• 20. Februar 2019 · 07:26 Uhr

Vettel #1 bei Ferrari, aber: Wie gut ist Charles Leclerc?

Woher kommt der Hype um Ferrari-Shooting-Star Charles Leclerc, wie reagiert Sebastian Vettel darauf und wie hat Mattia Binotto seine Stallorder-Ansage gemeint?

(Motorsport-Total.com) - Er sei der Erste, der ihn ein bisschen an Ayrton Senna erinnert, sagt einer, der es eigentlich wissen muss, über Charles Leclerc. Und er wäre nicht überrascht, wenn der Ferrari-Neuzugang, gerade einmal zarte 21 Jahre jung, gleich das erste Rennen der Formel-1-Saison 2019 in Melbourne gewinnen würde.

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Charles Leclerc fordert in der Formel 1 2019 Sebastian Vettel heraus Zoom Download

Es sind solche und ähnliche Vorschusslorbeeren, die man aktuell hört, wenn im Fahrerlager über Leclerc gesprochen wird. Und es sind keine Journalisten oder Fans, die diese Dinge erzählen, sondern echte Insider. Die keine Freude damit haben, zitiert zu werden, sondern lieber anonym bleiben. Verständlich.

Aber die Erwartungen schürt Leclerc schon selbst, auch ohne Zutun von aktuellen oder ehemaligen Wegbegleitern. Nach je einem Testtag im neuen SF90 liegt er nur 0,086 Sekunden hinter der Montags-Benchmark von Sebastian Vettel. Und der hatte von einem "nahezu perfekten" ersten Testtag gesprochen.

Die Frage sei nicht, so wurde daraufhin im TV-Kommentar der Testfahrten besprochen, ob Leclerc dazu in der Lage sei, schon 2019 mit Vettel mitzuhalten. Sondern wann er den viermaligen Weltmeister überholen wird. Eher früher als später, deutete die Diskussion an. Das zeigt, wie viel vom jungen Monegassen erwartet wird.

Ein bisschen wie Massa 2006 neben Schumacher?

Dabei versucht Ferrari (genau wie 2006, als Felipe Massa Teamkollege von Michael Schumacher wurde), das junge Talent aus dem Fokus zu nehmen. Und gleichzeitig Vettel den Rücken zu stärken, für dessen Psychologie nach der Saison 2018 enorm wichtig. Vettel, so hört man von Menschen, die ihn gut kennen, habe vergangenes Jahr die Rückendeckung vermisst, die für ihn bei Red Bull immer selbstverständlich war.

Der neue Teamchef Mattia Binotto jedenfalls soll sich festgelegt haben: Vettel wird als Nummer 1 in die Saison 2019 starten, Leclerc als Nummer 2. Doch wenn man sich etwas genauer mit der vielzitierten Aussage des Italieners beim Ferrari-Launch in Maranello auseinandersetzt, klingt sie weit weniger eindeutig als in so mancher Schlagzeile der vergangenen Tage.

"Wenn es zu Situationen kommen sollte, die eine Entscheidung erfordern, werden wir Sebastian Priorität einräumen", soll Binotto gesagt haben. Hat er auch. Was aber in der Berichterstattung weggelassen wurde, ist der größere Kontext drumherum. Dann klingt der Teamchef nicht mehr so, als werde man Vettel so bedingungslos pushen, wie man es einst mit dessen Vorbild Schumacher getan hat.

Es sei "ganz normal", besonders vor Saisonbeginn, dass sich ein Team überlege, welcher Fahrer (zunächst) Priorität genießen soll, erklärt Binotto. Und meint damit Situationen wie: Wer darf sich im Qualifying das Timing aussuchen? Wer genießt Vorrang bei der Wahl der Rennstrategie? Solche Dinge. Was er eher nicht meint: Leclerc muss Vettel überholen lassen, wenn er den Teamkollegen im Rückspiegel sieht.

Es sei denn, und das leuchtet ein, Vettel ist wirklich schneller. Aber ist er das? "Die absolute Priorität ist, dass Ferrari gewinnt", entkräftet Binotto das Nummer-1-Gerede. Und er lächelt: "Ich hoffe, dass wir solche Probleme bekommen! Dass wir zwei Fahrer managen müssen, die sich um die vordersten Plätze streiten."

"Ich glaube nicht", ergänzt er, "dass es ein Problem ist, zwei so konkurrenzfähige Fahrer an Bord zu haben. Ich sehe das eher als Chance für uns. Sebastian muss niemandem mehr etwas beweisen. Er bleibt unser Orientierungspunkt. Charles muss noch viel lernen. Das sagt er ja auch selbst. Aber wir wissen genau, wie talentiert er ist."

Vettel weiß: "Charles wird sehr schnell sein"

"Charles", sagt Vettel selbst, "wird sehr schnell sein. Da habe ich nicht den geringsten Zweifel. Und ich rechne damit, dass er sehr schnell dazulernt." Anders als Schumacher über Massa sagt er über den Nachwuchs an seiner Seite: "Er ist ein Rivale, natürlich! Es hat einen Grund, dass er in diesem Cockpit sitzt. Also nehme ich ihn sehr ernst."

"Das Duell mit dem Teamkollegen ist immer wichtig, aber oberste Priorität hat, das Team nach vorne zu bringen", ergänzt der 31-Jährige. "Ich bin schon ein bisschen länger dabei als er. Er hat wahrscheinlich gerade andere Dinge als ich auf dem Zettel, aber er ist ein netter Junge. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er schnell genug ist, um mich unter Druck zu setzen. Wir werden sehen."

Wenn der erfahrene Vettel wörtlich vom "nice Kid" spricht und die Journalisten fast väterlich bittet, Leclerc nicht zu sehr unter Druck zu setzen, kann das zweierlei bedeuten: Erstens, dass er tatsächlich eine Rolle als Mentor einnimmt. Oder zweitens, dass er sich positioniert: Da kommt einer, dem gehört die Zukunft. Aber jetzt bin ich noch da!


Fotostrecke: Formel-1-Technik: Detailaufnahmen der Autos 2019

Psychospielchen bei Ferrari? "Ich kenne ihn noch nicht. Jeder ist anders", meint Vettel. "Ich will diese Dinge aber nicht unnötig kompliziert machen. Ich bin sicher nicht der, der damit anfängt, Probleme zu schüren. Und ich schätze auch nicht, dass Charles das will." Und wieder betont er, selbst schon viel länger dabei zu sein als Leclerc und wie aufregend es sein muss, zum ersten Mal im Ferrari zu sitzen. Nice Kid.

Vettel weiß genau, wie es ist, als Nummer 1 im Team etabliert zu sein, aber trotzdem vom "nice Kid" geschlagen zu werden. 2014 hat er das, im ersten Jahr nach vier WM-Titeln en suite, bei Red Bull erlebt, als Daniel Ricciardo drei Rennen gewann und er kein einziges. Ende des Jahres warf Vettel das Handtuch und wechselte zu Ferrari.

"Ich bin wirklich gespannt", sagt Ricciardo (der mit Max Verstappen selbst etwas Ähnliches erlebt hat), "wie Leclerc Seb herausfordern wird. Wir waren 2014 ja in einer ähnlichen Situation, und ich bin neugierig, wie Seb diesmal damit umgeht. Ich frage mich, ob Leclerc dem Hype gerecht wird. Aber Seb ist ein ehrgeiziger Mann, voller Leidenschaft. Wenn er morgens aufsteht, denkt er an die Formel 1, und abends im Bett immer noch. Es wird ein interessanter Kampf."

"Ein Statement": Toto Wolff über Ferraris Ansage

Dass sich Ferrari zumindest für die ersten Rennen positioniert und Vettel priorisiert, kann man von zwei Seiten sehen. Erstens gut für Vettel, weil ihm das jenes Gefühl von Rückendeckung vermittelt, das ihm das Team 2018 nicht gegeben hat. Zweitens schlecht für Vettel, weil er eigentlich aus eigener Stärke heraus gut genug sein sollte, von Anfang an für klare Verhältnisse zu sorgen.

"Wenn du schon zu Saisonbeginn damit um die Ecke kommst, dann ist das ein Statement", sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff über die von oben angeordnete Fahrer-Hierarchie bei Ferrari. "Stallregie", fährt er fort, sei "immer ein kontroverses Thema". Und Binotto habe jetzt "eine ungeheuer große Aufgabe vor sich. Ich glaube, er will es auf seine Art machen."

Und Leclerc? Den lässt der Hype komplett kalt. Wie er mit Druck umgeht, weiß die Welt seit dem GP2-Wochenende in Baku 2017. Kurz zuvor war sein Vater gestorben, und das Prema-Team hatte ihm freigestellt, die beiden Rennen nicht zu fahren. Aber Leclerc kam, sah und siegte: Pole-Position, Sieg im ersten Rennen, Sieg im zweiten Rennen.

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Charles Leclerc, John Elkann und Sebastian Vettel beim Ferrari-Launch Zoom Download

Dass ihm der Sieg im Sprint nach einer phänomenalen Aufholjagd vom achten auf den ersten Platz wegen Ignorierens einer gelben Flagge aberkannt und er nur als Zweiter gewertet wurde, ändert nichts an seiner Leistung. Baku 2017 hat gezeigt, aus welchem Holz Leclerc geschnitzt ist.

Und man erkennt die Handschrift der Familie Todt, von der er unterstützt wird, wenn man Leclerc so zuhört. Selbst als Ferrari-Fahrer ist da kein Funke Überheblichkeit in seinen Worten. Es sei schon etwas Besonderes, erstmals Ferrari zu fahren, sagte er nach dem Test-Dienstag in Barcelona. Aber für solche Emotionen habe er jetzt keine Zeit. Es gehe schließlich darum, möglichst rasch möglichst viel zu lernen.

"Einen Teamkollegen wie Seb zu haben, ist sicher ein Vorteil für mich. Von ihm kann ich viel lernen", glaubt der 21-Jährige. "Für mich ist das alles der Anfang eines neuen Abenteuers. Aber ich habe noch viel Arbeit vor mir und muss noch viel lernen."

Leclerc ganz cool: "Ich spüre den Druck nicht"

"Zum Glück", sagt er, "spüre ich den Druck nicht. Ich bin jung, muss noch lernen - aber ich weiß auch, dass es wichtig ist, dass ich nur auf mich selbst schaue und auf die Arbeit, die ich mit dem Team erledigen muss. Dann kommen die Ergebnisse ganz von selbst."

Welche Ergebnisse er sich als Ziel setzt, das würden die Journalisten natürlich gerne wissen. Ein Spiel, auf das er sich aber nicht einlässt. Beim Ferrari-Launch in Maranello weicht er der Frage nach dem WM-Titel gekonnt aus: "Darauf antworte ich nicht. Das kommt schon alles, wenn es kommen muss." Und das habe letztendlich nur er selbst in der Hand.

"Eines steht fest: Ich habe mich über den Winter so gut vorbereitet, wie es mir möglich war. Körperlich und mental ist das eine Riesenherausforderung für mich. Ich muss so viel lernen. Ich war viel in der Fabrik, um das Team kennenzulernen. Ferrari ist ein großes Team, und im Vergleich zum Vorjahr und den Nachwuchsformeln ist das für mich schon eine Umstellung. Daran muss ich mich erst gewöhnen."

"An den WM-Titel", sagt er demütig, "denke ich nicht. Möchte ich nicht denken. Es liegt noch so viel vor mir. Ich habe dank Sebastian eine gute Referenz. Ich setze mir lieber keine Ziele, sondern gehe an die Arbeit. Dann sehen wir, was draus wird."

Ganz so cool, wie er sich gibt, ist Leclerc dann aber doch nicht. Wie für jeden 21-Jährigen ist es auch für ihn etwas Besonderes, seinen Namen auf einem Ferrari zu sehen: "Ich hatte schon immer eine besondere Bindung zu Italien", erzählt er. "Als kleiner Junge bin ich in Italien Kart gefahren, und schon damals habe ich davon geträumt, eines Tages eines dieser roten Autos zu fahren."

"Ich kann daher sagen: Ein Traum wird wahr!"

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