• 20. Februar 2022 · 09:07 Uhr

Technik-Interview Formel 1 2022: Das sind die Dinge, die zu beachten sind!

Mercedes-Technikchef Mike Elliott erklärt, was die Formel-1-Regeln 2022 für die Teams bedeuten: "Habe noch nie so große Veränderungen gesehen"

(Motorsport-Total.com) - Zwar werden die Autos während der Saison vermutlich in hoher Geschwindigkeit weiterentwickelt, doch der fundamentale Basis-Designprozess der 2022er-Formel-1-Autos ist Stand Februar erstmal abgeschlossen. Grund genug, eine Zwischenbilanz zu ziehen, was die neuen Regeln für die Teams bedeuten.

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Mike Eliott ist Technischer Direktor des Mercedes-Teams in der Formel 1 Zoom Download

Mike Elliott ist einer, der das so gut einschätzen kann wie kaum ein anderer. Seit ziemlich genau einem Jahr ist er Technischer Direktor des Mercedes-Teams; sein Vorgänger James Allison wurde in die übergeordnete Rolle des Chief Technical Office (CTO) befördert. Und an der Entwicklung von Formel-1-Autos arbeitet Elliott schon seit 2000 mit, als er bei McLaren in der Königsklasse anfing.

Im Rahmen der Präsentation des neuen Mercedes F1 W13 E Performance entstand das nachfolgende Interview, in dem Elliott davon spricht, dass er in mehr als 20 Jahren in der Formel 1 noch nie so tiefgreifende Regeländerungen erlebt hat.


Frage: "Mike, wie einschneidend sind die Regeländerungen für die Saison 2022, gerade verglichen mit vorherigen Reglementänderungen?"
Mike Elliott: "Auf der Chassis-Seite sind die Änderungen enorm. In meiner Karriere habe ich bislang noch nie so große Veränderungen gesehen."

"Man muss auf drei Aspekte achten: Zunächst die Art und Weise, wie die Regeln aufgebaut sind. Diese ist komplett anders, besonders bei der Aerodynamik. Das hat einen großen Einfluss. Zweitens bedeutet das, was sie mit der Aerodynamik erreichen wollen, dass die Autos eine grundlegend andere Form haben. Drittens ist dies das erste Mal, dass wir eine so große Veränderung unter einem Budgetcap angehen."

Die Zeit der winzigen Detailänderungen ist vorbei

Frage: "Mit welchem Gefühl ist Ihr Team an diese Herausforderung herangegangen?"
Elliott: "Ingenieure lieben Herausforderungen, und dies ist eine fantastische Gelegenheit, um etwas Neues zu machen. In der Welt der Aerodynamik jagt man normalerweise nach winzigen Verbesserungen, aber bei solch großen Regeländerungen kann man große Fortschritte erzielen, was sehr befriedigend ist."

"Auf der anderen Seite liegt eine erfolgreiche Phase hinter uns, in der wir acht Konstrukteurstitel in Serie gewinnen konnten - die Regeländerungen stellen nun einen Neuanfang dar. Alle Teams haben mit dem Modell, das die Formel 1 zur Verfügung gestellt hat, bei null begonnen. Man übernimmt nicht die Vorteile vom Vorjahresauto oder kann dessen Schwächen beheben. Dadurch beginnen alle Teams auf dem gleichen Niveau."

"Wichtig ist aber auch, dass die Teams mit einer unterschiedlichen Zuteilung von Testläufen im Windkanal und CFD gestartet sind. Dadurch kann sich das Kräfteverhältnis stark verändern. Für einen Ingenieur ist das eine spannende Aufgabe, aber es birgt natürlich auch ein gewisses Risiko, was unsere Wettbewerbsposition angeht."


Mike Elliott erklärt, was sich 2022 technisch ändert

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Wie sehr unterscheiden sich die neuen technischen Regeln für die Formel 1 2022 vom Vorjahr? Mike Elliott, Technikchef bei Mercedes, gibt Antworten. Weitere Formel-1-Videos

Frage: "Welche Bereiche des Autos werden von den technischen Änderungen am meisten beeinflusst?"
Elliott: "Die Änderungen an der Aerodynamik sind erheblich, und bestimmte Komponenten wie etwa das Getriebe sind nun bis 2026 eingefroren. Das gilt auch für die Powerunit: Die Performance-Spezifikation wird bis zur Einführung der neuen Powerunits im Jahr 2026 eingefroren. Das hat einen großen Einfluss, da man es richtig hinbekommen möchte, um sicherzustellen, dass es in den nächsten Jahren gut funktioniert."

"Die aerodynamischen Veränderungen sind so groß, dass sie das Packaging des Autos und die Platzierung bestimmter Komponenten komplett beeinflussen. Im Vergleich zum Vorjahr haben wir nur das Lenkrad übernommen. Ansonsten ist alles neu, und das ist hauptsächlich auf die neuen Aerodynamikregeln zurückzuführen."

"Auch die Art und Weise, wie die aerodynamischen Flächen im Regelwerk definiert werden, ist in diesem Jahr gänzlich anders: Wir erhalten eine CAD-Fläche und eine damit verbundene Toleranz. Das bedeutet, dass die Designer anders denken müssen und dass es viel schwieriger ist, sicherzustellen, dass die Geometrie legal ist."

"In der Vergangenheit hatten wir viele kleine Details am Auto, die zusammengenommen einen ziemlich großen Teil zur aerodynamischen Performance betrugen. Jetzt sind die Details der Komponenten bei weitem nicht mehr so komplex. Das heißt, anders als zuvor erzielt man seine Fortschritte jetzt mit grundlegenden Formänderungen und größeren Komponenten."

Die wichtigsten Änderungen stecken unter der Haube

Frage: "Gibt es spezielle Bereiche, auf die Sie sich beim W13 konzentriert haben? Was war der Hauptfokus bei der Entwicklung des 2022er-Autos?"
Elliott: "Wir haben viel über die aerodynamischen Veränderungen gesprochen, weil diese am besten sichtbar sind, und das Regelwerk versucht, das Überholen zu erleichtern. Tatsächlich mussten wir aber einen Großteil des Autos ändern, was eine enorme Herausforderung für das gesamte Team darstellte."

"Um die gewünschten Aerodynamikformen zu erreichen, mussten wir den Innenraum komplett umgestalten, bis hin zum elektrischen Layout und dem Einbau von Dingen wie der ECU. Die Aufhängung wurde überarbeitet, um den Wegfall der Hydraulik und der Remote-Federn zu berücksichtigen, die nach den neuen Vorschriften verboten sind."

"Sie werden hoffentlich auch sehen, dass wir einen weiteren Schritt gemacht haben, indem wir die Seitenkästen und die Motorabdeckung sehr eng gestaltet haben. Um dies zu erreichen, reicht es nicht, alles in Schrumpffolie zu verpacken. Stattdessen erfordert es auch eine große Menge an Umgestaltung und Simulation, damit es am Ende auch funktioniert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine gewaltige Arbeit war."


Fotostrecke: Erklärt: Die Unterschiede zwischen den beiden Versionen des Mercedes W13

Frage: "Die Reifen und Radgrößen haben sich für die Saison 2022 geändert. Was bedeutet das für das Auto in Bezug auf Handling und Leistung?"
Elliott: "Wir sind auf eine 18-Zoll-Felge umgestiegen und haben die dazu passenden neuen Reifen. Sie haben ein niedrigeres Profil, aber nicht so niedrig, dass es die Funktionsweise der Reifen grundlegend verändert."

"Was wir bei den Tests, insbesondere beim Test in Abu Dhabi Ende 2021, gesehen haben, ist, dass es subtile Unterschiede gibt. Das verändert unsere Herangehensweise bei der Abstimmung, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, da ich glaube, dass die Reifen dazu beitragen werden, das Racing zu verbessern. Sie werden nicht so leicht überhitzen und sind leichter zu handhaben."

Erste Konzepte für den W13 wurden bereits 2020 entwickelt

Frage: "Mit welchem Ansatz sind Sie an die neuen Regeln herangegangen? Was waren die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg hierhin?"
Elliott: "Wir haben mit der Entwicklung des W13 im Jahr 2020 begonnen. Los ging es mit den ersten Arbeiten an der Aerodynamik und den großen Komponenten wie dem Getriebe, dem Chassis und der Powerunit."

"Zu Beginn der COVID-Pandemie war klar, dass wir 2021 nicht auf dieses Reglement würden umstellen können. Deshalb mussten wir unseren Fokus darauf legen, die Änderungen für 2021 umzusetzen. Aber sobald sich das Reglement gefestigt hatte, konzentrierten wir uns mehr und mehr auf unser Auto für 2022. Das war ein schwieriger Spagat, weil wir im vergangenen Jahr an der Spitze kämpften, aber die Entwicklungsrate des Autos von 2022 war viel höher."

"Wir haben mit den größeren Komponenten früher begonnen, als wir es normalerweise tun würden, und es war dasselbe mit dem aerodynamischen Programm im CFD und im Windkanal: Man versucht nach und nach zu lernen, was man mit dem Auto machen will, welche Richtungen man einschlagen will, baut die Leistung auf und arbeitet sich durch seine Meilensteine."

"Je weiter man in diesem Prozess voranschreitet, desto mehr geht es um Abnahmen, Homologationsarbeiten und Tests. In diesem Jahr muss das Chassis zum Beispiel einen Drucktest mit 300 Kilonewton bestehen, was eine enorme Belastung darstellt. Es ist eine Herausforderung, die Homologation des Chassis zu schaffen, und das ist uns gelungen."

"Dann geht es darum, das Chassis und die Powerunit miteinander zu verbinden und sie auf dem Prüfstand auf der virtuellen Rennstrecke zu testen, bevor alles für die Tests vorbereitet und aufgebaut wird, damit das Auto für die ersten Systemprüfungen und Tests auf die Strecke gehen kann."

"Im Laufe der Wintertests liegt der Schwerpunkt darauf, ein grundlegendes Verständnis für die Performance des Fahrzeugs zu entwickeln, herauszufinden, wo die Schwachstellen liegen, welche Lernmöglichkeiten es gibt und welche Zuverlässigkeitsprobleme man angehen muss, um das endgültige Paket für das erste Rennen zu schnüren."


Frage: "Sind die Testfahrten in diesem Jahr noch wichtiger, da sie den Beginn einer neuen Formel-1-Ära darstellen?"
Elliott: "Angesichts der begrenzten Testmöglichkeiten ist es immer wichtig, aus diesen wenigen Tagen ein Maximum an Erkenntnissen zu gewinnen, die man dann im Laufe der Saison nutzen kann. Die Tatsache, dass die Autos so unterschiedlich sind, bedeutet, dass der Lernaufwand viel größer ist und man daher mehr von den Tests profitieren kann als jemals zuvor."

"Es ist hilfreich, dass wir sowohl in Barcelona als auch in Bahrain fahren, denn Barcelona ist traditionell eine Referenzstrecke mit einer guten Mischung von Kurven, sodass man eine gute Vorstellung davon bekommt, wo das Auto steht, während man in Bahrain fast garantiert im Trockenen fahren kann."


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Frage: "Ist die Stimmung vor der Präsentation des Autos, den Tests und der neuen Saison anders, wenn man bedenkt, dass Sie beim W13 bei null anfangen mussten?"
Elliott: "Ja, das ist sie, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. In einem normalen Jahr kann man wahrscheinlich eine gute Einschätzung des Entwicklungsgefälles geben und damit auch, wie eine 'gute' Performance wahrscheinlich aussehen wird. In diesem Jahr ist das nicht möglich, und die Änderungen sind so groß, dass niemand genau weiß, was er anstrebt."

"Hinzu kommt die Tatsache, dass sich die meisten Komponenten des Autos geändert haben, und das bedeutet, dass die Fabrik in einer Welt der Kostenbegrenzung so stark beansprucht wird wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Aber jeder leistet gute Arbeit, um mit dem Druck umzugehen und den Output zu maximieren, damit wir das Bestmögliche herausholen können."

Warum Prognosen, ob das Überholen einfacher wird, schwierig sind

Frage: "Was können die Fans von der neuen Formel-1-Ära erwarten?"
Elliott: "Sie können etwas anderes erwarten. Die Frage ist, was bedeutet anders? Ich denke, niemand von uns kann sagen, ob das Feld dadurch enger zusammenrücken wird. Wird es Schlupflöcher im Reglement geben, die dazu führen, dass ein Überraschungsteam an der Spitze stehen wird? Solange wir nicht auf der Strecke sind, ist das schwer zu sagen."

"Die Regeln wurden so gestaltet, dass sie all das verbessern, aber es ist die Aufgabe des Teams, das schnellste Auto zu bauen, das wir haben. All diese Unbekannten vor den Tests und dem ersten Rennen sind aufregend, denn niemand weiß, was passieren oder wie es ausgehen wird. Es ist eine Herausforderung, die wir genießen und die wir gerne in Angriff nehmen, aber wir werden erst herausfinden, wie gut wir sind, wenn die erste Zielflagge in Bahrain fällt."


Frage: "Jetzt ist es endlich soweit, der W13 wird der Welt präsentiert und geht zum ersten Mal auf die Strecke. Welche Gefühle weckt das?"
Elliott: "Es ist immer ein besonderer Moment, wenn man das Auto zum ersten Mal fahren sieht. Es klingt wie ein Klischee, aber die Menschen in Brackley und Brixworth haben Blut und Wasser geschwitzt, das ganze Jahr über, aber vor allem während der Bauzeit und im Winter, um das Auto fertigzustellen und es auf die Strecke zu bringen."

"Jetzt beginnen wir mit der Lernphase. Da sich die Autos im Laufe des Tests sehr stark weiterentwickeln werden, werden wir bis zum ersten Rennen nicht wissen, wo wir stehen. Gleichzeitig existiert aber diese Mischung aus Nervosität, Aufregung, das Auto weiterzuentwickeln und zu sehen, was wir geschaffen haben, sowie Stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben."

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