• 22. Februar 2018 · 19:21 Uhr

Formel-1-Technik 2018: Wieso Mercedes Ferrari nicht kopierte

Gewohnt langer Radstand, wenig Anstellwinkel und trotzdem extreme Lösungen: Wieso Mercedes mit dem W09 konservativ war und dennoch alles infrage stellte

(Motorsport-Total.com) - Für viele Experten war es eine Überraschung, für die Mercedes-Technikabteilung nach eigener Aussage "etwas, das sich von selbst versteht": Der am Donnerstag präsentierte Bolide W09 für die Formel-1-Saison 2018 wartet mit einem ähnlich langen Radstand auf wie sein Vorgänger. Mit einer Änderung des Konzeptes war zu rechnen, weil das Alleinstellungsmerkmal gegenüber Ferrari und Red Bull in dem Verdacht stand, für einige Pleiten im vergangenen Jahr verantwortlich gewesen zu sein.

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Bleibt länger als die Konkurrenz: Mercedes liebt seine Diva insgeheim doch Zoom Download

Pustekuchen, sagt zumindest Mercedes-Technikchef James Allison: "Wir haben sehr früh erkannt, dass der längere Radstand ein Vorteil ist und wir die Sache weiter verfolgen wollen. Es war eine ganz einfache Entscheidung." Schließlich war der W08 trotz Ausrutschern wie Russland, Monaco und Singapur über die Saison hinweg das mit Abstand beste Auto. Die meisten Pole-Positions, die meisten Siege und der vorzeitige Gewinn beider WM-Titel - oder kurzum: Die Zahlen lügen nicht.

Hinzu kommt, dass er die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau war - und damit das erklärte Ziel der Mercedes-Designer erfüllte: "Wir wollen ein Auto bauen, das in dem breiten Spektrum an unterschiedlichen Geschwindigkeiten und verschiedenartigen Kurven, die es im Verlauf der Saison meistern muss, gutes Handling aufweist", sagt Allison. Dafür galt und gilt es Kröten zu schlucken.


Präsentation F1 W09 EQ Power+

Sportchef Toto Wolff meint: "Daher gingen wir sehr vorsichtig vor, um nicht die vielen Stärken des Autos zu verlieren, nur um die Schwächen zu beheben." Der neue Wagen bleibt also den grundsätzlichen Designprinzipien seines Vorgängers treu. Es behält nicht nur den gleichen Radstand, sondern besitzt auch wieder einen nur leicht erhöhten Anstellwinkel. "So mussten wir nicht zwei Windkanal-Programme mit zwei verschiedenen Modellen abspulen", erklärt Allison den Vorteil des Bewährten.

Aufhängung und Aerodynamik wurden dem Konzept beim W09 untergeordnet und entsprechend angepasst. "Wir haben hinten den meisten Abtrieb, wenn wir mit relativ wenig Bodenfreiheit fahren", so Allison. Klar, dass der Anstellwinkel daher nicht so groß ausfiel wie etwa bei Red Bull.

Auch Experimente mit kürzeren Seitenkästen, wie sie Ferrari mit seinem SF71H gewagt hat, waren Mercedes zu riskant - obwohl entsprechende Pläne auf dem Tisch lagen. "Man muss immer erst mal Verluste hinnehmen, ehe man Gewinne erzielt", meint Allison und nennt jeden anderen Ansatz "Zockerei". Insbesondere, wenn man bereits ein Spitzenauto in der Garage stehen hat, dessen steile Entwicklungskurve man nur weiterverfolgen muss, um die eigene Position zu zementieren.

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Wolffs Marschroute: Nicht zu viel riskieren und dennoch weiter Fortschritte machen Zoom Download

Dennoch birgt der W09, dessen erste Konzeptzeichnungen bereits im Januar 2017 angefertigt wurden, viele Neuerungen. Weil sich das Technische Reglement nicht stark verändert hat, schlug das Team beim Design in jedem Bereich extremere Wege ein und sorgte für eine insgesamt kompaktere Bauform. "Wir mögen zwar einige der Charaktereigenschaften unserer Diva", sagt Wolff mit Blick auf das Vorjahresmodell. Aber das Klassenziel war es trotzdem, sie in einigen Bereichen zu zähmen.

Fahrer und Ingenieure sollen nun besser verstehen und einfacher erkennen, was für die perfekte Abstimmung nötig ist - damit dem Team an einem Grand-Prix-Wochenende nicht mehr die Zeit ausgeht, um ein funktionierendes Set-up zu finden. "Das Design ist generell viel eleganter", findet Allison und denkt an die Regelnovelle des Winters 2016/2017, der Mercedes Unsicherheiten bescherte, aus denen sich Kompromisslösungen ergaben - und Spielräume für deutlichere Lösungen 2018.

"Es wird noch immer ein wenig von der Diva in unserem neuen Auto stecken. Bislang hat noch niemand je eines gebaut, das keine Marotten hatte", sagt Allison. "Aber im vergangenen Jahr mussten wir Dinge tun, die nicht ganz logisch waren. Deshalb haben wir in diesem Jahr versucht, ein Auto zu bauen, das sich etwas normaler verhält." Inkonstanten Leistungen, zum Beispiel im Umgang mit den Reifen, nährte man sich im Ausschlussverfahren und ließ dabei keinen Stein auf dem anderen.

Nachdem der Antrieb und Leistungen der Piloten wegen ihrer nachgewiesenen Beständigkeit ausgeschlossen wurden, konzentrierte sich Mercedes bei den CFD-Simulationen auf Kurvenkombinationen und -abfolgen. Weil bis dato funktionierende Modelle keine Antworten lieferten, ging es ihnen an den Kragen, weil sie plötzlich in dem Verdacht standen, die Fehlerquelle zu sein. Konventionelle Lösungsstrategien wurden laut Allison ad acta gelegt, entgegengesetzte Richtungen eingeschlagen.

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