• 15. November 2015 · 08:12 Uhr

Von Frau zu Frau: Schämen Sie sich nicht, Susie Wolff!

Redakteurin Rebecca Friese macht sich Gedanken über Susie Wolffs Rücktritt und argumentiert, warum es keine Schande mehr ist, eine "Quotenfrau" zu sein

(Motorsport-Total.com) - Liebe Leser,

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Susie Wolff hat ihre Karriere als Rennfahrerin gerade beendet Zoom Download

du bekommst die Aufmerksamkeit nur, weil du eine Frau bist? Du hast den Job nur, weil dein Mann im Vorstand sitzt? Du wirst von den wenigsten ernst genommen und hast es schwer, deine Ziele zu erreichen? So what? Du bist eine moderne Frau im Endspurt der Emanzipation. Susie Wolff hat den Durchbruch als Rennfahrerin in der Formel 1 nach vier Jahren Entwicklungsarbeit als Ersatzpilotin bei Williams nicht geschafft und tritt Ende dieses Jahres zurück. Dennoch spielte sie eine wichtige Rolle in der sogenannten Königsklasse des Motorsports. Ihr Karriereende sollte Aufbruchsstimmung verbreiten.

"Ich kann nur sagen, dass ich alles gegeben habe. Doch frage ich mich heute: Ist die Formel 1 für eine leistungsfähige Rennfahrerin bereit, die auf höchstem Niveau mithalten kann? Ja. Ist dies auch als Frau erreichbar? Auf jeden Fall. Wird dies bald geschehen? Leider nein." In ihrem Statement zum Abschied aus dem aktiven Motorsport-Geschäft deutet Wolff an, ihre Rolle durchaus verstanden zu haben. Es ist meiner Meinung nach aber vor allem das Kontroverse an ihrer Position, dass sie zur Wegbereiterin für weiblichen Formel-1-Zuwachs gemacht hat.

Keine internationalen Kart-Titel, keine erwähnenswerten Erfolge in den Nachwuchs-Formelserien und nur insgesamt vier Punkte aus sieben Jahren DTM. Berechtigt das für ein Formel-1-Cockpit? Das mag sich unter anderem Davide Valsecchi, der GP2-Champion von 2012 fragen. Und eine Traditionalisten-Truppe schreit vor Verzückung auf, wenn sie das Wort "Frauenquote" im gleichen Atemzug mit ihrem beliebten Begriff "Paydriver" nennen darf.

Ewiger Kampf gegen Vorurteile

Die 2011 geschlossene Ehe mit Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, der zunächst mit Anteilen des Williams-Teams Formel-1-Aufmerksamkeit erregte und schließlich zum Weltmeister-Verantwortlichen bei den Silberpfeilen wurde, mag für Susie vorteilhaft gewesen sein, nicht jedoch für ihren Ruf. Den Ring am Finger konnte sie trotz Rennhandschuhe und Helm über dem vielleicht sogar zu hübschen Kopf selten abstreifen.

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Mercedes-Sportchef Toto und Susie Wolff bei ihrer Hochzeit im Jahr 2011 Zoom Download

Warum sollte man also eine womöglich bevorteilte, ganz sicher aber glückliche Rennfahrerin als Vorbild, Inspiration und Vorreiterin bezeichnen? Was macht sie so stark wie eine Michele Mouton (Rallye-Vizeweltmeisterin 1982), Ellen Lohr (DTM-Rennsiegerin 1992) oder die Formel-1-Pionierinnen Lella Lombardi (einzige weibliche Punkteinhaberin in der Königsklasse) oder Giovanna Amati, die 1992 als bisher letzte Frau die Konkurrenzfähigkeit streifte? Ganz einfach: die Schlagzeilen.

Susie Wolff hat Aufmerksamkeit erregt, Kameras angelockt, Diskussionen ausgelöst und damit eine Botschaft verbreitet. Können sich Frauen mit Männern messen? Fehlt der Formel 1 der weibliche Touch? Ist sie stark genug, in diesem testosterongeschwängertem Umfeld zu bestehen? Die Antwort auf all diese Fragen ist die gleiche: Sie musste es versuchen. Denn in der heutigen, modernen, vermeintlich emanzipierten Welt ist es eigentlich ein Unding, dass wir uns so etwas überhaupt noch fragen müssen!

Weibliche Vorbilder sind für die Zukunft elementar

Ich stelle folgende Behauptung auf: Susie Wolff hätte die Formel Renault, Formel-3-Europmeisterschaft, die GP2 und meinetwegen auch die DTM gewinnen können - wir hätten dennoch über ihre Berechtigung in der Königsklasse debattieren müssen.

Ob 1970 oder 2015 - weibliche Rennbeteiligung bleibt die Ausnahme. Der Grund liegt auf der Hand: zu wenig Nachwuchs. Das mag in fünf, zehn oder 15 Jahren anders aussehen, wenn sich die angestrebte gleichberechtigte Erziehung durchgesetzt hat. Bis dahin heißt es aber: Anreize schaffen, Vorbilder ins rechte Licht rücken, Inspiration sein - und den Skeptikern die Stirn bieten. Das war Susie Wolffs Aufgabe, und die hat sie mit Bravour gemeistert.


Fotostrecke: Susie Wolff: Die Karriere einer Frauenhoffnung

"Mir war absolut bewusst, dass es für mich ein harter Kampf werden wird, und das ist es auch. Ich bin aber ein positiver Mensch. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit", sagte sie einmal. Sowieso versuchte sie stets zu vermitteln, dass es für sie gar nichts Außergewöhnliches sei, nur männliche Kollegen zu haben. Ob das so der Wahrheit entspricht, sei einmal dahingestellt und spielt auch gar keine Rolle. Ihr Verdienst ist es, das Gesicht gewahrt zu haben.

Susie Wolff und die Frauen-WM

So ist vor allem ihre Aussage zu der Idee von Formel-1-Boss Bernie Ecclestone, eine eigene Frauen-WM starten zu wollen, Gold wert. "Ehrlich gesagt würde es mich überhaupt nicht interessieren, bei einem Rennen zu gewinnen, bei dem nur Frauen in der Startaufstellung stehen. Da würde ich lieber nicht dabei sein", war ihr Wortlaut. Der Subtext war ein anderer.

Für mich persönlich erschien der Gedanke einer Frauen-WM gar nicht so abwegig - eben als Anreiz, Inspiration, Schaufenster, wenn man so will. Als Sponsor würde ich mir auch dreimal überlegen, ob mir die anfänglich bestimmt äußerst hohe Aufmerksamkeit, die ein weiblich besetztes Stammcockpit sicher bekommen würde, ausreicht und ich dann mit dem abebbenden Interesse wegen mittelmäßiger Leistung Leben könnte, und ich bräuchte erst einmal eine echte Performance-Demonstration. Man dürfte es allerdings nicht als Dauerlösung oder gar Abstellgleis durchführen.

Mehr Sinn würde daher die Meinung von Lotus-Entwicklungsfahrerin Carmen Jorda (ebenfalls nicht als "echte Racerin" anerkannt) ergeben, die meint: "Ich fahre Rennen, seit ich zwölf Jahre alt bin, und haben in dieser Zeit viele Frauen gesehen, die versucht haben, an die Spitze zu kommen. Doch keine hat es geschafft. Warum sollte man es also nicht einmal versuchen?"

Ein wichtiges Exempel statuiert

Oder gar die Einschätzung von Ex-Formel-1-Pilot David Coulthard, der sagt: "Wenn ich die Wahl hätte, in einer reinen Frauen-WM anzutreten oder gar nicht in die Formel 1 zu kommen, warum sollte ich dann dagegen sein? Das hält einen ja nicht davon ab, in die Formel 1 zu kommen. Was sollte einen daran hindern, beides zu tun? Früher sind sie auch in der Formel 2 und der Formel 1 gleichzeitig angetreten, das war nichts anderes. Es wäre eine Möglichkeit für Frauen, sich zu beweisen."

"Dass dies passieren musste, ist ein Armutszeugnis für ein Miteinander, das 2015 doch eigentlich schon auf Augenhöhe stattfinden sollte."
Susie Wolff aber hielt dagegen und blieb damit ihrer Rolle treu - ein Exempel zu statuieren. Dass dies passieren musste, ist wie schon erwähnt ein Armutszeugnis für ein Miteinander, das 2015 doch eigentlich schon auf Augenhöhe stattfinden sollte, und deswegen gar nicht so weit weg vom wirtschaftlichen Frauenquoten-Begriff. Auch ich möchte mir meine Position erarbeiten und nicht durch gesetzliche Vorgaben geschenkt bekommen, genauso wie eine Rennfahrerin ihre Antworten gern auf der Strecke geben würde, statt ihre Position am Verhandlungstisch mit männlicher oder finanzieller Unterstützung zu erzwingen.

Aber noch braucht es Vorreiterinnen, die den Weg ebnen, Vorgängerinnen, die zeigen, dass es gehen kann, und manchmal auch nur Rollenbilder, die den Missstand aufzeigen. Im Sinne der Gleichberechtigung hat Susie Wolff Pionierarbeit geleistet.

Engagement für eine bessere Zukunft

"Ich möchte etwas zurückgeben und die nächste Generation unterstützen", heißt es in Wolffs Abschiedserklärung. "Zusammen mit der MSA (Motor Sports Association; Anm. d. Red.) werden wir eine neue Initiative starten, die junge Frauen im Motorsport auf und abseits der Piste fördern wird, und wir möchten der nächsten Generation zeigen, dass der Motorsport sehr wohl eine Option für sie sein kann. Ich habe mich getraut, anders zu sein, andere Wege zu gehen, und ich möchte andere dazu inspirieren, das Gleiche zu tun."

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Susie Wolff im Einsatz: Im Formel-1-Williams in Silverstone Zoom Download

Der Beitrag lief bei Facebook übrigens gesponsert, was ich gar nicht schlimm finde, da es der Protagonistin nicht nur mehr Klicks brachte, sondern auch die Botschaft verbreitete. Ihr Traum vom gleichberechtigten Einsatz im Spitzen-Motorsport war für viele vielleicht kein realistischer. Am Ende behielt sie die Füße aber auf dem Boden. Mit 32 Jahren und nach der Degradierung, die sie durch die Verpflichtung von Adrian Sutil als Ersatzfahrer bei Williams erlebt hat, hat sie meiner Meinung nach den genau richtigen Zeitpunkt für ihren Ausstieg gewählt.

Also schämen Sie sich nicht, eine Quotenfrau gewesen zu sein, Frau Wolff. Sie haben damit, wenn auch vielleicht nicht immer ganz offensichtlich, viel bewegt. Und viel Glück für die Zukunft!

Ihre Rebecca Friese

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