eindruck, der in Melbourne entstand, fiel glaube ich ein bisschen zu unseren Ungunsten aus", erklärt er, warum er trotz des starken Auftakts so zuversichtlich ist. "Wir hätten im Qualifying vor Williams sein müssen und wären dann insgesamt um 15 bis 20 Sekunden schneller gewesen."

Zumal das Team derzeit mit Volldampf entwickelt, um sich als erster Mercedes-Verfolger zu etablieren. "Wir haben viele Entwicklungen in der Hinterhand, die wir so rasch wie möglich einsetzen wollen", verspricht Allison. "Und auch dann wird noch viel kommen." Obwohl die Silberpfeile derzeit unschlagbar wirken, richtet er eine Warnung nach Brackley, man sollte sich nicht zu sehr in Sicherheit wiegen.

Warum Mercedes nicht unerreichbar ist

"Das Aerodynamikprogramm läuft sehr gut, und man darf nicht vergessen, dass es sich immer noch um ein sehr junges Reglement handelt", deutet er an, dass die aktuelle Fahrzeuggeneration noch lange nicht am Zenit angelangt ist. "Wir rechnen noch mit größeren Fortschritten."

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In Zukunft will Ferrari Mercedes nicht nur beim Start sehen Zoom Download

Auch bei den Antriebseinheiten sieht er dieses Jahr deutlich mehr Potenzial. Das liegt daran, dass die Teams 2015 auf Basis des Token-Systems auch während der Saison die Entwicklung vorantreiben können. "Ungeachtet unserer kürzlichen Verbesserungen können wir uns während der Saison deutlich verbessern", prophezeit er.

Zumal Ferrari im Vergleich zu Primus Mercedes drei Token weniger eingesetzt hat. Das klingt nach Peanuts, ist aber laut Allison nicht zu unterschätzen. "Damit kann man ein Update der Brennkammer machen", geht der ehemalige Lotus-Technikchef ins Detail. "Das kann eine große Rolle spielen, man kann die Kolben, die Nocken, die Einspritzventile oder die Zylinderköpfe ändern." Man müsse aber sicherstellen, dass man auch "die Motorleistung hat, um diese drei Token zu nutzen".

2014: Entwicklungs-Rückstand wirkte sich aus

Vor allem im Winter machte Ferrari im Vergleich zu 2014 große Fortschritte. Schon bei den Testfahrten verblüffte Sebastian Vettels neues Team die Konkurrenz, die die Scuderia nach einem mäßigen Jahr plötzlich wieder auf der Rechnung hatte.

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Beim F14-T wurde zu spät mit der Entwicklung begonnen Zoom Download

Wie war diese Auferstehung möglich? Allison gibt Preis, dass beim Vorjahresauto Fehler passiert sind. Trotz einer umfangreichen Reglementrevolution habe Ferrari erst im November 2013 Vollzeit mit der Entwicklung der Aerodynamik begonnen. "Wenn man im November anfängt, dann kann man nicht mehr viel machen", zuckt er mit den Schultern. Allison, der 2013 im August seine Arbeit bei Ferrari aufnahm und sich zunächst einarbeiten musste, leitete die Entwicklung des SF15-T im Vorjahr deutlich früher ein. "Daher haben wir mehr Leistung gefunden", sagt er.

Er gibt sogar konkrete Zahlen an, in welchen Bereichen sich Ferrari beim Chassis verbessert hat: "Das Verhältnis fällt 80:20 zugunsten der Aerodynamik aus." Das sei aber "normal", denn die Aerodynamik hat in der aktuellen Formel 1 den größten Einfluss auf die Rundenzeit. "Bei den 20 Prozent handelt es sich um ziemlich nützliche Verbesserungen zum Beispiel bei der Effizienz der Kühlung, was sich dann wieder positiv auf die Aerodynamik auswirkt, wenn das Auto im Heck schlanker ist."

Dickes Lob für Antriebsabteilung

Das Verhältnis zwischen Antrieb und Chassis fällt laut Allison 50:50 aus. Wenn er über die Antriebsabteilung spricht, dann spart der Technikchef nicht mit Lob. "Es war brillant, mit welchem Elan sie sich im Winter den Problemen aus dem Vorjahr angenommen haben." Neben der Klasse der Ingenieure sei vor allem eine gehörige Portion Mut für die Fortschritte verantwortlich gewesen.


Fotostrecke: Ferrari SF15-T vs. Ferrari F14 T

Dabei sei das alles andere als eine typische Eigenschaft eines Motoreningenieurs. "Im Motorenbereich gibt es eine sehr lange Vorlaufzeit", erklärt er die Gründe. "Wenn man einen Fehler macht, dann zahlt man die Rechnung ewig. Und daher sind die Motorenleute im Vergleich zu den Chassisleuten schon von Natur aus viel konservativer. Sie waren aber extrem mutig, und davon profitieren wir jetzt."

Dass sich Ferrari beim Antrieb klar verbessert hat, ist offensichtlich. Die Piloten können sich nun auf eine sanfte Kraftübertragung beim Herausbeschleunigen aus den Kurven verlassen, der Spritverbrauch ist dadurch geringer und auch die Leistung wurde optimiert.

Rückstand auf Mercedes bei Chassis und Antrieb

Dennoch ist es laut Allison schwer in Zahlen festzumachen, inwiefern man nun beim Antrieb im Verhältnis zur Konkurrenz besser aufgestellt ist. Als Basis seien dafür ausschließlich die Qualifying-Daten repräsentativ, da man sichergehen kann, dass Spritmenge und Einsatz der Fahrer vergleichbar sind.

"Wenn man dann Abtrieb und Leistung trennen will, dann gelingt das über die Beschleunigungskurve des Autos, denn da gibt es Unterschiede zwischen einem Gewinn an Leistung und Abtrieb", geht er ins Detail. "Diese Kurve ist aber auch recht anfällig auf Wind, wodurch die Fehlerquote bei den Zahlen recht hoch ist. Es wird also noch ein paar Rennen dauern, bis wir die Wahrheit kennen. Auf Basis der Zahlen von Melbourne sieht es aber so aus, als hätten wir beim Auto einen guten Schritt gemacht, aber wir verlieren auf Mercedes bei Chassis und Antriebseinheit in gleichem Maße."

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