• 30. August 2016 · 13:08 Uhr

1956: Ein Italien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Die größte Geste der Formel-1-Historie: Wie der von vielen vergessene Peter Collins 1956 in Monza freiwillig für Juan Manuel Fangio ausstieg und auf den Titel verzichtete

(Motorsport-Total.com) - Geht es um den WM-Titel, dann werden aus einst guten Freunden erbitterte Rivalen. Das Wohl des Teams rückt in den Hintergrund, und wenn gar nichts mehr geht, dann fährt man dem anderen ins Auto, um ihn zu stoppen. Doch es gab in der Formel 1 eine Zeit, als tatsächlich noch echte Gentlemen im Cockpit saßen. Der größte von ihnen: Peter Collins.

Diesen Status erarbeitete sich der 1931 in Kidderminster nahe Birmingham geborene Brite vor genau 60 Jahren beim Grand Prix von Italien 1956 - mit der größten Geste, die es in der Formel 1 je gegeben hat: Der damals 24-Jährige schenkte seinem Ferrari-Teamkollegen Juan Manuel Fangio freiwillig den WM-Titel.

Vor dem Saisonfinale, das in der Steilwand von Monza ausgetragen wurde, führte der Argentinier Juan Manuel Fangio, der zu diesem Zeitpunkt schon dreimaliger Weltmeister war, in der WM mit 30 Punkten. Sein Ferrari-Teamkollege Collins und der französische Maserati-Pilot Jean Marie Behra durften sich mit je 22 Zählern Außenseiterchancen auf den Titel ausrechnen, da der Sieg damals acht Punkte und die schnellste Runde einen zusätzlichen Zähler einbrachte.

Wieso es zwischen Fangio und Ferrari kriselte

Fangio benötigte also nur zwei Punkte, um seinen Rivalen jegliche Chance zu nehmen. Im Qualifying lief alles für den Ausnahmekönner: Er sicherte sich die Pole, Behra startete als Vierter, Collins als Sechster.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Italien

Trotz der günstigen Ausgangslage hatte Fangio bei Ferrari keinen einfachen Stand: Boss Enzo Ferrari hatte sich mit seinem Starpiloten, der nur für eine Saison den roten Renner aus Maranello pilotieren sollte, überworfen. Während der stolze Italiener nicht damit leben konnte, dass ein Pilot ähnlich viel Strahlkraft hat wie sein geliebter Rennstall, vermisste Fangio die methodische organisierte Herangehensweise, die er bei Mercedes-Benz erlebt hatte.


Zusammenfassung Italien 1956

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Collins war hingegen das Liebkind des "Commendatore". Nach dem Tod seines Sohnes Alfredo drei Monate vor dem Saisonfinale war Ferrari schwer getroffen. "Dino", wie Alfredo genannt wurde, starb an einer chronischen Muskelerkrankung. Enzo Ferrari hatte den Ingenieur an die besten Schulen Europas geschickt und ihn als Nachfolger als Unternehmensboss aufgebaut.

Collins als Liebkind des "Commendatore"

Nach dem Unglück fand Ferrari Trost in Collins, der nur zwei Monate älter war als"Dino" und eine Art Ziehsohn für den Firmenboss wurde. Die umgängliche Art des Briten und dessen Wille, sich den italienischen Lebensstil anzueignen, sorgten für zusätzliche Sympathien, während das große Ego Fangios Ferrari eher im Weg stand.

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Collins im Ferrari-Lancia: Die Sympathien des Bosses waren auf seiner Seite Zoom Download

Schon beim Start in Monza zeigte sich, dass Fangio das Ferrari-Team nicht im Griff hatte. Anstatt den Anweisungen des WM-Leaders Folge zu leisten, hinter ihm die Mauer zu machen, beschleunigten seine Ferrari-Teamkollegen Eugenio Castellotti und Luigi Musso besser als er und enteilten dem Feld. Die Soloflucht ging allerdings schief, denn die Monza-Steilwand sorgte bei den Reifen für Auflösungserscheinungen und zwang das Duo rasch an die Box.

Nun tobte auf der Zehn-Kilometer-Strecke, auf der in einer Runde abwechselnd der Grand-Prix-Kurs und das Oval gefahren wurden, eine Windschattenschlacht zwischen Maserati-Pilot Stirling Moss, Fangio, Collins, Behra und Harry Schell im Vanwall. Fangio, der ja nichts riskieren wollte, war voll auf Titelkurs, ehe ihn ein plötzliches Problem mit der Lenkung kurz nach der ersten Rennhälfte an die Box zwang. Die Mechaniker arbeiteten verzweifelt an einer Lösung, während die Uhr tickte. Bange Sekunden für den klaren Favoriten: Fangios sicher geglaubter Titel drohte ihm doch noch zu entgleiten.

Wie Collins Fangio freiwillig den Titel schenkte

Als dann Teamkollege Musso zum plangemäßen Boxenstopp hereinkam, schien die Rettung nahe. Der in der WM ohnehin chancenlose Italiener erhielt den Befehl, wie es in dieser Zeit üblich war, sein Auto an Fangio zu übergeben. Doch der Lokalmatador, der sich noch Siegchancen ausrechnete, widersetzte sich, stieg aufs Gas und raste wieder zurück auf die Strecke.

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Der historische Moment auf dem Titelblatt des Autosport-Magazins Zoom Download

Inzwischen war auch Behra ausgefallen, also musste Fangio nur noch seinen Teamkollegen Collins im Titelkampf fürchten. Als der drittplatzierte Brite, der einen Sieg und die schnellste Runde für den Titel benötigte, ebenfalls zum geplanten Stopp an die Box fuhr, passierte das Unglaubliche. "Als er mitbekam, dass ich an der Box feststecke, bot er mir ungefragt sein Auto an, damit ich das Rennen beenden kann", schilderte Fangio die Ereignisse an der Ferrari-Box.

Der Superstar war selbst überrascht. "Mein Ärger war plötzlich verflogen, und ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich habe ihn umarmt und geküsst", erzählte der Argentinier. "Was für eine große Geste!" Fangio stieg ein und beendete das Rennen als Zweiter hinter Sieger Moss, doch durch die freiwillige Aufgabe von Collins wäre er ohnehin Weltmeister geworden. Kuriosum am Rande: Moss gewann nur, weil er fünf Runden vor Schluss von Luigi Liottis privatem Maserati bis zur Box angeschoben wurde. Ihm war der Sprit ausgegangen.

Warum Collins nicht Weltmeister werden wollte

Doch was hatte Collins tatsächlich dazu gebracht, seinen Traum vom WM-Titel ausgerechnet für den Teamkollegen zu opfern? "Wäre ich Weltmeister geworden, dann wäre ich von heute auf morgen berühmt gewesen", erklärte Collins. "Ich hätte gewissen Erwartungen entsprechen müssen, hätte mich immer wie 'der Weltmeister' verhalten müssen. Das Rennfahren hätte keinen Spaß mehr gemacht."


Kurzbericht Italien 1956

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Außerdem wollte er nicht durch reines Glück den Titel abstauben: "Darauf wäre ich nicht stolz gewesen. Zudem bin ich erst 25 Jahre alt, und ich habe noch so viel Zeit, selbst Weltmeister zu werden." Eine unglückliche Fehleinschätzung des Talents aus Großbritannien, denn nach seiner noblen Geste sollte ihm das Pech an den Fingern kleben.

Dramatisches Ende einer noblen Karriere

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Monza 1956: Fangio vor dem späteren Sieger Moss und Peter Collins Zoom Download

Zunächst verspielte Collins die Sympathien von Boss Enzo Ferrari: Durch seinen Landsmann Moss lernte er die Broadway-Schauspielerin Louise King kennen, heiratete sie und lebte mit ihr auf der gemeinsamen Jacht in Monaco. Das Partyleben der beiden war dem "Commendatore", der die volle Konzentration auf die Scuderia einforderte, ein Dorn im Auge. Abwertend nannte er King stets "die Geschiedene". Auch bei seinem einstigen Ziehsohn wollte er einen Sinneswandel erkannt haben: "Er ist jetzt viel launischer."

Als ihn Ferrari 1958 in sein Formel-2-Team degradierte, rettete sein britischer Ferrari-Teamkollege Mike Hawthorne Collins' Karriere und drohte mit Streik, um so seinen Freund in den Formel-1-Rennstall zurückzuholen. Mit Erfolg: Collins gab seine Antwort daraufhin in Silverstone, als er vor eigenem Publikum trotz unterlegenen Materials seinen dritten und größten Sieg errang. Nur zwei Wochen später verunglückte Collins im Alter von nur 26 Jahren auf der Nürburgring-Nordschleife, als er bei einem Überschlag aus dem Boliden geschleudert wurde und gegen einen Baum prallte.

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