• 17. September 2014 · 14:18 Uhr

Bernd-Mayländer-Kolumne: "Stand by, Safety-Car!"

Ein Formel-1-Rennen aus der Sicht des Safety-Car-Fahrers: Bernd Mayländer beschreibt haargenau, welche Aufgaben in Singapur auf ihn zukommen

(Motorsport-Total.com) - Hallo, liebe Leser,

Foto zur News: Bernd-Mayländer-Kolumne: "Stand by, Safety-Car!"

In Singapur ist das Risiko einer Safety-Car-Phase traditionell groß Zoom Download

sicher habt ihr euch schon einmal gefragt: Was macht der Mayländer eigentlich die ganze Zeit, wenn er während eines Rennens im Safety-Car sitzt? Und weil ich in Singapur fast immer genug zu tun habe, ist meine Kolumne vor dem Nachtrennen die ideale Gelegenheit, euch das mal ausführlich zu erklären.

Los geht's für mich und meinen Beifahrer Peter Tibbetts schon 50 Minuten vor dem Beginn der Formation-Lap. Da drehen FIA-Race-Director Charlie Whiting und Herbie Blash eine Runde mit dem Safety-Car, die sogenannte Closing-Lap - sozusagen der offizielle Startschuss für das Prozedere der Formel-1-Startaufstellung. Dann wird die Boxengasse für 20 Minuten geschlossen, denn die Formel-1-Fahrer dürfen nur im Fenster zwischen 30 und 15 Minuten vor Beginn der Formation-Lap auf den Grid fahren.

Mein Beifahrer Peter Tibbetts und ich übernehmen das Safety-Car also gut eine Dreiviertelstunde vor der Formation-Lap auf dem Grid. Der Funkverkehr zwischen Race-Control und uns im Cockpit ist so aufgebaut, dass alles, was gesagt wird, von der Gegenseite nochmal bestätigt wird. So werden Missverständnisse ausgeschlossen - ein Prinzip, das sich zum Beispiel auch in der Raumfahrt oder im Linienflugverkehr bewährt hat.

Ich bleibe von da an in der Nähe des Safety-Cars und stehe gleichzeitig oftmals noch mit den Wetterspezialisten von UbiMet in Kontakt, falls sich wechselnde Bedingungen abzeichnen. Und sonst gebe ich vielleicht noch das eine oder andere kurze TV-Interview oder schaue mich um, welche Promis so da sind. Ist manchmal ganz interessant, die Menschenmassen auf dem Grid zu beobachten!

Zehn Minuten vor dem Vorstart wird es ernst

Zehn Minuten vor der Formation-Lap setze ich meinen Helm auf, schnalle mich im Cockpit fest und gehe mit Peter nochmal durch, ob alle Systeme, zum Beispiel das GPS und die Onboard-Monitore, richtig funktionieren. Genau fünf Minuten vor der Formation-Lap drehen wir unsere Erkundungsrunde - auch, um ein letztes Mal zu prüfen, ob auf der Strecke alles in Ordnung ist, aber vor allem, um den Streckenposten zu signalisieren, dass es gleich losgeht und sie ab jetzt hellwach sein müssen.

Mit dem Safety-Car nehmen wir dann unsere Startposition ein. Diese ist zunächst im Bereich der Boxeneinfahrt - in Singapur zum Beispiel in einer Rettungsgasse in der vorletzten Kurve. So können wir die führenden Autos am Ende der ersten Runde im Idealfall noch vor der Safety-Car-Linie 1 abfangen. Wenn der Start und die ersten ein, zwei Kurven reibungslos ablaufen, fahren wir an die Safety-Car-Parkposition am Ende der Boxengasse. Das darf übrigens nicht zu lange dauern, weil sonst schon wieder das Feld daherkommt.


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Singapur

Dass ich den Start noch vor der Safety-Car-Linie 1 abwarte, ist eine Konsequenz des Unfalls von Ralf Schumacher in Indianapolis 2004, auf der Start- und Zielgeraden. Angenommen, es kracht gleich auf den ersten Metern des Starts, dann kann ich die Autos von meinem Stamm-Parkplatz aus möglicherweise erst nach der Unfallstelle einbremsen. Stehe ich aber in der Nähe der Boxeneinfahrt, ist das Feld schon vor der Zielkurve neutralisiert. Das dient der Sicherheit.

Vorausgesetzt ich habe in der Boxengasse keinen der Teammanager angefahren, die manchmal noch zum Kommandostand laufen, wenn ich auf meinen Parkplatz fahre, sitze ich dann also mit Peter im Safety-Car. Wir haben zwei Monitore im Cockpit: einmal das normale TV-Bild, das ihr zu Hause auch seht, und einen zweiten Monitor, bei dem wir das Signal umschalten können, zum Beispiel auf das Live-Timing. Und so verfolgen wir das Rennen.

Wenn der Ernstfall einsetzt...

Mit unserer Erfahrung haben inzwischen sowohl Peter als auch ich den Blick dafür, wann eine Situation gefährlich wird und zu einem Safety-Car-Einsatz führen könnte. Dann bekommen wir zuerst einen Funkspruch von Herbie Blash (der neben Charlie Whiting sitzt): "Stand by, Safety-Car!" Wir machen sofort die Signalleuchten an, während die Race-Control versucht, den optimalen Zeitpunkt zu eruieren, um uns nach Möglichkeit vor dem führenden Fahrzeug rauszuschicken.

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Stets wachsam: Während eines Rennens bin ich immer auf Standby Zoom Download

Die Race-Control entscheidet in diesen Sekunden auch, ob eine Safety-Car-Phase notwendig ist oder nicht. Wenn ja, bekommen wir letztendlich den Funkspruch: "Safety-Car, deploy!" Wir bestätigen das, fragen aber natürlich nicht nach warum und weshalb. Sonst kommt zu viel Kommunikation auf. Und dann beschleunigen wir - so schnell, wie es so ein SLS halt kann - raus auf die Strecke und versuchen, das führende Fahrzeug nach der Safety-Car-Linie 2 abzufangen.

Wenn ich auf die Strecke fahre und einer der Formel-1-Fahrer ist knapp hinter oder schon neben mir, dann darf er mich solange überholen, bis wir an der Safety-Car-Linie 2 vorbei sind. Erst danach gilt striktes Überholverbot. Vielleicht erinnert ihr euch noch an den Fall mit Lewis Hamilton und Fernando Alonso in Valencia 2010, als Lewis noch an mir vorbeigefahren ist, Fernando aber nicht mehr.

Wir haben die Augen überall!

Während der Safety-Car-Phase können Funksprüche kommen wie: "Wrackteile in Turn 5, möglichst weit rechts fahren." Wir bestätigen das, fahren möglichst weit rechts und geben, wenn wir das erste Mal durch sind, Feedback, was wir dort gesehen haben, ob dort Karbonteile rumliegen, wie stark die Leitplanke beschädigt ist und so weiter. Ich hänge in so einer Phase mit den Augen viel am Rückspiegel, während Peter rundherum ganz genau schaut.

Wenn hingegen in einem Rennen nichts passiert (was ich mir im Interesse der Sicherheit natürlich immer wünsche!), verfolgen Peter und ich auf den Monitoren das Rennen. Das macht Spaß, weil wir zwei mit unserer eigenen Rennerfahrung dann fachsimpeln und ja doch ein bisschen Ahnung von der Materie haben. Er ist Engländer, also dieses Jahr meistens ein bisschen mehr für Lewis, während ich als Deutscher für Nico die Daumen drücke. Damit ziehen wir uns gegenseitig manchmal auf.

Peter Tibbetts ist übrigens schon seit Ende 1997 Beifahrer im Formel-1-Safety-Car. Er hat also viel Erfahrung und weiß als ehemaliger Rennfahrer genau, worauf es zu achten gilt. Vier Augen und vier Ohren sehen und hören einfach mehr als zwei. Gerade wenn es um die Sicherheit geht, ist es ganz wichtig, dass keine Informationen unbeachtet bleiben. Und nach so vielen Jahren habe ich in unseren Safety-Car-Gesprächen inzwischen auch so einiges über Kricket gelernt...

Was tun, wenn die Blase drückt?

Unangenehm wird's, wenn die Blase zu drücken beginnt. Das war in knapp 270 Grands Prix zum Glück erst zwei- oder dreimal der Fall. Ich richte meinen ganzen Sonntag darauf aus, dass ich in der Zeit nicht zur Toilette muss. Ich gehöre auch zu denen, die eine halbe Stunde vor dem Rennstart nochmal den Espresso oder das Mineralwasser rausdrücken, damit da wirklich nichts passiert. Denn wenn an sich Druck in der Blase eineinhalb Stunden verkneifen muss, kann das ganz schön schmerzhaft werden. Und ich kann ja nicht mal eben aussteigen und eine Pinkelpause einlegen...

Ist das Rennen vorbei und das letzte Auto über Start und Ziel, erhalten wir den Funkspruch: "Last car crossed the line." Das sehe ich auch auf dem GPS-Monitor. Dann fahre ich dem letzten Auto hinterher (das Medical-Car übrigens auch), um den Streckenposten zu signalisieren: "Alle sind durch." Wir parken dann unsere Fahrzeuge hinter dem Parc ferme. Damit ist mein Arbeitstag beendet - es sei denn, es ist irgendetwas passiert oder mir ist irgendetwas aufgefallen, was mit Race-Control besprochen werden muss.

Singapur ist für mich eines der absoluten Highlights in der Formel 1. Der erste Nacht-Grand-Prix hat sich in einer Metropole, die wirklich einzigartig ist, seit 2008 fest etabliert. Eine Besonderheit ist der Zeitplan. Gefahren wird ja in der Nacht, also bleibt man einfach in der Europa-Zeitzone, schläft extrem lang in den Tag hinein und geht erst weit nach Mitternacht ins Bett. Das geht anfangs ganz gut, am Sonntag geht einem dann aber doch ein wenig die Luft aus - der Körper ist einfach an das Sonnenlicht gewöhnt.

Es ist schon komisch, wenn man nachts um 1:00 Uhr nochmal eine Runde um die Strecke joggt, aber am Singapur-Wochenende ist das ganz normal. Um 2:00 oder 3:00 Uhr gehen wir dann Abendessen. Um die Zeit noch warmes Essen zu bekommen, hat am Anfang übrigens noch nicht so ganz geklappt, inzwischen haben sich die Hotel- und Restaurantküchen aber auf den Zeitplan der Formel 1 eingestellt. Davor musste man sich halt vom 24-Stunden-Service etwas bringen lassen.

Monza war Lewis-Land, Singapur auch?

Am Montag nach Monza war ich zur Sendung "Sport & Talk aus dem Hangar-7" bei ServusTV eingeladen, gemeinsam mit Daniel Ricciardo und Colin Kolles. Die Location, der Hangar-7, ist wirklich toll, und ich habe die Gelegenheit genutzt, um mir mit meiner Schwester nach Jahren mal wieder Salzburg anzuschauen. Allerdings habe ich innerhalb von 36 Stunden gut Kilometer gemacht: von Monza nach Schorndorf bei Stuttgart, am Montag nach Salzburg und wieder zurück nach Schorndorf!

In der Sendung haben wir natürlich auch nochmal über Monza gesprochen. Es gibt die wildesten Verschwörungstheorien, aber für mich ist alles, was passiert ist, nachvollziehbar. Unterm Strich bleibt sowieso stehen: Lewis war das ganze Wochenende um zwei, drei Zehntelsekunden schneller und ist der verdiente Sieger. Ich glaube, er hätte Nico auch ohne den Ausritt überholt. So ist es halt einfacher und ohne Risiko gegangen.


Fotostrecke: GP Singapur, Highlights 2013

In der Weltmeisterschaft ist der Kampf durch die aufgeholten Punkte ein bisschen offener geworden. Für Ricciardo wird's jetzt immer schwieriger, aber solange theoretisch etwas möglich ist, wird er kämpfen, wie er am Hangar-7 angekündigt hat. Mal abwarten, wie die nächsten Strecken dem Red Bull liegen, aber Mercedes - das wissen wir inzwischen - ist auf allen Strecken sehr schnell und fast immer Favorit.

In Singapur sehe ich zwischen den beiden Silberpfeilen keinen klaren Favoriten. Alle sagen immer, dass Lewis auf Stadtkursen extrem stark ist. Stimmt auch, ist er wirklich. Aber die vergessen, dass Nico in Singapur schon tolle Rennen gefahren ist, bereits zu Williams-Zeiten. Er hatte halt noch nie siegfähiges Material, aber ich sehe die beiden in Singapur auf gleicher Höhe. Der Zweikampf an der Spitze bleibt weiterhin extrem spannend!

Euer Bernd Mayländer

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