• 02. Oktober 2022 · 08:05 Uhr

"Budgetgate" eskaliert: "Auto, das mit Steroiden vollgepumpt ist"

Toto Wolff hat sein Feuerzeug an die Zündschnur gehalten, Christian Horner dann Benzin draufgegossen: Jetzt eskaliert der Budgetstreit in der Formel 1!

(Motorsport-Total.com) - Christian Horner ist sauer. Richtig sauer. Sein Auftritt in der FIA-Pressekonferenz am Samstag in Singapur stellte eine neue Eskalationsstufe in der seit Jahren schwelenden Auseinandersetzung mit Toto Wolff dar. Der Red-Bull- und der Mercedes-Teamchef, das zeigt sich in der "Budgetgate"-Affäre einmal mehr, werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Und Netflix wird seine Freude dran haben.

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Werden in diesem Leben keine Freunde mehr: Christian Horner und Toto Wolff Zoom Download

Jetzt wird die Affäre nämlich auch persönlich. Als ein Journalist (Andrew Benson von der BBC) von Horner wissen will, warum er eigentlich so sauer sei, wo doch weder Mercedes noch Ferrari konkret Red Bull einen möglichen Verstoß gegen die Budgetobergrenze 2021 unterstellt hätten, platzt dem Red-Bull-Teamchef der Kragen.

"Moment mal, Andrew. Ich finde, sie waren sogar sehr klar darin, Red Bull zu benennen", widerspricht Horner. Er meint damit: Als Wolff am Freitag gefragt wurde, ob er von Verstößen wisse, weil Horner behaupte, er wisse von nichts, entgegnete Wolff: "Lustig, dass Christian das sagt, denn sie werden seit Wochen und Monaten untersucht. Vielleicht redet er nicht mit seinem CFO (Finanzvorstand; Anm. d. Red.)."

Horner hatte das Thema am Freitag in Interviews zunächst noch kleinzuhalten versucht, war defensiv aufgetreten. Nachdem Wolff am Freitag im 'Sky'-Interview Öl ins Feuer gegossen hatte, war die Zündschnur bei Red Bull allerdings dramatisch verkürzt. Sowohl Horner als auch Motorsportkonsulent Helmut Marko holten jetzt zum Gegenschlag aus.

Verschwörungsgeruch um Wolffs Ex-Beraterin

"Das ist eine massive Rufschädigung. Abu Dhabi ist lang vorbei. Dass man das noch immer nicht verkraftet hat, ist etwas eigenartig", stichelt Marko im Interview mit dem 'ORF'. Und er hinterfragt: "Es ist mehr als verwunderlich, wie Toto Wolff zu diesen Zahlen kommt. Er spricht ja von einer massiven Überschreitung. Da muss bei der FIA irgendwo eine Undurchlässigkeit sein."

Was Marko damit womöglich andeutet, fasst 'Sky'-Experte Ralf Schumacher in Worte: "Wir alle wissen, dass eine enge Vertraute und ehemalige Mitarbeiterin von Toto Wolff jetzt in sehr hoher Position bei der FIA arbeitet." Und meint damit Shaila-Ann Rao, bei der FIA seit Juni Nachfolgerin von Peter Bayer als Generalsekretärin für Motorsport.

Rao war von Dezember 2018 bis zu ihrem Wechsel in die FIA nicht nur Chefjustiziarin des Mercedes-Teams, sondern ab Januar 2021 auch explizit persönliche Beraterin von Toto Wolff. Dass das im Paddock misstrauisch beäugt wird, liegt in der Natur der Sache. Nur: Bislang kann Rao niemand einen Verstoß gegen irgendwelche Compliance-Vorschriften nachweisen.

Wo die Geschichte zuerst aufgetaucht ist

Zu suggerieren, dass Wolff geheime Quellen haben müsse, um am 30. September in Singapur solche Anschuldigungen erheben zu können, ist auch insofern verwunderlich, als die Story etwas früher am gleichen Tag von 'auto motor und sport' veröffentlicht wurde und hinter den Kulissen spätestens seit Monza in gut informierten Kreisen Paddockgeflüster ist.

Was hinter dem Vorwurf also eher steckt: der Verdacht, dass Wolff oder Mitarbeiter des Mercedes-Teams die Story bei 'auto motor und sport' platziert haben, um Red Bulls Ansehen zu schaden. Horner: "Ist es wirklich Zufall, dass wir nur über Budgetdeckel reden statt über Max' phänomenale Leistungen, an dem Wochenende, an dem er zum ersten Mal Weltmeister werden kann?"

Er ärgert sich: "Ich frage mich schon, was die Informationsquelle für diese fiktiven Behauptungen ist, die sie gemacht haben. Die FIA hat ja sogar gesagt, dass die Prüfung noch gar nicht beendet ist. Wenn diese Behauptungen nicht zurückgezogen werden, nehmen wir das unglaublich ernst und wägen ab, was unsere Möglichkeiten sind. Denn solche Aussagen sind absolut inakzeptabel."

Nach Horners Drohung: Wolff rudert zurück

Horner nimmt zwar bei seiner Drohung das Wort "legal" nicht in den Mund, droht Mercedes also nicht explizit mit rechtlichen Schritten wegen Rufschädigung; aber sein Konter scheint offenbar gesessen zu haben - obwohl Wolff, behauptet der zumindest, Horners Pressekonferenz nicht selbst gesehen hat. Denn inzwischen rudert der Mercedes-Teamchef zurück.

Auf die Frage von 'Sky', ob es nicht fair gewesen wäre, erstmal das Urteil der FIA abzuwarten, bevor Red Bull in Verruf gebracht wird, entgegnet Wolff, dass es im großen Kontext "völlig irrelevant" sei, was er gesagt habe, denn unterm Strich spiele "nur eine Rolle, was am Mittwoch in den Zertifikaten steht. Ob da ein bisschen Wind drum gemacht wurde, ist ein Nebengeräusch."


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In Bezug auf Horners aufgebrachten Auftritt in der Pressekonferenz sagt er: "Das war schon immer die Strategie: Angriff ist die beste Verteidigung! Man schlägt mal wild um sich. Am Mittwoch gibt es ein Certificate of Compliance, wo gesagt wird, ob du die Grenze eingehalten oder gebrochen hast. Da kann man dann in die Kamera sprechen, was man will."

Das Gerücht, das im Raum steht, ist, dass es sich bei Red Bull um einen "materiellen", also um einen signifikanten Verstoß gegen den Budgetdeckel handelt. Sollte sich das bewahrheiten, würde es sich um eine Größenordnung von mindestens sieben Millionen US-Dollar drehen, die Red Bull mutmaßlich mehr ausgegeben hat als andere Teams.

Was kann man mit sieben Millionen mehr alles anstellen?

Das wäre ein substanzieller Betrag, denn die 145 Millionen Obergrenze, die für 2021 festgelegt waren, beinhalten bei weitem nicht nur Entwicklungskosten. Der Erhalt des Firmengebäudes, Energiekosten, Personal - das alles frisst die große Mehrheit des Budgets auf. Für die Entwicklung neuer Teile bleiben am Ende nur Bruchteile des Gesamtbudgets übrig.

Frederic Vasseur rechnet vor: "Bei Alfa Romeo haben wir 2,4 Millionen Entwicklungsbudget für die gesamte Saison." Das Dreifache davon sei also "ein mega Betrag". Oder, wie es Laurent Mekies von Ferrari erklärt: "Mit sieben Millionen kann ich 70 Ingenieure zahlen, und 70 Ingenieure bringen einen Haufen Rundenzeit."

Wolff: Wegen Budgetgrenze immer noch Übergewicht

Wolff ergänzt aus Mercedes-Sicht: "Wir wissen genau, dass wir pro Jahr dreieinhalb Millionen für Teile ausgeben können, die wir dann ans Auto bringen. Das zeigt, was für einen enormen Unterschied es machen würde, nur eine halbe Million mehr zu haben. Jede Ausgabe mehr, die du tätigen kannst, bringt dir einen Vorteil in Performance."

Beispiel: "Wir haben keine Leichtgewichtsteile produziert, um uns von einem zweistelligen Übergewicht runterzukriegen. Weil wir einfach das Geld nicht haben. Also mussten wir das auf das nächstjährige Auto verschieben. Ein Leichtgewichtschassis einzuführen und zu homologieren, würde zwei Millionen kosten - zwei Millionen, die wir über dem Deckel liegen würden."

Ferrari: Finanzregeln wichtiger als alle anderen Regeln

Das mögliche Strafmaß, sollte es tatsächlich zu einem Verstoß gekommen sein, ist allerdings eine heiße Kartoffel, die sich keiner wirklich anzufassen traut. Rein theoretisch lässt es das Reglement sogar zu, Verstappen nachträglich den WM-Titel 2021 abzuerkennen, weil nicht nur Konstrukteurs-, sondern auch Fahrerpunkte gestrichen werden dürfen.

Einigkeit herrscht darüber, dass die FIA mutwillige Verstöße gegen den Budgetdeckel drakonisch ahnden muss. Vasseur sagt zum Beispiel: "Uns haben sie vor zwei Jahren wegen 0,9 Millimetern disqualifiziert. Bei Mercedes war der Heckflügel letztes Jahr in Sao Paulo um einen Millimeter ungenau. Man muss das schon in Relation sehen."

"Die Finanzregeln sind wahrscheinlich mächtiger als die technischen und sportlichen Regeln zusammen", erhebt Mekies den Zeigefinger. "Man muss sich ja nur vor Augen führen, welcher Rundenzeitengewinn sich durch die Summen, die im Raum stehen, realisieren ließe."

Soll Verstappens WM-Titel aberkannt werden, Herr Wolff?

Soll Verstappens WM-Titel also nachträglich aberkannt werden, Herr Wolff? Der Mercedes-Teamchef weicht aus: "Ich möchte nicht in den Schuhen der Richter stecken. Die Fahrer fahren sich die Seele aus dem Leib, um zu gewinnen, und dann trifft das Team Entscheidungen, von denen sie nichts wissen." Aber: "Am Ende sitzt du dann trotzdem in einem Auto, das mit Steroiden vollgepumpt ist."

Es ist die Frage, die sich kaum jemand aufzuwerfen traut: Wie viel wäre Verstappens WM-Titel von Abu Dhabi, ohnehin schon überschattet durch eine nicht regelkonforme Safety-Car-Prozedur seitens Rennleiter Michael Masi, wert, wenn jetzt auch noch nachgewiesen kann, dass in sein Auto mehr Entwicklungsgeld geflossen ist als in jenes von Lewis Hamilton?

Dass darüber überhaupt geredet wird, ist aus Sicht von Red Bull schon Rufschädigung genug, und den Ball ins Rollen gebracht hat, auch das ist in den Augen von Red Bull klar, Wolff, der langjährige "Feind des Hauses". Marko sagt im 'ORF': "Das geht jetzt über das übliche politische Anschwärzen schon hinaus. Das sind konkrete und schwere Anschuldigungen."

Worum geht's eigentlich? Erste Details sickern durch!

Immerhin sickert langsam durch, warum seitens der FIA bei der Prüfung des Red-Bull-Budgets 2021 offenbar mehr Fragen bestehen als bei anderen Teams. "Wir haben ja verschiedene Firmen, die nicht Formel-1-mäßig arbeiten. Da sind einige Leute transferiert worden, und diese Kosten kann man aus unserer Sicht nicht reinnehmen", deutet Marko an.

Sprich: Im Red-Bull-Universum in der Formel 1 gibt es nicht nur die Firma Red Bull Racing (RBR), sondern auch Red Bull Advanced Technologies (RBAT). Bei RBAT wird aber nicht nur für das Formel-1-Projekt gearbeitet, sondern die Mitarbeiter der Firma entwickeln im Kundenauftrag Jachten für den America's Cup, Fahrräder und ein eigenes Red-Bull-Hypercar, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

So einen Technologieableger zu schaffen, ist keine revolutionär neue Idee. Williams war das erste Team, das die Advanced-Technology-Schiene aufgegriffen hat, damals noch unter CEO Adam Parr. Der große Vorteil heute: Wann immer ein Team gerade mehr Mitarbeiter benötigt, kann es diese von der Schwesterfirma unkompliziert anfordern.

Gleichzeitig müssen die Gehälter aber nicht bezahlt werden, wenn diese Mitarbeiter gerade nicht benötigt werden; sondern dann können sie in Ruhe an anderen Projekten arbeiten. Marko ist überzeugt, dass Red Bull diese Vorgänge korrekt eingereicht hat: "Nach unserer Ansicht sind wir drunter. Wenn man das zu unseren Ungunsten auslegt, dann wären wir marginal drüber."

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