• 18. April 2014 · 14:42 Uhr

Bei Anruf Teamchef: Ferrari, Jetlag und der Neue

Von New York via Maranello nach Schanghai: Wie der neue Ferrari-Teamchef Marco Mattiacci zu seinem Amt kam, weshalb er vor Ort "Mister Cool" spielt

(Motorsport-Total.com) - Ein Italiener mit dunkler Sonnenbrille und ernstem Blick verfolgt das Geschehen an der Rennstrecke. Wer fühlt sich da nicht sofort an "Il Commendatore" erinnert? Den legendären Gründer der Marke, die seinen Namen trägt - Enzo Ferrari. Doch wo Ferrari die Sonnenbrille zum Stilmittel erhoben hat, ist sie bei Marco Mattiacci nur ein Mittel zum Zweck. Nicht mehr, nicht weniger. Aber aus einem guten Grund.

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Der Neue am Kommandostand von Ferrari: Marco Mattiacci ist Domenicali-Nachfolger Zoom Download

Marco Mattiacci - hinter ihm liegt die vielleicht turbulenteste Woche seines Lebens. Denn vor sieben Tagen konnte der Italiener noch nicht ahnen, dass er sich heute am Shanghai International Circuit befinden und als Ferrari-Teamchef firmieren würde. Das alles kam sehr plötzlich für den 43-Jährigen. Eine halbe Weltreise später gibt er sein Formel-1-Debüt. Und hinter der Sonnenbrille versteckt er kleine Augen.

"Die Sonnenbrille brauchst du, wenn du binnen weniger als vier Tagen fast 40 Stunden im Flugzeug sitzt und nicht allzu viel schläfst", erklärt Mattiacci bei seinem ersten Pressegespräch. Doch dazu hat er die Brille bereits abgenommen. Vor den versammelten Medienvertretern sitzt ein sportlich-schlanker Mittvierziger, der die an ihn gerichteten Fragen mit italienisch angehauchtem Englisch beantwortet.

Auf Domenicali folgt Mattiacci

Aber weshalb eigentlich? Und wieso Mattiacci und nicht Stefano Domenicali, der bisherige Ferrari-Teamchef? Weil Letzterer vor wenigen Tagen seinen Hut genommen hat. Die Ära Domenicali - sie ist seit dem 14. April 2014 offiziell beendet. Die Ära Mattiacci hat dagegen bereits am 11. April begonnen. Mit einem Anruf in den frühen Morgenstunden, direkt aus dem Ferrari-Hauptquartier in Maranello.

"Präsident Luca di Montezemolo war in der Leitung", berichtet Mattiacci. "Er erzählte mir von seiner Idee. Und ich meinte nur: 'Es ist reichlich spät für einen Aprilscherz.' Nach zwei, drei Minuten in unserem Gespräch verstand ich dann aber, dass es kein Scherz war. Ich verstand es auch deshalb, weil bereits ein Flugticket für mich gebucht war - von New York nach Mailand, mit Abflug in drei Stunden."


Fotos: Ferrari, Großer Preis von China


Schon am Samstagmorgen, am 12. April 2014, traf Mattiacci in Maranello ein. Als designierter Nachfolger von Domenicali, dessen Abschied hinter den Kulissen bereits besiegelt war. Und so erhielt der ehemalige Nordamerika-Chef von Ferrari, Mattiacci, seine bislang wohl größte Aufgabe, der er sich mit Begeisterung stellt, wie er in Schanghai sagt: "Vor Euch sitzt eine sehr motivierte Person."

Ein anderer Blickwinkel als Erfolgsgarant?

"Ich habe diese Herausforderung akzeptiert, weil manchmal ein Perspektivwechsel ausreichen kann, um neue Möglichkeiten zu entdecken. Ich muss aber erst noch beweisen, dass ich gut genug bin für Ferrari und für die Formel 1", meint Mattiacci. Alleine seine Anwesenheit scheint schon Wunder zu wirken: Fernando Alonso fuhr im ersten Freien Training zum Großen Preis von China zur Bestzeit.

Ein perfekter Einstand also für den neuen Ferrari-Teamchef. Dabei war Ferrari in diesem Jahr meist alles andere als dazu in der Lage, um die Formel-1-Spitze zu kämpfen. Der erste Platz zum Auftakt in Schanghai - nicht mehr als eine "Vorstandsrunde", um den Neubeginn am Kommandostand zu unterstreichen? Der aus dem Fußball bekannte "Trainereffekt"? Da muss selbst Sebastian Vettel schmunzeln.


Fotostrecke: Ferrari-Rennleiter seit 1950

Der Wechsel an der Teamspitze alleine hat bisher schließlich noch kein Auto schneller gemacht - zumindest nicht über Nacht. Allzu viel gibt die Konkurrenz jedenfalls nicht auf die Alonso-Bestzeit. Man nehme Ferrari "noch nicht sehr ernst", wenngleich Rot "auf jeden Fall schon ein bisschen stärker" sei, sagt WM-Spitzenreiter Nico Rosberg von Mercedes. Oder war es vielleicht einfach nur Tagesform?

Mattiacci wie einst Briatore

"Nein", meint WM-Titelverteidiger Vettel von Red Bull. "Ich denke, wenn man den ganzen Tag so gut unterwegs ist, und vor allem auf den harten Reifen war Fernando am Morgen und auch am Nachmittag schnell, dann kann man schon davon sprechen, dass sie hier ein bisschen besser zurecht kommen. Man darf auch nicht vergessen, dass einem die eine Strecke besser liegt als die andere."

"Ein Manager muss vor allem die richtigen Leute an den richtigen Ort setzen. Das war die Kunst von Briatore."Marc Surer
Also doch keine Wunderheilung durch den neuen Teamchef, der laut Formel-1-Experte Marc Surer bisher ohnehin "noch nichts" gemacht hat als mit ernster Miene zu verfolgen, was draußen auf der Strecke vor sich ging. "Mal sehen, ob er bei Ferrari frischen Wind reinbringt", meint Surer bei 'Sky'. "Ich denke, ein Manager muss vor allem die richtigen Leute an den richtigen Ort setzen. Das war die Kunst von Briatore."

Flavio Briatore und Marco Mattiacci - diese beiden Personen haben durchaus mehr gemeinsam als nur ihre italienische Nationalität. Auch Briatore war als Markenmanager in Nordamerika tätig, ehe er als leitende Figur ins Formel-1-Team berufen wurde. Mattiacci nimmt nun einen ganz ähnlichen Weg, auch wenn er eben diesen nie vor Augen gehabt hat, wie er in seinem ersten Pressegespräch betont.

Der Vorgänger übergibt sein Amt

"Ich hatte nie eine genaue Vorstellung davon, was ich einmal werden wollte. Ich arbeite einfach nur immer sehr hart, um auf alles vorbereitet zu sein, was auch immer sich mir als Chance bietet. So ist das im Leben. Du kannst nicht alles kontrollieren und planen. Du musst einfach vorbereitet sein", sagt der neue Ferrari-Teamchef. Ob er auf seine neue Rolle vorbereitet gewesen ist? Wahrscheinlich nicht.

"Ich habe den allergrößten Respekt vor Stefano. Vor ihm als Mensch und vor ihm als Profi."Marco Mattiacci
Nach seiner Ankunft in Maranello am Samstag der vergangenen Woche hat er aber eine ausführliche Einführung in die Formel-1-Thematik genossen - von seinem Vorgänger im Amt des Teamchefs von Ferrari. Mattiacci: "Stefano ist eine großartige Person und ein Freund von mir. Am Samstag haben wir einige Stunden miteinander verbracht, am Montag den kompletten Tag." Nun ist Freitag, Mattiacci der Boss.

Domenicali ist trotzdem ein Thema für ihn: "Ich habe den allergrößten Respekt vor Stefano. Vor ihm als Mensch und vor ihm als Profi. Es war nur natürlich, dass wir uns austauschen würden", meint Mattiacci. Ob er dabei schon Anregungen und Ideen gesammelt hat? Von Prognosen nimmt der 43-Jährige in Schanghai jedenfalls erst einmal Abstand. "Dafür ist es noch zu früh", erklärt Mattiacci.

Rennsport ist kein Fremdwort für Mattiacci

"Ich weiß nur: Ich arbeite seit 14 Jahren für Ferrari. Erst vor ein paar Tagen war ich in der Sportabteilung in Maranello. Wir haben eine tolle Mannschaft mit sehr talentierten Angestellten. Unsere Geschichte ist einmalig. Es ist aber noch zu früh, um über Umstrukturierung und dergleichen zu reden." Er könne sich aber der Unterstützung von Ferrari-Präsident di Montezemolo gewiss sein.

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Ohne Sonnenbrille gabs Marco Mattiacci am Schanghai-Freitag nur im Pressegespräch Zoom Download

Ein Verständnis für die Formel-1-Welt muss sich Mattiacci aber wohl in Eigenregie aufbauen. Ganz fachfremd ist er zumindest nicht: "Ich liebe Rennsport. In meiner Freizeit fahre ich gern Rennen. Im vergangenen Jahr war ich sicher für über 20 Wochenenden an der Strecke." Auch das 24-Stunden-Rennen in Daytona habe er besucht. "Um möglichst viel zu lernen, obwohl es nicht die Formel 1 ist."

"Ich liebe einfach den Motorsport", sagt Mattiacci und fügt hinzu: "Ich liebe kontinuierliche Fortschritte. Ich liebe es, dem Team und mir selbst ehrgeizige Aufgaben zu stellen. Wir wollen uns verbessern." Wie das zu bewerkstelligen ist, könne er aber noch nicht sagen. Nur so viel: "Ich bin kein Ingenieur, aber wir haben 800 sehr talentierte Angestellte, die daran arbeiten, das Auto schneller zu machen."

Der Teamchef als wichtigster Motivator

"Meine Aufgabe ist, für die größtmögliche Motivation zu sorgen. Ich muss auch ein gewisses Projekt-Management installieren. Ich verleihe dem Auto aber keine Extrasekunde. Die Ingenieure können so etwas vollbringen", meint der neue Ferrari-Teamchef, der weitere Neuzugänge nicht ausschließt. "Wir denken darüber nach, den Markt zu sondieren. Aber nur, wenn sich das als wertvoll für uns erweist."

"Es geht uns nicht darum, einfach nur Leute einzukaufen. Wir wollen Leute haben, die auch einen Beitrag zu unserem ohnehin guten Team leisten können. Das ist die Philosophie. Was auch immer nötig sein wird, wir werden es in die Wege leiten", erklärt Mattiacci. Er verfüge über einschlägige Erfahrungen bei dieser Aufgabe: "In den vergangenen 20 Jahren habe ich viele Teams zusammengestellt."

Seine Perspektive sei nun aber eine andere. "Nun arbeite ich mit einer Sportmannschaft, mit Leuten aus unterschiedlichen Ländern, mit großer Vielfalt. Das ist ein spezielles Umfeld und das ist mir klar. Die Zeit für Entscheidungen ist ähnlich: Du musst schon gestern etwas verändert haben und das nicht erst in zwei Monaten tun. Es ist eben wie in der Geschäftswelt." Und die kennt Mattiacci aus dem Effeff.

Wann es aufwärts geht? Erst mal abwarten...

Ob sich die Prinzipien davon ableiten und in der Formel 1 anwenden lassen? Mattiacci wirkt nicht überzeugt: "Ich will hier erst einmal möglichst viel lernen und werde hart arbeiten. Das kann ich dem Team und den Fahrern - wir haben die besten Fahrer der Welt - versprechen. Ich werde zuhören und 150 Prozent geben, um das Beste aus Ferrari herauszuholen." Über das Wie mache er sich noch keine Gedanken.

"Ich glaube nicht zu sehr an das Wort Strategie", sagt Mattiacci. "Ich denke, man muss sich für jeden Tag eine Verbesserung vornehmen. Und wenn du irgendwo neu bist, dann schaust du dir erst einmal an, was gut ist. Da wäre zunächst sehr viel Talent. Gemeinsam mit Luca di Montezemolo werde ich die Lage analysieren und feststellen, woran es mangelt. Da kann ich jetzt noch keine Prognosen abgeben."


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Mittelfristig soll der Rückstand auf Formel-1-Klassenprimus Mercedes "so weit wie möglich" reduziert werden, sagt der neue Ferrari-Teamchef. "Das wird nicht einfach, aber wir geben nicht auf." Und so erbittet sich Mattiacci vor allem Zeit und Geduld: "Ihr alle kennt den Motorsport besser als ich und wisst: Es gibt sehr viele Variablen, die ein Rennen, aber auch eine komplette Saison beeinflussen können."

Deshalb fühle er sich für den Moment sehr wohl mit der Rolle des Beobachters. "Es ist nämlich noch viel zu früh, um Entscheidungen zu treffen", meint Mattiacci. Irgendwann aber wird er das Heft in die Hand nehmen müssen. Das erwartet sicher nicht nur die Ferrari-Belegschaft, sondern wohl besonders die italienische Presse. Denn mit Sonnenbrille oder ohne: Wer Ferrari vorsteht, der ist zum Siegen verdammt...

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