• 19. August 2016 · 12:50 Uhr

Verstappen-Feuerunfall 1994: Ein Benetton-Insider packt aus

Das Flammeninferno sei zum Flavio-Briatore-Krimi geworden, berichtet Willem Toet: Von den Daumenschrauben der FIA und geheimen Ligier-Verbindungen

(Motorsport-Total.com) - Es war der vorerst letzte große Feuerunfall in der Formel-1-Geschichte: Als Jos Verstappen am 31. Juli 1994 beim Deutschland-Grand-Prix in der Hitze Hockenheims zum Nachtanken an die Box kam, spritzte eine Ladung Benzin beim Abziehen des Tankrüssels auf den Benetton-Boliden des Niederländers. Er wedelte mit der Hand vor dem Helm, als würde ihn beißender Gestank plagen, als sich der Sprit vom Heck aus entzündete und sich die Szenerie in ein Flammeninferno verwandelte.

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Flammeninferno in Hockenheim: Benetton hatte viel Glück im Unglück Zoom Download

Die Mechaniker sprangen zur Seite, eine laufende TV-Kamera fiel aus, im Fernsehbild war nur noch leuchtend oranges Feuer zu sehen, dann schwarzer Rauch. Obwohl die Crew das Inferno in wenigen Sekunden mit Handfeuerlöschern in den Griff bekam und auch den lichterloh brennenden Overall stehenden Kollegen löschte, rechnete die Formel 1 wenige Monate nach dem Tode Ayrton Sennas und Roland Ratzenbergers mit dem Schlimmsten - allerdings war Benetton das Glück hold.

Verstappen, der sich in den Flammen abgeschnallt hatte, kletterte sofort aus eigener Kraft aus dem Cockpit, als die Hand wieder vor Augen zu erkennen war und die Rauchsäule in Richtung Himmel aufgestieg Die Ursache des Unfalls aber beschäftigte die Königsklasse wesentlich länger. Der damalige Benetton-Aerodynamikchef Willem Toet, der später auch bei Ferrari, Honda und Sauber arbeitete, äußert sich zu den Hintergründen und erhebt zwei Jahrzehnte danach Vorwürfe.


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"Ich finde es interessant, wie mit einem Teil der Wahrheit argumentiert wird, ohne die anderen zu erwähnen, die Klarheit bringen", schreibt Willem Toet auf seiner Seite auf dem Business-Netzwerk 'LinkedIn'. "Aus meiner Sicht sind das Team - nämlich Benetton -, die FIA und Intertechnique - der Zulieferer der Benzinanlage - alle die Schuldigen." Der Fall ist und bleibt extrem kompliziert.

War es die Grundlage allen Übels, dass Benetton vor dem Rennen einen Filter am Verstappen-Auto entfernt hatte? Eine Art Metallgitter, das an einen Insektenschutz für Fenster erinnerte, nur etwas dicker war? Die Konstruktion für die Öffnung des Tankrüssels, so hieß es damals in der Szene, würde wegen der Minderung der Fließmenge über eine Sekunde bei einem Tankstopp kosten.

Politikum Nachtanken: FIA wollte keine Blamage

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Das Feuer griff um sich: Auch der Overall eines Mechanikers stand in Flammen Zoom Download

Toet erklärt, dass Benetton keine schriftliche Erlaubnis gehabt hätte, den Filter zu entfernen. Anlass für die Aktion sei für Teamchef Flavio Briatore vielmehr gewesen, dass es der Ligier-Truppe, an der er damals heimlich beteiligt war, von Intertechnique gestattet worden wäre. Er hätte von der Freigabe für die Franzosen erfahren und sie dann stillschweigend als allgemein interpretiert. "Das war clever. Ich hätte es als Verantwortlicher genauso gemacht", nimmt Toet seinen streitbaren und für grenzwertige Aktionen bekannten Ex-Boss in Schutz. "Als Hinterbänkler gewährt man dir eher einen Vorteil."

Natürlich bekam die FIA nach dem Feuerunfall von der Sache Wind. Sie ließ die Tankanlage aus Enstone beschlagnahmen. Doch Toet glaubt eher an Zufall als einen tatsächlichen Zusammenhang. Ein 40-mal so kleines Teilchen wie die, die von dem Filter aufgefangen worden wären, hätte sich als Ursache entpuppt. Deshalb sei das System am Tankrüssel nach dem Abziehen aus dem Stutzen verkantet und das Benzin über das Auto gespritzt. Das Gitter hätte nichts geholfen. Also ein Konstruktionsfehler?

Flavio Briatore: Rückzieher zugunsten des WM-Titels

Toets Erklärung: Die mit Fertigungstoleranzen hergestellten Teile der Tankanlage sind in Addition so stark von ihrem idealen Maß abgewichen, dass sie ein Sicherheitsrisiko wurden. Doch das sollte nach dem Willen der FIA und der Teams nicht publik werden, schließlich war das Nachtanken kurz zuvor als Mittel für mehr Spannung eingeführt worden und die Autos hatten 1994 nicht die nötige Tankkapazität, um ein komplettes Rennen durchzufahren. Benetton hatte längst herausgefunden, woran es hakte, und scheute sich nicht, die unbequeme Erklärung in Paris vorzubringen.

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Brisante Angelegenheit: die Tankrüssel und ihre Fertigungstoleranzen Zoom Download

Dann, so schildert es Toet, hätte der Automobil-Weltverband dem Team die Pistole auf die Brust gesetzt: Entweder die Argumentation mit den gefährlichen Tankanlagen zurückziehen und mit einem Klaps auf die Finger aus der Sache herauskommen oder es riskieren, drakonisch bestraft zu werden und den WM-Titel für Michael Schumacher auf das Spiel zu setzen. "Rückblickend und vor dem Hintergrund der Macht der FIA hätte der Chef die Existenz des Teams riskiert", erläutert Toet Briatores Rückzieher, "denn mit den Regelhütern zu kooperieren sicherte wohl die Krone."

Doch die Sache mit Ligier war nicht ausgestanden - schließlich kamen die Verquickungen durch den Feuerunfall Verstappens an die Öffentlichkeit. Benetton hätte die Verbindung zu den Franzosen intern rechtfertigen müssen und spontan eine "technische Kooperation" ins Leben gerufen, die dazu führte, dass Toet und Co. vertrauliche Daten herausgegeben mussten und sogar Ligier-Mitarbeiter in Teamkleidung in Enstone aufschlugen, um dort Teile zu fertigen. Es brodelte in der Fabrik. "Das war natürlich nicht legal", erklärt der damalige Aerodynamik-Chef. "Sie wurden umgekleidet (in einen Benetton-Dress; Anm. d. Red.), aber das verseuchte das Arbeitsklima noch mehr, weil das den Jungs in der Werkstatt für die Verbundwerkstoffe nicht gestattet war."

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