• 27. Januar 2015 · 15:05 Uhr

Gary Anderson: Die härtesten Wochen in der Formel 1

Technikexperte Gary Anderson blickt hinter die Kulissen eines Formel-1-Teams und erklärt, was während der hektischen Wochen vor dem ersten Wintertest passiert

(Motorsport-Total.com) - Als leidenschaftlicher Anhänger der Formel 1 fragen sie sich vielleicht, warum sich die Teams im Winter so eine lange Auszeit nehmen. Schließlich fand das letzte Rennen der Saison bereits am 23. November statt. Aber ich kann ihnen versichern, dass während dieser Periode nur sehr wenig Urlaub genommen wird. Tatsächlich gehören Dezember und Januar zu den Monaten, in denen der Druck auf alle Mitarbeiter eines Formel-1-Teams am größten ist.

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Obwohl es im Winter keinen Fahrbetrieb gibt, haben die Teams eine Menge Stress Zoom Download

Es sind die zwei Monate des Jahres, in denen alle Einzelteile, aus denen sich dein neues Baby zusammensetzt, langsam zusammenkommen. Da ich selbst schon in dieser Position war, weiß ich aus Erfahrung, dass dir immer wieder neue und bessere Ideen in den Sinn kommen, wie man die Dinge noch anders hätte machen können. Ganz egal, wie spät man mit seinem Entwurf bereits dran ist.

Trotzdem muss man sehr diszipliniert sein und sich an den vorgegebenen Plan halten, denn es ist sehr schwierig, die Produktionszeit zu verkürzen. Du kannst nicht einfach zu Halfords gehen und dir im Regal etwas besseres aussuchen, du musst die Teile selbst entwerfen und herstellen. Die Teile, die sich aktuell in Produktion befinden, sind die, die bei den ersten Test verwendet werden.

Hoffnung trifft auf Realität

Erst danach können andere Ideen, die dir in den Sinn kommen, in den Entwicklungsplan integriert werden. Jedes Team wird erzählen, dass das neue Auto aerodynamisch effizienter, starrer und leichter ist. Die Motorenhersteller werden erklären, dass sie etwas mehr Leistung gefunden haben und die Benzineffektivität verbessert haben. Aber erst wenn man die ersten Testrunden auf der Strecke absolviert, weiß man auch wirklich, ob sich all die harte Arbeit auch in einer schnelleren Rundenzeit widerspiegelt.


Fotostrecke: Lotus E23 vs. Lotus E22

Für mich war diese Zeit immer die anstrengendste in der gesamten Saison. Du glaubst den gesamten Winter daran, dass du die Defizite der vergangenen Saison ausbessern kannst. Gleichzeitig hoffst du, dass du keine neuen Gremlins erschaffen hast. Also kannst du es kaum abwarten, dass du das Auto endlich zusammenbauen und auf die Strecke schicken kannst. Ehrlich gesagt sind die Mechaniker, die das Auto zusammensetzen, immer ein guter Anhaltspunkt.

Normalerweise sind das sehr erfahrene Jungs, die genug davon hatten, ständig herumzureisen, und die jetzt im Werk arbeiten. Ihre Kommentare während der Konstruktionsphase sind immer ein großartiges Zeichen dafür, ob die Geburt einfach war oder ob es intensive Tage, oder sogar Wochen, voller Arbeit waren. Dieses Feedback ist ein guter Indikator dafür, wie die kommende Saison laufen wird.

Druck von allen Seiten

Davon abgesehen bekommst du auch Druck von der Marketingabteilung, die ihre Hände unbedingt an das Auto bekommen möchte, um Fotos für die Presse zu schießen. Noch schlimmer ist es, wenn sie den Launch in irgendeinem abgelegenen Teil der Welt abhalten wollen. Alles, was die Effizienz in der Konstruktionsphase stört, erhöht den Druck und ich bin mir sicher, dass ich während dieser Perioden manchmal Wörter verwendet habe, die ich später bereut habe. Hoffentlich haben diejenigen, die sich auf der anderen Seite meiner Zunge befanden, das verstanden - meine Frau eingeschlossen!


Der neue Force India VJM08

Sobald das Auto einmal auf der Straße ist, kannst du kurz Luft holen. Die Probleme hören nie auf, aber zu diesem Zeitpunkt sind es andere Probleme. Der Jordan von 1997 war eines dieser Autos, die im Windtunnel eine klare Verbesserung im Vergleich zu ihrem Vorgänger darstellten. Also gingen wir mit hohen Erwartungen in die ersten Wintertests. Ralf Schumacher war zu uns gestoßen und absolvierte seine erste Formel-1-Saison.

Weil er eben ein Schumacher war, machte er uns richtig Druck. Er hatte das Auto von 1996 in Jerez getestet, um ein paar Kilometer zu sammeln. Also das 1997er-Auto fertig war, brachten wir es mit. Ich hatte ihm bereits gesagt, dass wir anhand der Zahlen glaubten, dass das neue Auto etwa 1,5 bis 1,8 Sekunden schneller sein würde. In seinem ersten Auslauf über fünf Runden, mit der gleichen Spritmenge, war er 1,6 Sekunden schneller. Alle von uns, inklusive Ralf, hatten ein großes Lachen im Gesicht.

Wenn alles schiefläuft...

Aber während einige Sachen gut funktionieren, wie eben beim Jordan 197, können die Dinge häufig auch viel schwieriger sein. Man muss sich nur das vergangene Jahr ansehen, als die Renault-Teams realisierten, dass sie in großen Schwierigkeiten steckten, die man nicht über Nacht beheben konnte. Oder Mercedes, als Lewis Hamilton am ersten Tag in Jerez nach einem Problem mit dem Frontflügel in der ersten Kurve einen Unfall hatte.


Fotostrecke: Williams-Präsentationen seit 1994

Diese Dinge sollten nicht passieren, aber wenn es doch so ist, dann ist es wichtig, das Problem zu verstehen, die Ursache des Defekts, und es zu beheben. Mercedes hat das geschafft, aber bei Renault war es noch einmal eine ganz andere Geschichte. Wenn am Sonntag in Jerez der erste viertägige Test beginnt, werden einige Teams zunächst Probleme haben, während die Dinge bei anderen besser laufen. Meine Erfahrung ist es, dass du in deiner Karriere mehr schlechte als gute Erfahrungen machst.

Wenn das Auto zum ersten Mal fährt, dann bekommst du eine Ahnung, ob es eine gute Erfahrung werden wird oder nicht. Wenn der Fahrer mit dem Gefühl zufrieden ist, noch bevor er eine schnelle Runde fährt, dann ist das immer ermutigend. Im Prinzip willst du ein Auto haben, das fahrbar ist, dem Fahrer Sicherheit gibt und das gut auf Setupänderungen anspricht. Aber da die aktuellen Antriebe relativ neu sind, und im Winter noch einmal große Veränderungen an den Einheiten vorgenommen wurden, muss man wohl noch härter arbeiten, um eine gute Fahrbarkeit zu erzielen.

Oberste Priorität: Ruhe bewahren!

Wenn die Dinge schieflaufen, dann ist die Zeit sehr knapp. Wie gesagt, die Entwürfe für Upgrades während der ersten Rennen werden bereits weit fortgeschritten sein. Wenn man also fundamentale Probleme hat, dann ist es nicht einfach, diese aus der Welt zu schaffen. Es gibt drei Phasen, in denen man solche Probleme angeht. Zunächst einmal musst du sie erkennen. Das ist der einfache Teil. Dann musst du die Ursache dafür verstehen. Das kann schon schwieriger sein und manchmal kann es sehr kompliziert sein, die Wurzel eines Problems ausfindig zu machen.


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Die dritte Phase ist es dann zu wissen, wie man das Problem behebt. Diese drei Phasen können eine Menge Zeit in Anspruch nehmen und es kann sehr schnell passieren, dass man währenddessen den falschen Weg einschlägt. Da die Tests so limitiert sind, ist es gleich doppelt wichtig, Ruhe zu bewahren und sicherzustellen, dass man diesen Prozess auf dem richtigen Weg abarbeitet.

"Es ist sehr schwierig, die Produktionszeit zu verkürzen."Gary Anderson
Die Geschichte zeigt, dass es unglaublich schwierig ist, einen Rückstand aufzuholen. Einige Trends, die die Saison 2014 bestimmt haben, konnte man im vergangenen Jahr bereits bei den ersten Testfahrten in Jerez bewundern. Dieses Jahr wird es wieder eine ähnliche Geschichte sein.

Aber während sie das hier lesen, werden die Teams das Gefühl verspüren, unheimlich hart pushen zu müssen, um das neue Auto rechtzeitig fertig zu bekommen. Bei manchen wird es die Mühe am Ende wert gewesen sein, andere werden Enttäuschungen erleben. Mein Rat für diese Leute, die jetzt im Stress sind, ihr neues Auto zusammensetzen zu müssen, ist einfach: Es ist nur ein Sport, also genießt es.

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