• 06. Januar 2017 · 13:03 Uhr

Formel-1-Technik 2017: Der neue "Aufhängungskrieg" erklärt

Ist es einem Team gelungen, eine legale Aufhängung zu entwickeln, die das Auto aerodynamisch beeinflusst? Eine FIA-Anfrage Ferraris bringt Fragen statt Antworten

(Motorsport-Total.com) - Dass in der Formel 1 Aufhängungssysteme von Mercedes für Stirnrunzeln sorgen, ist nichts Neues. Stichwort FRIC, kurz für "Front and Rear Inter-Connected" und seit 2014 verboten. Der Abu-Dhabi-Grand-Prix im vergangenen Jahr läutete ein weiteres Kapitel ein, in dem nicht nur die Silberpfeile eine Rolle spielen: Wie unsere Quellen nun berichten, gab es Funkverkehr zwischen Daniel Ricciardo und dem Red-Bull-Team, der darauf hindeutet, dass weiter in der Grauzone gearbeitet wird.

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Hat der Red Bull Tricks auf Lager, die die Konkurrenz nicht beherrscht? Zoom Download

Es ging um das Set-up des Autos und die Auswirkung der Aufhängung auf die aerodynamische Performance. Genau das ist gemäß Artikel 3.15 des Technischen Formel-1-Reglements aber nicht erlaubt, weil keine beweglichen Teile - wie die Aufhängung - dafür genutzt werden dürfen. Konsequenz aus Ricciardos Plausch mit der Box: Einige Teams begannen sich zu überlegen, ob hinter dem System am RB12 möglicherweise doch mehr steckt, als bisher vermutet wurde.

Die Annahme, dass die Aufhängung dazu genutzt wird, die Aerodynamik zu unterstützen, ließ Ferrari bei der FIA nachfragen. Eine solche Bitte an Renndirektor Charlie Whiting kommt häufig vor. Die Teams haben so die Möglichkeit, die Legalität von Entwürfen auszuloten, denen sie vielleicht selbst nachgehen. Und es gibt ihnen die Chance herauszufinden, an was die Konkurrenten arbeiten. Oder sie wollen die FIA darauf aufmerksam zu machen, dass sich andere in Grauzonen bewegen.

Ferrari beanstandet ein System, das komplexer ist als das, das Mercedes legal anwendet. Es handelt sich um einen Mechanismus, der Energie erzeugen und speichern kann. Sie wird zu einem späteren Zeitpunkt zur Verbesserung der Aerodynamik gezielt eingesetzt. Etwa, um einen Federteller oder andere Teile der Aufhängung auszudehnen. Das lässt auf hydraulische "Akkus" schließen, die das Wiedergeben gespeicherter Energie zulassen - wie ein hydraulischer Computer unter Hochdruck.

Das Fluidik-System (ein System zur Verwendung von strömungstechnischen Bauteilen zur Signalverarbeitung) reagiert auf äußere Umstände, wenn das Auto während einer Runde verschiedenen Bedingungen ausgesetzt ist. Statt einer scheinbaren Rolle, die die Druckstreben-Aufhängung für das ungeschulte Auge darstellt, muss man sich die mittige Verbindung zwischen der rechten und der linken Vorderradaufhängung (eine querliegende Sprungfeder im vorderen Teil des Chassis) und ihren offenbar steuerbaren Druckspeicher in dreidimensionaler Anordnung vorstellen.

Was ist der Hintergrund der FIA-Anfrage Ferraris?

Die Konstruktion ist durchsetzt mit kleinen und großen Kammern, die auf die verschiedene Einwirkungen von außen ausgelegt sind. Wenn ein Formel-1-Auto vor einer Kurve bremst, verschiebt sich das Gewicht des Autos nach vorne und verändert auch die Aerodynamik. Wenn es einem Team gelingt, mathematisch hinter die Trägheit zu steigen, könnte ein Modell entworfen werden, das Vorder- und Hinterradaufhängung so reagieren lässt, dass es die Basis des Autos ausbalancieren und man sowohl die mechanische als auch die aerodynamische Performance verbessern kann.

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Mercedes: Erst Vorreiter bei FRIC, jetzt auch wieder unglaublich raffiniert? Zoom Download

Trägheit bedeutet dabei, dass Teile in ihrem Bewegungszustand verharren, solange keine äußeren Kräfte oder Drehmomente auf sie einwirken. So wie die Erde, die sich scheinbar auch von selbst um die Sonne dreht, würde das Auto wie von Geisterhand physikalische Grundgesetze aushebeln, die es einbremsen. Folglich würde der Fahrer mehr Geschwindigkeit in den Scheitelpunkt der Kurve mitnehmen und früher als gewöhnlich beschleunigen. Klar, das schraubt die Rundenzeit nach unten.

Haben Mercedes und Red Bull dieses System bereits eingesetzt? Planen sie es für 2017 oder wollte Ferrari einfach eine teure Entwicklung stoppen, um ein eigenes Konzept weiterzuverfolgen? Die schon vor Weihnachten an alle Teams verschickte Direktive Whitings, dass Aufhängungssysteme, die Energie speichern, wohl illegal seien, erinnert an den Verbot des FRIC-Systems im Jahre 2014.

Vorteile eines intelligenten Aufhängungssystems konnten bei Williams zu Beginn der Neunzigerjahre (Stichwort "aktive Radaufhängung") und bei den Renault-Boliden erkannt werden, der in Fernando Alonsos Sahnejahren 2005 und 2006 zum Einsatz kam. In jüngster Vergangenheit war Mercedes Vorreiter des FRIC-Systems. Ohne dessen Vorteile mussten sich die Teams etwas einfallen lassen, was ohne die hydraulische Verbindung zwischen Front und Heck einen ähnlichen Effekt erzielt.

Gerüchte um einen "Red-Bull-Trick" sind nicht neu

Das FRIC-System basierte hauptsächlich auf der Hebewirkung, dem vertikalen Verschieben des Autos wie es gerade vorteilhaft war. Die Verbindung zwischen Front und Heck stabilisierte den Wagen außerdem in den Kurven, wodurch die Aerodynamik über einen längeren Zeitraum hinweg stabil blieb - anders als wenn das Auto den physikalischen Gesetzen schutzlos ausgeliefert gewesen wäre.


Fotostrecke: Designstudie: Formel-1-Regeln 2017

Natürlich wollten die Teams die FIA glauben lassen, das System diene der Verbesserung der Reifenperformance. Schließlich würde es eine größere Auflagefläche und mehr mechanischen Grip geben. Das stimmte, aber Hauptintention war die Verbesserung der Aerodynamik. Mit einer stabileren Basis konnten aggressivere Lösungen gefunden werden. Das System erzeugte die nötige Trägheit, die das Auto in vielen Situationen besser auf aerodynamische Kräfte reagieren ließ. Bei niedrigem Tempo zum Beispiel zog sich die Sprungfeder zwischen den Aufhängungen zusammen, um dem Piloten maximale Kontrolle zu ermöglichen.

Schon 2016 gab es die Gerüchte, Red Bull hätte in dem Bereich Fortschritte erzielt. Es hieß, der hoch angestellte - also vorne tiefer als hinten liegende - RB12 würde sich auf den Geraden absenken, um den Luftwiderstand zu verringern. Ob das Konzept funktioniert oder nicht, hängt aber von vielen Faktoren ab. Adrian Newey und seine Truppe konzentrierten ihre Bemühungen offenbar auf die Kontrolle des Nickwinkels der Aufhängung - also ihre Bewegung nach oben und nach unten, die den Anstellwinkel mitbestimmt. So kam Red Bull im Laufe des Jahres letztlich zum Erfolg.

Ferraris Dilemma: Selbst tricksen oder den Rechtsweg wählen

Dabei verzichteten die Österreicher ungewohnterweise auf ihre zahlreichen Aerodynamik-Updates, was ein weiterer Hinweis auf das Tüfteln mit der Aufhängung sein könnte. Das mag jedoch auch an einer frühen Verlagerung der Entwicklung auf das 2017er-Auto oder der Nutzung eines Super-Prüfstandes namens Virtual Test Track (VTT) gelegen haben, der Chassis und Antrieb zusammen über eine Strecke fahren lässt. Allerdings lässt sich in diesem Simulator an der Aufhängung arbeiten.

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Die Aufhängung könnte nicht das einzige Technikthema 2017 werden Zoom Download

Trotzdem könnte Red Bull eine andere Lösung zur Regulierung des Nickwinkels als Mercedes gefunden haben. Hat Ricciardo mit seinen Funksprüchen Ferrari vielleicht nur dazu gebracht, ebenfalls einen neuen Denkansatz zu wählen und diesen auszuloten? Oder wollte die Scuderia nur ein Störfeuer entfachen? Ferrari hat jedenfalls mit dem Finger darauf gezeigt, was Mercedes und Red Bull im Schilde führen. Die Diskussion mit der FIA über Grenzen des Erlaubten wird weitergehen.

Für die Silberpfeile dürfte jedoch klar sein, dass ihre 2016 eingesetzte Technik legal war und legal bleibt. Ergo juckt sie Charlie Whitings jüngstes Kommuniqué wenig. Wenn sie nicht ebenfalls einen Schritt weitergedacht haben. Wenn nicht, wäre davon eher Red Bull betroffen. Noch ist die Angelegenheit nicht abschließend ausgeräumt und zahlreiche Teams bewegen sich möglicherweise in einer Grauzone. Kurioserweise könnte das für Ferrari mit Blick auf 2017 eine Zwickmühle bedeuten.

Sollen die Italiener ein eigenes System nach dem Red-Bull-Vorbild entwickeln? Sollen sie sich auf Whiting verlassen, davon Abstand nehmen und notfalls in Australien rechtlich gegen die Lösung der Konkurrenz vorgehen? Die Sache erinnert an 2009, als der Doppeldiffusor das Brawn-Team an die Spitze spülte. Ferrari ging davon aus, dass ein Protest genügen würde, damit die Technik verboten würde. Jetzt könnten die Roten davon ausgehen, der Konkurrenz mit ihrer Nachfrage in die Suppe gespuckt zu haben. Doch so einfach liegen die Dinge in der Formel 1 nie. Und die Aufhängung wird nicht die letzte Technikfrage sein, die die Szene in Zeiten der Regelnovelle beschäftigt.

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