• 23. August 2016 · 08:14 Uhr

1982: Ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Zolder ist ein Tränenmeer, als Gilles Villeneuve nach einer erbitterten Fehde mit Didier Pironi und bei einem grausamen Unfall mit Jochen Mass sein Leben lässt

(Motorsport-Total.com) - Der Formel-1-WM-Lauf von Zolder 1982 war ein langweiliges und monotones Rennen, an das sich kaum jemand erinnern kann. Zu Jubelstürmen gab es für Sieger John Watson auf McLaren keinen Anlass. Die Königsklasse versank an diesem Tag in Schockstarre. Tags zuvor - am Samstag, den 8. Mai - hatte sie eines ihrer größten Talente verloren. Den Liebling der Fans und den Liebling Enzo Ferraris. Gilles Villeneuve war im Qualifying tödlich verunglückt - ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit.

Foto zur News: 1982: Ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Ferrari-Wrack nach dem Crash: Gilles Villeneuve war herausgeschleudert worden Zoom Download

Der im TV-Bild festgehaltene Unfall des Kanadiers liefert eines der bis heute grausamsten Videos der Formel-1-Geschichte. Was alles schlimmer macht: Es wirft in mehrfacher Hinsicht die Frage auf, ob sich der Crash hätte verhindern lassen. Eigentlich aber hat die Katastrophe schon zwei Wochen zuvor beim Rennen in San Marino ihren Lauf genommen. In Imola liefern sich Villeneuve und sein damaliger Ferrari-Teamkollege Didier Pironi ein einsames Duell an der Spitze, welches mit einem Eklat endet.

Nachdem die Privatteams den Start als Folge der sportpolitischen Querelen zwischen dem FIA-Vorgänger FISA und der Teamvereinigung FOCA boykottiert haben, dominieren die Roten die Szenerie. Von der Box gibt es die Anweisung, Sprit zu sparen. Der in Führung liegende Villeneuve geht vom Gas. Er ist sich sicher, dass Pironi in seinem Heck Angriffsverbot hätte, als der Franzose plötzlich doch überholt. Er kontert und drosselt erneut das Tempo, weil er glaubt, Ferrari wolle eine Show liefern.

Didier Pironi und der "gestohlene Sieg" von Imola

Foto zur News: 1982: Ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Gilles Villeneuve und Didier Pironi: Die beiden sind ziemlich beste Feinde Zoom Download

Das mehrheitlich italienische Publikum ist angetan. Villeneuve hingegen ist schockiert und völlig übertölpelt, als sich Pironi in der letzten Runde mit einem Gewaltmanöver vorbeibremst und ihm den Grand-Prix-Sieg entreißt. Nach dem Aussteigen aus dem Auto schäumt er vor Wut und erklärt: "Ich halte es für allgemein bekannt, dass man hinter mir bleiben sollte, wenn man hinter mir bleiben will und ich schneller bin." Pironi mimt das Unschuldslamm. Er hätte wie von Ferrari gewünscht Sprit gespart.

Villeneuve, der sich betrogen fühlt, erklärt, nie wieder ein Wort mit Pironi wechseln zu wollen. So soll es geschehen. Als die beiden Erzrivalen in Zolder in die Cockpits klettern, macht Pironi ohne faule Tricks den besseren Job. Er liegt acht Minuten vor Ende eine Zehntelsekunde vor Villeneuve, der es sich, seinem verhassten Stallgefährten sowie der gesamten Formel-1-Welt beweisen will. Er lässt den letzten Satz Qualifying-Reifen aufschnallen und geht auf die Bahn - zum letzten Mal in seinem Leben.


Fotostrecke: Tragödie statt Triumph: Unvollendete Karrieren

Alles, um Pironi zu schlagen? Der damalige Renningenieur Mauro Forghieri behauptet später, dass Villenuve nicht auf seine fliegende Runde hätte gehen, sondern zurück an die Box hätte kommen sollen. Als er den verhängnisvollen Umlauf beginnt und über die Kuppe hinter der ersten Schikane fährt, sieht er vor sich den langsamen March von Jochen Mass. In dem Glauben, der Deutsche wolle ihm Platz machen, fährt Villeneuve auf die Innenbahn, während Mass die äußere Ideallinie freigibt. Es kommt bei 220 km/h zum Unfall: Der Ferrari fährt auf das Heck des Konkurrenten auf, hebt ab und wird seitlich in die Luft katapultiert. Das Auto fliegt über 100 Meter weit und schlägt in einem Fangzaun ein.

Leblos an der Leitplanke: Herzschlag ohne Atmung

Die Fernsehbilder zeigen, wie der völlig zerstörte Bolide sich weiter wild überschlagend zurück auf die Strecke bewegt. Zu diesem Zeitpunkt ist Villeneuve nicht mehr im Auto. Er ist mitsamt seines Sitzes, an den ihn die Sicherheitsgurte fesseln, aus dem Cockpit katapultiert worden und 50 Meter entfernt ein zweites Mal in einen Fangzaun eingeschlagen. Seinen orange-schwarzen Helm hat er längst verloren, als er leblos an der Leitplanke der Terlamenbocht-Kurve liegt. Sein Leben noch nicht.

Foto zur News: 1982: Ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Der Ferrari 126C2: Extrem schnell, aber seine Sicherheit war umstritten Zoom Download

John Watson und Derek Warwick halten an der Unfallstelle sofort an und finden ihren Freund mit einem blauen Gesicht vor. Beide ahnen wohl, was das bedeutet. Anders als bei anderen Unfällen dieser Ära funktionieren die Rettungsmaßnahmen. Nach 35 Sekunden ist ein Notarzt zur Stelle und intubiert Villeneuve, dessen Herz schlägt, der jedoch nicht mehr atmet. Mit dem Krankenwagen geht es ins Streckenhospital, mit dem Helikopter in eine Klinik nach Leuven. Seine Ehefrau wird eingeflogen.

Mass, der dem fliegenden Wrack noch ausgewichen ist, hält an und rennt zu Villeneuve. Er steht unter Schock, denn er ist ein Freund. Es war unverkennbar, dass er dem Horror nicht unverletzt entkommen ist. Der Zeitung 'The Globe an Mail' erklärt er Jahrzehnte nach der Katastrophe: "Man fragt sich oft, was gewesen wäre, wenn Dinge Sekundenbruchteile früher oder später passiert wären", grübelt Mass. "Das schüttelt man nicht einfach so ab. Es lungert immer irgendwo in deinem Hinterkopf herum."

Villeneuve-Familie gibt Jochen Mass keine Schuld

Foto zur News: 1982: Ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Jochen Mass: Weder Villeneuves Witwe noch sein Sohn geben ihm die Schuld Zoom Download

Die belgischen Ärzte halten Villeneuve, dessen Genick gebrochen ist, am Leben. Er wird künstlich beatmet. Zumindest solange, bis seine Frau Joann Barthe in der Universitätsklinik eintrifft und über die Lage aufgeklärt wird. Obwohl Spezialisten weltweit konsultiert werden, sind die Mediziner machtlos. Um 21:12 Uhr Ortszeit erklären sie Gilles Villeneuve, zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt, für tot.

Ferrari zieht sich sofort zurück, auch Didier Pironi darf beim Belgien-Grand-Prix nicht starten. Bittere Ironie: Deshalb rückt ausgerechnet Jochen Mass in das Feld der qualifizierten Piloten vor. Für Villeneuves Sohn Jacques, der bei der Katastrophe elf Jahre alt ist und später als Formel-1-Weltmeister das vollendet, was seinem Vater verwehrt geblieben ist, trägt Mass keine Schuld: "Es war nicht sein Fehler. Er hatte damit nichts zu tun. Es war Motorsport und jeder, der ihn betreibt, kennt die Gefahr."


Fotostrecke: Tödliche Unfälle in Formel-1-WM-Rennen

Villeneuve junior sagt der 'The Globe and Mail' weiter: "Es war ja nicht so, dass sie gegeneinander Rennen gefahren und einer etwas Bescheuertes angestellt hätte. Niemand hat jemals gesagt: 'Er ist der Schuldige!' Nicht einmal meine Mutter." Auch für Mass bleibt die Tragödie nicht folgenlos. Er hat nach einem weiteren und nur mit viel Glück folgenlos gebliebenen Unfall in Le Castellet kurz darauf - sein March ist über einen Fangzaun katapultiert worden und in Flammen aufgegangen - genug von der Formel 1. "Ich fühlte, dass da oben jemand ist, der mit dem Finger auf mich zeigt", so Mass.

Als Watson am Tag darauf ohne jedes Lächeln in Zolder gewinnt, gibt es nur Trauer und Schmerz. "Ich vermisse Gilles aus zwei Gründen", sagt Jody Scheckter. "Erstens, weil er der authentischste Mensch war, den ich jemals kannte. Zweitens, weil er der schnellste Rennfahrer in der Geschichte des Motorsports war." Niki Lauda beschreibt Villeneuve als "verrücktesten Teufel, den die Formel 1 jemals gesehen hat" und meint: "Trotzdem war er vernünftig und liebenswert, kein ausgemachter Radaubruder."

Fotos & Fotostrecken
Foto zur News: Als die Formel 1 zuletzt in China fuhr ...
Als die Formel 1 zuletzt in China fuhr ...
Foto zur News: F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
F1: Grand Prix von China (Schanghai) 2024
Pre-Events

Foto zur News: Rote Flagge: Formel-1-Rennen, die abgebrochen werden mussten!
Rote Flagge: Formel-1-Rennen, die abgebrochen werden mussten!

Foto zur News: Die Formel-1-Teams mit den meisten Doppelsiegen
Die Formel-1-Teams mit den meisten Doppelsiegen

Foto zur News: Die letzten 20 Formel-1-Rennen mit einer roten Flagge
Die letzten 20 Formel-1-Rennen mit einer roten Flagge
Folge Formel1.de
f1 live erleben: hier gibt's tickets
China
Schanghai
Hier Formel-1-Tickets sichern!

Miami
Miami
Hier Formel-1-Tickets sichern!

Emilia-Romagna
Imola
Hier Formel-1-Tickets sichern!
Formel-1-Quiz

Wie heißt die Formel-1-Strecke, auf der beim Großen Preis von Japan gefahren wird?

Monaco Grand Prix 2024 Formel-1 Tickets kaufen